Ein wahrer Thriller um einen „Ritualmord“
Robert Steinhauser liest in Kißlegg aus „Der Judenziegel“– Verfolgung im Mittelalter ist Thema
KISSLEGG – Was im Vorspann von Horrorfilmen für mehr Spannung sorgen soll, trifft auch auf den Thriller von Robert Steinhauser zu. Eine Autorenlesung zu „Der Judenziegel – Vergangenheit ruht niemals“gab es am Freitagabend im Rahmen der Kißlegger Kulturtage im Neuen Schloss.
Die Rahmenerzählung spielt in der Jetztzeit: Zwei Brüder finden in Ravensburg in ihrem Elternhaus eine seltsame Fratze. Für sie spielt es eine große Rolle, ob ihr Eigentum historisch belastet ist. Die „Fratze“entpuppt sich als ein historischer Schmähziegel. „Den habe ich bei einem Museumsbesuch im Ravensburger Humpisquartier gesehen“, berichtete Steinhauser, gebürtig in Weingarten und heute wohnhaft in Kißlegg. „Dabei kam mir die Idee zu dem Buch“. Anneliese Welte, die Kulturbeauftragte der Gemeinde Kißlegg, fügte an: „Und das war eine gute Idee! Danke, dass sie ins Museum gegangen sind.“
Toter Lateinschüler im Altdorfer Wald
Einst blickte jener Schmähziegel, ein Gesicht mit Bart und „Judenhut“, vom grünen Turm aus in die Ravensburger Judengasse (heute „GrünerTurm-Straße“). Judengassen gab es seinerzeit zuhauf. Auch eine in Kißlegg, die aber längst in Vergessenheit geraten ist, und an die heute nichts mehr erinnert. Anhand einer jüdischen Arztfamilie führt Robert Steinhauser durch die Handlungen im Mittelalter. Darunter auch regionale Pogrome, etwa 1348, als Juden beschuldigt wurden, Brunnen vergiftet zu haben. Zuflucht suchen sie auf der Veitsburg. Erfolglos.
Die Haupthandlung dreht sich aber um den Fall Ludwig Etterlein: Im Jahr 1429 verschwindet dieser 14jährige christliche Lateinschüler im Altdorfer Wald. Schnell wird sein Verschwinden mit einer großen jüdischen Hochzeit in Verbindung gebracht. Gefunden wird der Leichnam des Ludwig Etterlein von Wilderern. Die Vermutung des Stadtarztes, es handele sich beim Ableben um einen Suizid, will niemand hören. Ein anderer Verdacht macht die Runde: Die Juden brauchen Kinderblut für ihre „Rituale“. Absurd.
Noch an Ort und Stelle wird Ludwig Etterlein eingesargt und begraben. Die Grabstätte entwickelt sich in kürzester Zeit zur Pilgerstätte. Immer wieder wird der Vorwurf laut, ein „jüdischer Ritualmord“sei Grund für das Ableben des jungen Christen. In Steinhausers Thriller predigt sogar ein Priester in der Sankt-Jodokskirche: „Seit dem Tag, an dem die Juden das Blut des Herrn auf sich geladen haben, gieren sie nach Christenblut.“Der Autor erklärte dazu: „Dass Papst und Kaiser es verboten hatten, Ritualmorde mit dem Judentum in Verbindung zu bringen, wurde nicht nur in Ravensburg ignoriert.“Die Mutter des Verstorbenen hat sich im Wald platziert, um das Grab zu bewachen und Votivgaben entgegen zu nehmen. „Ihr liegt natürlich daran, dass ihr Sohn im Volksglauben Märtyrer bleibt und nicht als Selbstmörder dasteht“, erläuterte Steinhauser.
Eine Hetzjagd beginnt. Unter Folter werden Aussagen und Geständnisse gemacht. Menschen werden verbrannt und gerädert. Dennoch ist Robert Steinhausers Buch kein Werk der Brutalität. „Weil alles halt schon Jahrhunderte her ist“, mag sich mancher denken. In den Köpfen aber bleiben solche Ereignisse lange hängen. Und sie werden instrumentalisiert: In Folge dieses „Ritualmords“beschließen süddeutsche Städte, keinen Juden mehr in ihren Mauern ansiedeln zu lassen. „Das ging bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts“, so Steinhauser. Im Jahr 1935 wurde der Ritualmord im „Oberschwäbischen Anzeiger“als historische Tatsache dargestellt und in Julius Streichers „Der Stürmer“werden entsprechende Zeichnungen abgedruckt.
Die NS-Zeit wird in dem Buch allerdings nur peripher erwähnt. Robert Steinhauser möchte, wie er sagt, die tiefen Wurzeln des Antisemitismus aufzeigen und das „Haftenbleiben“von Vorwürfen und Vorurteilen.
Der Thriller ist in acht Kapitel gegliedert und erschien im Südwestbuchverlag. Der Preis beträgt 12,80 Euro. In der „Bücherstube“in Kißlegg stehen auch signierte Exemplare zum Verkauf.