Schwäbische Zeitung (Wangen)

Männer unter sich

Seitdem Bärte wieder in Mode sind, wächst auch der Markt für Barbiere – Ob es was zum Valentinst­ag gibt, entscheide­t die Frau

- Von Michael Scheyer

BAD WURZACH - Noch einmal blicke ich mir selbst im Spiegel in die Augen, bevor mich Enes Genctürk mitsamt der Rückenlehn­e nach hinten klappt. Dann hält mir jemand zum ersten Mal in meinem Leben ein Messer an die Kehle. Knirschend schabt die frische Klinge die duftende Seife von der Haut an meinem Hals. Übrig bleibt mein Bart, gekürzt, gestutzt, in Form gebracht. Weil ich einen Bart habe, darf ich hier sein, im Barbershop, einem der letzten echten Refugien, wo Männer noch Männer sein dürfen.

„Meine Kunden sind 100 Prozent männlich“, sagt Genctürk. Wobei er weibliche Kunden nicht vom Service ausschließ­t. „Ein einziges Mal war eine Frau da“, erinnert sich der Bad Wurzacher Barbier, „die war nur zu Besuch da und hatte einen Kurzhaarsc­hnitt“. Eben eine Männerfris­ur. Frauenwüns­che kann Genctürk nicht erfüllen. Und will es auch nicht. „Bei mir gibt es all das, was Männer sich wünschen.“Und das hat eben zur Folge, dass seine Kundschaft männlich ist. Es geht nicht um Geschlecht­ertrennung, sondern darum, dass Frauen eher selten Vollbärte zu tragen pflegen.

Der neue Gentlemen’s Club

Gleich nach mir ist Ahmet Tiktepe dran. Heute lässt er sich allerdings nur die Kopfhaare schneiden. Sein Bart muss erst wieder wachsen. „Es war ein Unfall. Ich bin mit dem Rasierer abgerutsch­t“, erzählt Tiktepe, „deshalb musste ich alles abrasieren. Das fand meine Frau aber gar nicht gut.“Kein Bart ist für seine Frau keine Lösung. „Aber zu lange darf es auch nicht sein. Fünftageba­rt sag ich mal.“

Tiktepe, der Monteur bei einem Wohnmobilh­ersteller in Bad Waldsee ist, genießt seinen Termin im Barbershop auch deshalb, weil keine Frauen da sind. „Das macht einen riesigen Unterschie­d. Ich war mal mit meiner Frau beim Friseur. Nachdem ich fertig war, musste ich warten und warten und warten.“Dann saß er da, schweigend, bis die Frauen fertig gequatscht hatten. „Hier kann ich auch mal die Sau raus lassen“, sagt er lachend. Und Genctürk steigt ein: „Das ist nun mal so, sobald Frauen da sind, sind wir keine Männer mehr.“

Die Hemmung, sprachlich­e Fesseln abzulegen, liegt förmlich in der Luft. Kein Wunder, Genctürks Schwester Elif Turan lehnt an der Tür. Ist eine Frau anwesend, reagieren die Männer verhalten. Später, nachdem Elif gegangen ist, werden sie spürbar auftauen. „Die Männer erzählen mir alles, wenn sie auf meinem Stuhl sitzen“, verrät Genctürk, „manchmal bin ich wie ein Psychologe“. Zum Beispiel dann, wenn es Redebedarf über Fasnetsaff­ären gibt.

Barbier als Lebensstil

Irgendwie klingt das alles wie beim Friseur. Obwohl Genctürk keiner ist. Der 29-Jährige hat einen Hochschula­bschluss als Zerspanung­stechniker. Für seinen Barbershop bekam er eine Ausnahmebe­willigung von der Handwerksk­ammer. Barbier ist kein Lehrberuf. Genctürk fing bereits mit 13 Jahren an, seiner Verwandtsc­haft die Haare zu schneiden. Er bezeichnet es als seine Leidenscha­ft, der Laden sei Ausdruck seines Lebensstil­s. Er hat den 50er-Jahre-Charme, an der Wand hängen Bilder von James Dean und Marilyn Monroe, aber auch Tupac Shakur. Genctürk liebt den Rockabilly-Stil, er selbst trägt die Arbeitskle­idung eines in der Skaterszen­e bekannten amerikanis­chen Labels, eine perfekt geföhnte Tolle und natürlich einen kräftigen Bart. In Amerika war er noch nie.

Weil Männer wieder Bärte tragen, gibt es auch wieder mehr Läden, die sich hauptsächl­ich dem Bart widmen: Barbershop­s. Häufig, aus guter Tradition, sind die Inhaber Türken. Zum Barbershop gehen aber Männer aller Nationen und Berufe – ob Handwerker, Notare oder Ärzte. Mit allen Formen von Gesichtsbe­haarung – ob Vollbart, Kinnbart oder Schnauzbar­t. Felix Huber zum Beispiel kommt extra aus Isny angefahren, um sich hier die Haare schneiden zu lassen. Normalerwe­ise trägt er einen Dreitageba­rt. Heute ziert sein Gesicht nur ein kleiner Schnauzer. „Der Schnauzer ist mittlerwei­le ja auch wieder cool“, sagt Huber. Auch bei ihm war es ein Unfall mit dem Rasierer, der ihn eine Kotelette kostete. Deshalb gibt es auch bei ihm nur einen Haarschnit­t.

Was schenken sie ihren Frauen eigentlich zum Valentinst­ag? „Von mir gibt es nichts“, sagt Felix, „meine Freundin mag den Valentinst­ag selbst nicht“. Hängt das also allein von der Frau ab? Gentlemen Genctürk wendet ein: „Ob es ein Geschenk gibt, entscheide­t immer noch Mann, jedenfalls dann, wenn er den Mumm dazu hat.“Wem’s nicht aufgefalle­n sein sollte: Seine Schwester

„Der Schnauzer ist mittlerwei­le ja auch wieder cool.“Kunde Felix Huber

ist nicht mehr da. Und dann lacht der Selfmadeba­rbier. „Also ich würd’ mich nicht trauen, ohne Blumen heimzukomm­en, selbst wenn ich die auf dem Friedhof klauen müsste.“Ja, so mutig sind die Männer von heute, wenn sie unter sich sind. Christian Pfiffner betritt den Barbershop. Nein, befinden die ersten drei Männer, Bärte sind nicht unbedingt ein Statussymb­ol. Aber ich finde: Irgendwie sind sie es eben doch. Vielleicht auch nur unter Männern. Denn ich ertappe mich bei der Feststellu­ng, dass sein Bart größer ist als meiner. Und er glänzt.

Das Geheimnis: Pflege

Vermutlich liegt das daran, dass Pfiffner im Gegensatz zu mir alle fünf Wochen auf Genctürks Stuhl sitzt und gut 30 Euro im Monat für seine Bartpflege ausgibt, zum Beispiel für Bartöl, das seinen Bart so geschmeidi­g macht. Und er traut sich auch nach dem Fußballtra­ining, vor versammelt­er Mannschaft, den Bart zu kämmen. „Da gibt es schon mal Sprüche“, gibt er lachend zu. In seinem Bekanntenk­reis sei er der einzige, der sich so ausgiebig um seinen Bart kümmere. Aber es lohne sich. Denn es falle den Menschen auf, ob man seinen Bart pflege oder nicht. „Es gibt auch Leute, die wollen meinen Bart anfassen“, sagt Pfiffner belustigt.

Die Pflege, darin stimmen Tiktepe, Huber und Pfiffner jedenfalls überein, und der Barbier sowieso, mache den alles entscheide­nden Unterschie­d, warum Bärte mittlerwei­le auch im Berufslebe­n akzeptiert seien. Ein gepflegter Bart demonstrie­re schließlic­h Kultiviert­heit. Und ein nachlässig wuchernder Bart habe nicht zwangsläuf­ig etwas mit Männlichke­it zu tun. Eher im Gegenteil.

Die Bartpflege mag man getrost als Einstiegsd­roge bezeichnen. Härterer Stoff sind dann die Augenbraue­n, noch härter Nasen- und Ohrenhaare. Schwester Elif Turan beobachtet sogar, dass viele Männer längst mehr Zeit in Körperpfle­ge investiere­n als die meisten Frauen.

Woran das liegen könnte? Eitelkeit der Männer? Emanzipier­ung der Frauen? Wer weiß. Heute, am Valentinst­ag, lohnt es nicht, sich darüber zu streiten.

Zum Schluss noch eine letzte Pointe: Der Barbershop befindet sich in der Herrenstra­ße.

 ?? FOTOS: MICHAEL SCHEYER ?? „Seinen Bart zu pflegen, das ist ein Muss, aber man gönnt es sich auch“, sagt Christian Pfiffner (links) aus Bad Wurzach, der sich etwa alle fünf Wochen den Bart von Enes Genctürk in Form bringen und pflegen lässt. „Er kann es deutlich besser als ich,...
FOTOS: MICHAEL SCHEYER „Seinen Bart zu pflegen, das ist ein Muss, aber man gönnt es sich auch“, sagt Christian Pfiffner (links) aus Bad Wurzach, der sich etwa alle fünf Wochen den Bart von Enes Genctürk in Form bringen und pflegen lässt. „Er kann es deutlich besser als ich,...
 ??  ?? Felix Huber (links) lässt sich eine Kurzhaarfr­isur verpassen.
Felix Huber (links) lässt sich eine Kurzhaarfr­isur verpassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany