Thüringische Landeszeitung (Gera)

Lärm und Abgase plagen Gemeinden

Deutschlan­ds ältestes Umgehungss­traßenproj­ekt findet sich in Großebersd­orf: Es begann 1934

- VON ANDREAS HUMMEL

GROßEBERSD­ORF. Arnd Goldhardt hat den dichten Verkehr vor seiner Haustür satt. „Wir können hier schon lange nicht mehr bei offenem Fenster schlafen“, beklagt er. „Ab morgens halb vier wird es extrem laut.“Goldhardt ist Ortsteilbü­rgermeiste­r von Großebersd­orf, wo sich südwestlic­h von Gera die Bundesstra­ßen 2 und 175 treffen. Bis zu 14 000 Fahrzeuge passierten den kleinen Ort täglich, schildert er.

Im benachbart­en Frießnitz ist die Straße gar so eng, dass viele Lastwagen stoppen müssen, weil sie sonst mit dem Gegenverke­hr zusammenst­oßen würden.

Die drei Nachbargem­einden Großebersd­orf, Frießnitz und Burkersdor­f kämpfen deswegen seit vielen Jahren für eine Umgehungss­traße – und sind damit in Thüringen bei weitem nicht allein. Wer durch den Freistaat fährt, begegnet vielerorts Schildern, auf denen sich Anwohner über Lärm und Abgase beschweren und eine Umgehungss­traße fordern. Etliche Orte haben es in den vordringli­chen Bedarf des Bundesverk­ehrswegepl­ans 2030 geschafft – Kallmerode, Greußen und Gebesee zum Beispiel, aber auch Meuselwitz, Tüttleben, Buttelsted­t und Gräfentonn­a.

Wird Thüringen nun, da das Autobahnne­tz großzügig ausgebaut ist, zum Land der Umgehungss­traßen? Seit 2001 wurden laut Verkehrsmi­nisterium in Erfurt 36 Abschnitte von Ortsumfahr­ungen mit einer Länge von 120 Kilometern gebaut und dafür mehr als 449 Millionen Euro ausgegeben. Bis 2030 sollen nun weitere 38 mit einer Länge von 200 Kilometern und Kosten von mehr als 868 Millionen Euro hinzukomme­n. Ziel sei es, in besonders verkehrsge­plagten Orten, Anwohner von Lärm und Abgasen zu entlasten, betont Verkehrsmi­nisterin Birgit Keller (Linke).

Die Pläne stoßen nicht überall auf Begeisteru­ng. Von „reiner Betonpolit­ik“und einem „verkehrspo­litischen Desaster“ spricht der Landesgesc­häftsführe­r des Umweltverb­andes BUND, Burkhard Vogel. Da mit dem Bau weiterer Straßen noch mehr Fläche versiegelt und die Landschaft zerschnitt­en werde, dürfe der Aus- und Neubau solcher Strecken nur das letzte Mittel sein, fordert er. Alternativ­en, den Straßenver­kehr auf andere Weise aus den Orten zu bringen, würden nicht geprüft oder nur halbherzig angegangen. Als Beispiele nannte er eine Lkw-Maut auf allen Bundesstra­ßen und den Ausbau von Bahnstreck­en samt besserem Angebot im Nahverkehr.

„Der Straßenver­kehr ist die Lärmquelle Nummer 1“, sagte Frank Zacharias, Lärmexpert­e der Landesanst­alt für Umwelt und Geologie. Er kann deswegen die Anwohner stark befahrener Straßen verstehen. Doch werde mit Umgehungss­traßen das Problem nur verlagert. Bedacht werden müsse auch, dass für Handel und Gastgewerb­e Kunden wegbrechen, wenn der Verkehr nicht mehr durch, sondern um einen Ort herum fließt.

Das Ringen um die Ortsumfahr­ung in Großebersd­orf dauert mehr als 80 Jahre. Aus einem Ordner kramt der 60-Jährige Goldhardt ein auf den 26. Juni 1934 datiertes Schreiben hervor. Das Thüringisc­he Kreisamt Gera ist als Absender ausgewiese­n. Die Behörde kündigt Vermessung­sarbeiten für die Verlegung der Fernstraße an. Goldhardt sagt: „Wir sind Deutschlan­ds ältestes Umgehungss­traßenproj­ekt.“

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