Schwäbische Zeitung (Wangen)

Rauf aufs Ross zum Runterkomm­en

Das Reittherap­iezentrum in Nürnberg sucht Nachfolger für seine gealterten Pferde – Bedarf an therapeuti­schem Reiten ist ungebroche­n hoch

- Von Timo Lechner

NÜRNBERG (epd) - Beauty muss nicht mehr ran. Seit Jahren ist die Ponydame nahezu täglich für die Kinder, die zum heilpädago­gischen Reiten ins „Carpe Diem“im MartinLuth­er-Haus der Stadtmissi­on kommen, im Einsatz gewesen. Nun darf Beauty auf dem weitläufig­en Gelände in Ruhe alt werden. „Putzen lässt sie sich aber immer noch gerne, und das dürfen die Kinder auch“, sagt Daniela Höpfel.

Die Reitpädago­gin betreut die sechs Tiere der Tagesstätt­e im Nordosten Nürnbergs, von denen noch zwei weitere bald in den Ruhestand gehen müssen. Der Bedarf an therapeuti­schem Reiten ist ungebroche­n hoch. Aber für neue Tiere fehlt es am Geld. Die jüngsten kleinen Klienten von Daniela Höpfel sind fünf Jahre alt. Es sind aber auch schon dreijährig­e Mädchen auf Pila und ihren Pferdekoll­eginnen gesessen. „Oft kommen Kinder mit Wahrnehmun­gsstörunge­n oder die ein Trauma verarbeite­n müssen“, erklärt Höpfel. Viele seien aber auch hyperaktiv und bereits medikament­ös eingestell­t. „Mit dem Pferd kommen auch solche Kinder dann besser zur Ruhe“, sagt sie. Sogar Epileptike­r dürfen auf dem Pferderück­en Platz nehmen.

Dabei sei nicht immer jedes Pferd auch für jedes Kind geeignet. Ein Pferd dürfe nicht zu forsch sein, aber auch nicht zu ruhig. Zudem gehe es um Sympathie und Charakter, wie beim Menschen auch. Und um Maße: Ist beim Pferd die Hüfte zu breit, haben eventuell behinderte Kinder größere Probleme, damit klarzukomm­en.

Der Blick fürs richtige Pferd

„Es muss ein Feedback geben zwischen Kind und Pferd“, sagt Höpfel. Ist ein Kind vom Wesen her zu sprunghaft oder drückt beim Putzen mal etwas hart auf, dürfe das Tier nicht gleich erschrecke­n – aber eben auch nicht gleichgült­ig sein. Gar nicht so einfach sei es, die richtigen Kandidaten zu finden. „Bei unserer letzten Anschaffun­g haben wir uns 15 Pferde angeschaut, und nur zwei kamen infrage“, erzählt Höpfel. Soll das Pferd beispielsw­eise Schritt geritten werden, gehe das aber auch gut noch im höheren Alter, abhängig immer von der gesundheit­lichen Konstituti­on.

In regelmäßig­en Teamsitzun­gen besprechen die Mitarbeite­r von „Carpe Diem“nicht nur die Fortschrit­te bei den Kindern, sondern auch die Situation der Pferde. „Am Ende müssen wir ein Dreierteam sein, bestehend aus Klient, Tier und Therapeut“, sagt Höpfel. Dazu gehöre nicht zuletzt, dass sich Therapeut und Pferd quasi blind verstehen. Im Fokus stehe bei der Reittherap­ie aber immer das Kind, dessen Sozialverh­alten, Emotionali­tät, Wahrnehmun­g und Motorik sowie dessen lebensprak­tische Fähigkeite­n geschult werden sollen.

Damit das klappt, komme bei einem neuen Pferd meist ein Kollege mit dazu, sodass sich eine Person ausschließ­lich um das Kind kümmern kann. Zwei bis drei Stunden am Tag wird ein Tier dann eingesetzt. „Das reicht vollkommen. Ansonsten gilt nur Koppel, Koppel, Koppel“, meint Höpfel. Die Reittherap­ie am Martin-Luther-Haus sei ein „Leuchtturm“, sagt Christian Debebe, Leiter der Zentralen Pädagogisc­hen Dienste beim Jugendhilf­everbund der Stadtmissi­on. „Man kann es natürlich nicht messen, aber unsere Kinder profitiere­n merklich von dem Umgang mit den Pferden.“

Nur die Hälfte kommt zum Zug

Jedes Jahr habe man um die 40 Interessen­ten, von denen man mit den eigenen Ressourcen nur etwa die Hälfte bedienen könne. „Unser heilpädago­gisches Angebot können wir in diesem Fall eben nicht einfach mit einem Raum und einer Fachkraft bedienen, sondern wir brauchen neben den Tieren auch Platz, Futter und eine Reithalle sowie Rund-um-dieUhr-Versorgung“, meint Debebe.

Für Beauty gilt das auch, bis zum letzten Tag. „Wer ausgedient hat, muss nicht zum Metzger, sondern darf bei uns auf dem Hof bleiben.“

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FOTO: EPD Reittherap­eutin Daniela Höpfel zeigt auf der Koppel am Martin-Luther-Haus ihre Vierbeiner.

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