Unerbittliche Klarheit
Der 1914 in Moskau geborene Dirigent Kirill Kondraschin zählt zu den bedeutendsten Mahler- Pionieren der Sowjetunion. Sein rigoroser „ Totaleinsatz“für den auch in der UdSSR lange verpönten Spätromantiker und vor allem die unerbittliche Klarheit seines Ansatzes sind durchaus vergleichbar mit den Aktivitäten so prominenter Mahler- Förderer wie Leonard Bernstein, Rafael Kubelik oder Georg Solti. Bereits in den 1960er Jahren, als Mahler auch hierzulande noch umstritten war, setzte er sich vehement für den „ dekadenten Westler“ein und nahm fast alle seine Sinfonien ( außer der Zweiten und der Achten) auf. In gewisser Weise besiegelte Mahler auch sein Schicksal: Nur wenige Stunden, nachdem er im März 1981 in Amsterdam für den erkrankten Klaus Tennstedt eingesprungen war und aus dem Stegreif eine fulminante Interpretation der Ersten Mahlers dirigiert hatte, verstarb Kondraschin an einer Herzattacke. Drei frühe Stereo- Dokumente der Sinfonien 1, 5 und 9 mit den Moskauer Philharmonikern ( von 1967 – 1974) hat Melodiya jetzt in einer 7- CD- Edition wiederveröffentlicht und dem historischen Dreierpack aktuelle Aufnahmen derselben Werke mit dem Tatarstan National Symphony Orchestra unter Alexander Sladkovsky hinzugefügt: Der heute 51- jährige Dirigent, dem viele in Russland eine Weltkarriere prophezeihen, übernahm das zuvor kaum bekannte Provinzorchester aus Kazan im Jahr 2010 und hat es in kurzer Zeit zu erstaunlicher Qualität entwickelt. So kann der Käufer hier direkte Hörvergleiche vornehmen, die aber die überragende Mahler- Kompetenz Kondraschins nur unterstreichen. Denn alle drei von ihm geleiteten Aufnahmen setzen neue Maßstäbe an Klarheit, Prägnanz und einer auf den ideellen Kern der Werke gerichteten igorosen Wahrhaftigkeit, die alles subjektive Pathos, alle Wehleidigkeit und allen Glamour konsequent ausblendet und so die Modernität Mahlers und das utopische Potenzial seiner Musik herausschält. Sladkovsky und seine überaus kultiviert spielenden Tatarstan Symphoniker halten mit breiten Tempi und üppigem Wohllaut dagegen, reihen sich also achtbar ein in den heute üblichen Mahler- Mainstream. Gegen Kondraschins Furor aber verblassen sie. Die Klangqualität des aktuellen Dreierpacks entspricht heutigen Standards, während die drei historischen Dokumente behutsam remastert wurden und für ihr Alter noch sehr frisch und knackig klingen.