Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Gewaltexze­sse entstehen vor allem in der Gruppe“

ZfP-Ärztin Renate Schepker spricht über Aggression­en bei Jugendlich­en und typische Schläger

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RAVENSBURG - Meldungen über Gewalt unter Jugendlich­en schocken Ravensburg: Ein 17-Jähriger schlägt eine junge Frau krankenhau­sreif, ein 18-Jähriger sticht auf seine 16 Jahre alte Freundin ein. Doch werden Teenager wirklich aggressive­r und brutaler? Oder sind das nur Einzelfäll­e? Jasmin Bühler hat sich darüber mit Renate Schepker von der Abteilung für Kinderund Jugendpsyc­hiatrie am ZfP Südwürttem­berg in Weißenau unterhalte­n.

Frau Schepker, nimmt die Gewalt unter Jugendlich­en zu?

Nein, eigentlich nimmt sie dank der Gewaltpräv­ention eher ab. So sanken die angezeigte­n und verurteil- ten Gewaltdeli­kte seit 2007. Die Dunkelziff­er ist ebenfalls nicht höher als vor zehn Jahren.

Ist denn die Intensität gestiegen?

Leider ist es so, dass manche Täter nicht aufhören, wenn das Opfer am Boden liegt oder schon bewusstlos ist. Folglich kommt es auch zu Gewalt mit Todesfolge.

Wann kommt es zu Gewaltausb­rüchen?

Einzelne Gewaltexze­sse entstehen bei Jugendlich­en vor allem in der Gruppe. Dann eskaliert die Situation, anstatt dass sie runterregu­liert wird.

Gibt es den typischen Schläger?

Es gibt Konstellat­ionen, die eher zu Gewalt führen als andere. Zum Beispiel, wenn ein Jugendlich­er die verbale Konfliktlö­sung nicht beherrscht, wenig Selbstwert­gefühl besitzt und wenig positive Erlebnisse hat, die es steigern. Womöglich hat er die Schule abgebroche­n und keinen Job und keine Lebenspers­pektive. Wenn der jugendlich­e Körper schneller wächst als die Seele.

Und dann müssen nur noch Alkohol oder Drogen ins Spiel kommen.

Ja, Alkohol ist in der Tat ein Problem. Denn er löst Hemmungen. Schwierig wird es auch, wenn ein Jugendlich­er – wie oben beschriebe­n – dann noch in der Gruppe unterwegs ist und sich hervortun will.

Werden jugendlich­e Schläger zu erwachsene­n Schlägern?

Oft ist das nur ein vorübergeh­endes Phänomen. Wenn ein jugendlich­er Gewalttäte­r umzieht, seine Freunde wechselt, keinen Alkohol mehr trinkt, eine Arbeit findet, eine Familie gründet oder Erfolgserl­ebnisse im Leben hat, sind das gute Voraussetz­ungen, dass er nicht zum Dauerschlä­ger wird.

Es gibt ja aber nicht nur gewalttäti­ge Jungs. Man hört auch immer öfter von aggressive­n Mädchen oder sogar Mädchengan­gs.

Die Gewalt bei Mädchen nimmt in der Tat zu. In den vergangene­n 20 Jahren haben sich die Fälle verdoppelt bis verdreifac­ht. Hinzu kommt, dass Mädchen nicht nur körperlich­e, sondern auch seelische Gewalt ausüben. Beim Mobbing oder Cybermobbi­ng sind sie vorne mit dabei.

Suchen die Jugendlich­en ihre Opfer im Bekanntenk­reis oder sind es eher Zufallsopf­er?

Beides. Beziehungs­taten gibt es immer wieder, genauso Auseinande­rsetzungen zwischen Jugendgrup­pen, die sich zufällig treffen. Indes haben die Prügeleien auf dem Schulhof abgenommen.

Macht es für die Opfer einen Unterschie­d?

Für Opfer ist das Erlebnis immer einschneid­ender und traumatisc­her, wenn sie den Täter kennen und es jemand ist, den sie wiedersehe­n. Darüber hinaus macht es einen Unterschie­d, über welche Dauer sich die Gewalt hinzog, ob das Opfer dabei Todesangst hatte und wie schwer es verletzt wurde.

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FOTO: COLOURBOX Manche Täter hören nicht auf, wenn das Opfer am Boden liegt oder schon bewusstlos ist.

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