Rauf aufs Ross zum Runterkommen
Das Reittherapiezentrum in Nürnberg sucht Nachfolger für seine gealterten Pferde – Bedarf an therapeutischem Reiten ist ungebrochen hoch
NÜRNBERG (epd) - Beauty muss nicht mehr ran. Seit Jahren ist die Ponydame nahezu täglich für die Kinder, die zum heilpädagogischen Reiten ins „Carpe Diem“im MartinLuther-Haus der Stadtmission kommen, im Einsatz gewesen. Nun darf Beauty auf dem weitläufigen Gelände in Ruhe alt werden. „Putzen lässt sie sich aber immer noch gerne, und das dürfen die Kinder auch“, sagt Daniela Höpfel.
Die Reitpädagogin betreut die sechs Tiere der Tagesstätte im Nordosten Nürnbergs, von denen noch zwei weitere bald in den Ruhestand gehen müssen. Der Bedarf an therapeutischem Reiten ist ungebrochen hoch. Aber für neue Tiere fehlt es am Geld. Die jüngsten kleinen Klienten von Daniela Höpfel sind fünf Jahre alt. Es sind aber auch schon dreijährige Mädchen auf Pila und ihren Pferdekolleginnen gesessen. „Oft kommen Kinder mit Wahrnehmungsstörungen oder die ein Trauma verarbeiten müssen“, erklärt Höpfel. Viele seien aber auch hyperaktiv und bereits medikamentös eingestellt. „Mit dem Pferd kommen auch solche Kinder dann besser zur Ruhe“, sagt sie. Sogar Epileptiker dürfen auf dem Pferderücken Platz nehmen.
Dabei sei nicht immer jedes Pferd auch für jedes Kind geeignet. Ein Pferd dürfe nicht zu forsch sein, aber auch nicht zu ruhig. Zudem gehe es um Sympathie und Charakter, wie beim Menschen auch. Und um Maße: Ist beim Pferd die Hüfte zu breit, haben eventuell behinderte Kinder größere Probleme, damit klarzukommen.
Der Blick fürs richtige Pferd
„Es muss ein Feedback geben zwischen Kind und Pferd“, sagt Höpfel. Ist ein Kind vom Wesen her zu sprunghaft oder drückt beim Putzen mal etwas hart auf, dürfe das Tier nicht gleich erschrecken – aber eben auch nicht gleichgültig sein. Gar nicht so einfach sei es, die richtigen Kandidaten zu finden. „Bei unserer letzten Anschaffung haben wir uns 15 Pferde angeschaut, und nur zwei kamen infrage“, erzählt Höpfel. Soll das Pferd beispielsweise Schritt geritten werden, gehe das aber auch gut noch im höheren Alter, abhängig immer von der gesundheitlichen Konstitution.
In regelmäßigen Teamsitzungen besprechen die Mitarbeiter von „Carpe Diem“nicht nur die Fortschritte bei den Kindern, sondern auch die Situation der Pferde. „Am Ende müssen wir ein Dreierteam sein, bestehend aus Klient, Tier und Therapeut“, sagt Höpfel. Dazu gehöre nicht zuletzt, dass sich Therapeut und Pferd quasi blind verstehen. Im Fokus stehe bei der Reittherapie aber immer das Kind, dessen Sozialverhalten, Emotionalität, Wahrnehmung und Motorik sowie dessen lebenspraktische Fähigkeiten geschult werden sollen.
Damit das klappt, komme bei einem neuen Pferd meist ein Kollege mit dazu, sodass sich eine Person ausschließlich um das Kind kümmern kann. Zwei bis drei Stunden am Tag wird ein Tier dann eingesetzt. „Das reicht vollkommen. Ansonsten gilt nur Koppel, Koppel, Koppel“, meint Höpfel. Die Reittherapie am Martin-Luther-Haus sei ein „Leuchtturm“, sagt Christian Debebe, Leiter der Zentralen Pädagogischen Dienste beim Jugendhilfeverbund der Stadtmission. „Man kann es natürlich nicht messen, aber unsere Kinder profitieren merklich von dem Umgang mit den Pferden.“
Nur die Hälfte kommt zum Zug
Jedes Jahr habe man um die 40 Interessenten, von denen man mit den eigenen Ressourcen nur etwa die Hälfte bedienen könne. „Unser heilpädagogisches Angebot können wir in diesem Fall eben nicht einfach mit einem Raum und einer Fachkraft bedienen, sondern wir brauchen neben den Tieren auch Platz, Futter und eine Reithalle sowie Rund-um-dieUhr-Versorgung“, meint Debebe.
Für Beauty gilt das auch, bis zum letzten Tag. „Wer ausgedient hat, muss nicht zum Metzger, sondern darf bei uns auf dem Hof bleiben.“