Die amtierende Diva des Jazz- Gesangs
Bruchlos wechselt Dianne Reeves aus den tiefen Tonregionen, die normalerweise einem Bariton vorbehalten sind, in die Kopfstimmenspitzen eines Soprans. Das konnten und können nur wenige Sängerinnen. Zudem gestaltet jede Silbe der Texte, und im textfreien Vokalgesang ist jeder Ton blitzsauber gesetzt. Perfekter intoniert keine Sängerin der aktuellen Jazzszene. Und ausdrucksstärker auch nicht. Nicht zu vergessen die scheinbar mühelose und dabei klischeefreie Ausgestaltung umfassender Scat- Passagen, die man in dieser Geschmeidigkeit auch selten zu hören bekommt. Mit diesen umfassenden Kompetenzen konnte Reeves am 9. August 2016 mühelos neben einem Quintett bestehen, das für das Festival publikum im französischen Ort Marciac impulsstark und laut abgemischt wurde. Wie eine Singer- Songwriterin geht sie Fleetwood Macs Rockballade „ Dreams“an, und in „ Minuano“rückt sie – ohne das Stück zu beschädigen – den in Pat Methenys Original im Hintergrund angesiedelten Vokalgesang nach vorn, während der Gitarrist Romero Lubambo nach hinten rückt. Mit der Bossa- Ballade „ Nine“erinnert sie sich mit Text und Scat an ihre Kindheit, bevor sie Wayne Shorters „ Infant Eyes“in einer wunderbaren Balladenversion aufschlägt. Hatte Grégoire Maret schon in „ Minuano“mit der Mundharmonika für emotionale Wärme gesorgt, so bilden seine obertonreich vibrierenden Klänge in Shorters Klassiker einen großartigen Kontrast zu Reeves klarer Stimme. Weite Passagen von Miles Davis‘ „ All Blues“gestalten Reeves und Reginald Veal als packendes Duett von Stimme und Kontrabass. Da die meisten anderen Stücke eher von einem dezenten Rockfeeling getragen sind, hat er für diese einen Elektrobass umgehängt. Einen Eindruck von der Publikum und Band verschmelzenden Festivalatmosphäre vermittelt vor allem der Wechselgesang von Reeves und dem Publikum in der Zugabe „ Beautiful“. Es war ein großer Abend in der französischen Provinz, eine erleuchtete Nacht.