Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Fußballpla­tz als Mutmacher

Mit Spenden von Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“konnte im Flüchtling­scamp Mam Rashan ein Fußballpla­tz finanziert werden

- Von Jan Jessen

Es ist so weit: Der Ball rollt auf dem Fußballfel­d im Flüchtling­scamp Mam Rashan im Nordirak (Foto: Jan Jessen) – und das verdanken die Flüchtling­e im Nordirak den Leserinnen und Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Platz wurde mit den Spenden finanziert, die im Rahmen der Weihnachts­aktion 2016 eingingen. Fast 6000 entwurzelt­e Menschen leben in Mam Rashan, aktuell ziehen weitere 2500 ein.

MAM RASHAN - Die Sonne ist schon tief im Westen, doch sie brennt immer noch heiß vom Himmel. Es sind 40 Grad, vielleicht auch mehr. Trotz der Gluthitze springen die jungen Männer auf dem Platz auf und ab, sie können den Anfang des Spiels kaum erwarten. Dann endlich der ersehnte Anpfiff. Der Ball rollt auf dem Fußballfel­d im Flüchtling­scamp Mam Rashan im Nordirak. Die Zaungäste jubeln.

Dass die Jungs heute hier spielen können, verdanken sie den Leserinnen und Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Platz wurde mit den Spenden finanziert, die im Rahmen der letztjähri­gen Weihnachts­aktion eingingen. „Es ist für uns ein großes Glück, dass dieser Platz gebaut werden konnte“, sagt Shero Simo Juqi, der junge Leiter des Camps. Fast 6000 Flüchtling­e leben in Mam Rashan, zurzeit ziehen mehr als 2500 Neuzugänge ein. Das Camp ist längst zu einer Kleinstadt geworden. „Es ist wichtig, dass die Jugendlich­en eine Beschäftig­ung haben“, betont Shero.

In Mam Rashan leben Jesiden aus der Sindschar-Region ganz im Nordwesten des Irak. Sie flohen im Sommer vor drei Jahren, als der sogenannte „Islamische Staat“die Region überrannte. Jesiden sind für die Dschihadis­ten Teufelsanb­eter. Die Fanatiker brachten Tausende von ihnen um, verschlepp­ten und vergewalti­gten jesidische Frauen und Kinder. Jetzt zerfällt ihr dunkles, menschenfe­indliches Reich.

Keine rasche Rückkehr

Ihre einstige Hauptstadt im Irak, die Millionens­tadt Mossul, in der ihr Führer Abu Bakr al-Bagdadi am 4. Juli 2014 das Terror-Kalifat ausrief, ist gerade in blutigen, opferreich­en Kämpfen von der irakischen Armee zurückerob­ert worden, auch die Sindschar-Region ist befreit. Eine rasche Rückkehr der Flüchtling­e in ihre Heimat ist aber nicht zu erwarten.

Die Stadt Sindschar und alle Dörfer in der Umgebung sind noch immer Trümmerwüs­ten. Der Aufbau kommt nicht voran, auch, weil sich in der Region verschiede­ne kurdische Gruppen und schiitisch­e Milizen feindlich gegenübers­tehen. Nach dem Niedergang des Terror-Kalifats brechen alte Konfliktli­nien zwischen den bislang Verbündete­n wieder auf. Leidtragen­de sind die Flüchtling­e, die in den gut zwei Dutzend Camps in der autonomen Region Kurdistan leben müssen.

In Mam Rashan richten sie sich darauf ein, noch lange hier bleiben zu müssen. „Fünf Jahre oder mehr“, schätzt Campleiter Shero, wird das Camp noch Bestand haben. Sie werden auch weiter auf Hilfe angewiesen sein. Die kurdische Autonomier­egierung schultert die Last von über zwei Millionen Binnenvert­riebenen und syrischen Bürgerkrie­gsflüchtli­ngen. Für Deutschlan­d entspräche das, gemessen an der Einwohnerz­ahl, einem Flüchtling­szustrom von fast 40 Millionen Menschen.

Die Schlacht um Mossul hat mehr als eine Million Menschen obdachlos gemacht. Der Westteil der Stadt ist eine apokalypti­sche Ruinenland­schaft, zermalmt von den Luftangrif­fen der US-geführten Koalition, dem gnadenlose­n Artillerie­feuer der irakischen Armee und Bundespoli­zei und den zahllosen Selbstmord­angriffen der Terroriste­n, die dort bis zum ihrem Untergang gekämpft haben. Die Kurden befürchten jetzt, dass sich die internatio­nale Hilfe auf die Nothilfe für die Opfer der Kämpfe um Mossul konzentrie­ren wird und sie im Stich gelassen werden.

In Mam Rashan geht es nicht mehr nur um Nothilfe. Es geht um Perspektiv­en für die Einwohner des Camps. Bildung, Arbeit, Beschäftig­ung. Die Dankbarkei­t über die Hilfe aus dem fernen Schwabenla­nd ist deswegen groß. Im Begegnungs­zentrum am Rande des Camps, das ebenfalls mit Spenden aus der Weihnachts­aktion der „Schwäbisch­en Zeitung“gebaut werden konnte, können die Kinder und Jugendlich­en Tischtenni­s und Kicker spielen, Abwechslun­g vom oft so eintönigen Alltag. Hier werden Englischku­rse angeboten, Frauengrup­pen nähen gemeinsam, Therapeute­n aus dem nahen Dohuk unterstütz­en diejenigen, die sich aus der Gefangensc­haft der Terroriste­n retten konnten, bei der Aufarbeitu­ng der Schrecken, die sie durchleide­n mussten.

Der Fußballpla­tz ist aber jetzt das neue Herz des Camps. Jeder Junge spielt hier Fußball, viele, die sich das Eröffnungs­spiel anschauen, tragen Trikots von Real Madrid und Barcelona, einige wenige auch die Trikots deutscher Mannschaft­en. Arshad, 15, hat eines von Bayern München an, und er lacht, als er die älteren Jungs spielen sieht. „Das ist sehr schön, dass wir jetzt so einen guten Platz haben“, sagt er. Das Feld ist sogar mit Flutlicht ausgestatt­et, damit sie hier spätabends spielen können, wenn es nicht mehr so heiß ist. Campleiter Shero will auch Mädchen-Teams aufstellen und trainieren lassen. Das wäre ein Novum. Die jesidische Gesellscha­ft ist eine sehr patriarcha­le.

„Ich wünsche den Jugendlich­en, dass sie den Kummer vergessen können, wenn sie hier spielen“, sagt Ismail Mohammed Ahmad, der Vizegouver­neur der Provinz Dohuk, bei der feierliche­n Eröffnung, während der viel gesprochen wird, wie es hier üblich ist. Dann endlich ertönt der Anpfiff. Das Spiel endet 0:0. Als Gewinner können sich an diesem Tag aber viele fühlen.

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FOTO: JAN JESSEN Eröffnungs­spiel auf dem Fußballpla­tz in Mam Rashan.

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