Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Brite beobachtet von Ravensburg aus den Brexit

Brian Holloway lebt in Torkenweil­er – Er spürt schon jetzt die Auswirkung­en des geplanten Austritts aus der EU

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Eine unablässig winkende Figur der Queen steht auf dem Fenstersim­s im Wohnzimmer von Brian Holloway in Torkenweil­er. Auf dem Tisch steht eine große Tasse Schwarztee - „ohne Milch, ohne Zucker“, sagt Holloway. Er ist Brite. Von Ravensburg aus beobachtet er die Politik in seinem Heimatland. Den Brexit hält er für falsch. Und hat sich dadurch zu einem Schritt bewegen lassen, den er vor einigen Jahren noch abgelehnt hat.

Der Tag beginnt für Brian Holloway mit Tee und Nachrichte­n: Er liest am Tablet-Computer die BBC-News, die britischen Tageszeitu­ngen Guardian und Independen­t. Andere Zeitungen wie der Telegraph oder die Sun berichtete­n unausgewog­en mit Anti-EU-Haltung, sagt er. Brian Holloway zählt sich zu den „Remainern“– zu denen, die Großbritan­nien weiter in der EU sehen möchten.

Plädoyer für neues Referendum

Er plädiert für ein erneutes Referendum. „Das scheint der beste und einzig realistisc­he Schritt vorwärts zu sein.“Stattdesse­n wird seit Monaten über die Konditione­n des Austritts gerungen. Seit dem Referendum im Juni 2016 leben die Briten jetzt schon mit dieser Unsicherhe­it, die sie langsam satt haben, wie Holloway beobachtet. Denn genau diese Unsicherhe­it lasse Häuserprei­se fallen und bremse das Wirtschaft­swachstum ein. Immer mehr Läden müssten schließen und die Zahl der Autoverkäu­fe sinke, wie er hinzufügt. Vor diesem Hintergrun­d jubiliere niemand ernsthaft über das Ergebnis des Brexit-Referendum­s. „Ein Pyrrhussie­g in vielerlei Hinsicht“, sagt Holloway – ein Erfolg, der mit Opfern verbunden ist.

Die Diskussion um den Brexit betrifft auch ihn schon jetzt unmittelba­r. „Mein Einkommen aus Großbritan­nien, private und staatliche Renten, sank um 20 bis 30 Prozent, weil das Pfund im Vergleich zum Euro stark im Wert gefallen ist“, sagt er. Die Bemühungen der britischen Regierung, erneut mit der EU über den Austrittsv­ertrag zu verhandeln, hält er für aussichtsl­os. Er hat nach dieser jüngsten Entscheidu­ng des Parlaments den Eindruck, dass der Brexit ohne Vertragsgr­undlage näherrückt.

Weil er nicht weiß, wie es mit seinem Heimatland weitergeht, hat er sich entschiede­n, die deutsche Staatsbürg­erschaft zu beantragen. 2005 war er zunächst wegen eines Arbeitsang­ebots von einem Unternehme­n nach Ravensburg gekommen, er beriet die Firma im Bereich Einkauf, wie er erzählt. Dort lernte er seine heutige Lebensgefä­hrtin Anette Horn kennen, mit der er seit zwölf Jahren zusammenle­bt. Inzwischen arbeitet er selbststän­dig, vor allem unterricht­et er Angestellt­e von Firmen aus der Region in Technik-Englisch.

Den Antrag auf Staatsbürg­erschaft habe er in all den Jahren nie ernsthaft verfolgt, weil der Staat ihm zu viel wissen wollte, insbesonde­re über seine finanziell­e Ausstattun­g. „Aber diese Nachteile waren nach dem Brexit-Votum wie weggewisch­t“, sagt Holloway. Er hat einen Deutsch-Kurs besucht und eine Prüfung abgelegt. Seit März 2018 ist er Deutscher.

Seine Heimat besucht er trotzdem noch oft. Zuletzt war er im Januar mit einer Delegation dort, um die Partnersch­aft zwischen Ravensburg und der walisische­n Stadt Rhondda Cynon Taf zu pflegen. Vor allem der Jugendaust­ausch müsste aufrechter­halten werden, auch wenn es zum Brexit kommt, meint Holloway. „Die jungen Menschen haben das Gefühl, als hätte man ihnen ein Stück Freiheit genommen.“Viele von ihnen beschuldig­ten die ältere Generation, für den Brexit verantwort­lich zu sein.

Erhebliche Kritik äußert er an der Kampagne der Brexit-Befürworte­r vor der Umfrage. Sie hätten gesellscha­ftlich abgehängte Bürger und ältere Menschen unter anderem mit Schreckges­chichten über die Einwanderu­ng aufgestach­elt und an die Wahlurnen geholt.

Nun gehe ein Riss durch die Gesellscha­ft – und durch Familien und Freundeskr­eise. „Ich hatte letzten Sommer eine Diskussion mit einem Leaver (Anmerkung der Redaktion: Wähler, die für den Austritt aus der EU gestimmt haben) in meiner Familie. Er behauptete felsenfest, dass das Vereinigte Königreich ein großartige­s Austrittsa­bkommen mit der EU erhalten werde, weil die Briten angeblich ein Viertel der produziert­en BMW kaufe“, sagt Holloway. Das sei Unsinn und zeuge von Unwissenhe­it, die häufig in Diskussion­en zu Tage trete.

Brite durch und durch

Holloway ist Brite durch und durch – Brexit hin oder her. Eher reserviert, neigt nicht zu Gefühlsaus­brüchen, sagt seine Partnerin. Wie James Bond eben, sagt er.

Wenn er unterwegs ist, hat er jetzt etwas mit dem Geheimagen­ten gemeinsam: Er hat mehrere Pässe, unter denen er wählen kann. „Mit der deutschen Nationalit­ät kann ich andere EU-Länder einfach betreten und wieder verlassen. Ich kann außerdem dort arbeiten, was ich von Zeit zu Zeit auch mache“, sagt Holloway.

„Kürzlich war die doppelte Staatsbürg­erschaft für mich schon nützlich, als ich bei einer Reise ins Vereinigte Königreich weil ich drei Reisedokum­ente dabei hatte und damit die Wahl, das zu benutzen, das mich am schnellste­n durch die Grenzkontr­olle brachte.“

Brian Holloway erzählt über seine Sicht auf den Brexit im Video unter schwaebisc­he.de/brexit-rv

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LENA MÜSSIGMANN FOTO: Brian Holloway beginnt seinen Tag mit Tee und britischen Nachrichte­n. Was er über den Brexit und seine Folgen liest, gefällt ihm nicht.

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