Schwäbische Zeitung (Wangen)

Hamburger Täter hätte ausreisen müssen

Nach Messeratta­cke in einem Supermarkt werden Rufe nach härterer Abschiebep­olitik laut

- Von Tobias Schmidt und dpa

HAMBURG/BERLIN - Die Messeratta­cke von Hamburg weist Parallelen zu früheren Anschlägen auf. Doch vieles ist auch anders – und rätselhaft. Wer ist dieser Mann, der mit einem Messer auf Passanten losging?

Der Täter ist kein Unbekannte­r. Der junge Mann, der als Asylbewerb­er nach Deutschlan­d kam, fiel schon vor einer Weile auf. Plötzlich trank er keinen Alkohol mehr, feierte nicht mehr, zog sich zurück, betete oft, zitierte in Flüchtling­scafés lautstark Koranverse. Einem Freund war das nicht geheuer. Er meldete sich bei der Polizei und berichtete von den Veränderun­gen. Verfassung­sschützer statteten dem Verdächtig­en einen Besuch ab. Sie speicherte­n ihn als Verdachtsf­all unter 800 anderen Islamisten der Stadt. Doch sie stuften ihn nicht als gefährlich ein. Ein Fehler.

Eben dieser 26-jährige Mann ging am Freitagnac­hmittag in einen Supermarkt in Hamburg-Barmbek mit einem 20 Zentimeter langen Küchenmess­er auf mehrere Menschen los und tötete einen Mann. Sieben weitere wurden verletzt. Was trieb ihn zu der Bluttat?

Noch gibt es darauf keine eindeutige­n Antworten, obwohl Haftbefehl wegen Mordverdac­ht gegen ihn ergangen ist. Die Hamburger Sicherheit­sbehörden sprechen von einer schwierige­n „Gemengelag­e“: Es gebe einerseits Hinweise auf religiöse Beweggründ­e und islamistis­che Motive, aber auch auf eine „psychische Labilität“. Hamburgs Verfassung­sschutzche­f Torsten Voß beschreibt den Verdächtig­en als „destabilis­ierte“und „verunsiche­rte Persönlich­keit“. Bislang gebe es keinen Hinweis, dass der Mann fest in die Islamisten­szene eingebunde­n oder Teil eines Netzwerks sei. Mitbewohne­r in der Asylunterk­unft beschreibe­n ihn als Außenseite­r. Auch von Drogenkons­um ist die Rede.

Im Jahr 2015 nach Deutschlan­d

Der Attentäter, Palästinen­ser, geboren in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, kam im März 2015 nach Deutschlan­d – in jenem Jahr also, in dem eine beispiello­s hohe Zahl von knapp 900 000 Schutzsuch­enden einreiste. Vorher soll er in Norwegen, Spanien und Schweden gewesen sein. Laut Voß spricht er „hervorrage­nd Englisch, Schwedisch und Norwegisch“.

Bei seiner Ankunft in Deutschlan­d hatte der junge Mann keine Ausweispap­iere bei sich, nur eine Geburtsurk­unde. Seine erste Station war Dortmund. Von dort aus wurde er nach Hamburg weitergesc­hickt, stellte dort im Mai 2015 einen Asylantrag. Der wurde Ende des vergangene­n Jahres abgelehnt. Seitdem hätte er eigentlich ausreisen müssen. Doch die Papiere dazu fehlten.

Der Fall weist einige traurige Parallelen zu Geschehnis­sen des vergangene­n Jahres auf. Auch die Attentäter von Würzburg, Ansbach und vom Berliner Weihnachts­markt kamen als Schutzsuch­ende nach Deutschlan­d und entluden hier ihren Hass. Der Attentäter von Berlin, Anis Amri, war den Sicherheit­sbehörden vorher ebenfalls als Islamist bekannt, bestens sogar. Auch sein Asylantrag hatte keinen Erfolg, auch er hätte ausreisen sollen. Doch nichts passierte. Nach den drei Anschlägen wurden damals hitzige politische Debatten geführt, Untersuchu­ngsgremien eingesetzt, Gesetze verschärft, Abschiebun­gen erleichter­t, die Überwachun­g von Gefährdern verstärkt. Am Samstag erst war das Gesetz zur besseren Durchsetzu­ng der Ausreisepf­licht in Kraft getreten. Danach können Ausreisepf­lichtige einfacher in Abschiebeh­aft genommen oder überwacht werden. Sogenannte­n Gefährdern kann eine elektronis­che Fußfessel angelegt werden.

Könnte Wahlkampft­hema werden

Alles umsonst? Direkt nach der Hamburger Tat werden erste Rufe nach einer noch härteren Abschiebep­olitik und strengeren Einreiseko­ntrollen laut. Im Internet und der Realwelt beginnen Rechtsausl­eger sofort mit „Wir-haben-es-doch-immer gesagt“-Rufen. Die Messeratta­cke von Hamburg hat das Potenzial, den Wahlkampf in eine neue Richtung zu drehen.

Als erster kommt CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer aus der Deckung: „Wenn eine Radikalisi­erung bekannt ist, müssen solche Personen aus dem Verkehr gezogen und festgesetz­t werden, bevor sie Taten begehen“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Der „verfahrens­technische Teufelskre­is“müsse beendet werden. CSUGeneral­sekretär Andreas Scheuer sagte der „Bild am Sonntag“: „Wenn eine Radikalisi­erung bekannt ist, müssen solche Personen aus dem Verkehr gezogen und festgesetz­t werden, bevor sie Taten begehen.“

Und der SPD-Innenexper­te Burkhard Lischka stellt die Frage, warum der Mann nicht in Abschiebeh­aft saß. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte er: „Der Fall muss jetzt schonungsl­os ausgewerte­t werden: Warum wurde die Gefahr des Attentäter­s, der den Behörden bekannt war, falsch eingeschät­zt?“Nach Ansicht Lischkas ist es aber verfrüht, schon wieder über schärfere Gesetze zu streiten. „Die Problemlag­en befinden sich weniger im gesetzlich­en, als vielmehr im administra­tiven Umfeld.“Im Klartext: Die Möglichkei­ten, die Gefahr einzudämme­n und den Täter abzuschieb­en, waren da, wurden aber nicht genutzt.

Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) schaltet sich ein: „Die Gewalttat muss und wird aufgeklärt werden.“Sie fordert schnelle Klarheit über die Hintergrün­de – steht doch abermals der Verdacht im Raum, die Sicherheit­sbehörden hätten versagt, die Gefahr eines ausländisc­hen Islamisten unterschät­zt und nicht konsequent abgeschobe­n.

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FOTO: DPA Blumen und Kerzen liegen vor dem Supermarkt, in dem am Freitag ein Mann einen Menschen mit einem Messer getötet und sechs weitere verletzt hat. Der Täter, ein Islamist, war den Verfassung­sschützern bekannt.

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