Thüringische Landeszeitung (Gera)
Lärm und Abgase plagen Gemeinden
Deutschlands ältestes Umgehungsstraßenprojekt findet sich in Großebersdorf: Es begann 1934
GROßEBERSDORF. Arnd Goldhardt hat den dichten Verkehr vor seiner Haustür satt. „Wir können hier schon lange nicht mehr bei offenem Fenster schlafen“, beklagt er. „Ab morgens halb vier wird es extrem laut.“Goldhardt ist Ortsteilbürgermeister von Großebersdorf, wo sich südwestlich von Gera die Bundesstraßen 2 und 175 treffen. Bis zu 14 000 Fahrzeuge passierten den kleinen Ort täglich, schildert er.
Im benachbarten Frießnitz ist die Straße gar so eng, dass viele Lastwagen stoppen müssen, weil sie sonst mit dem Gegenverkehr zusammenstoßen würden.
Die drei Nachbargemeinden Großebersdorf, Frießnitz und Burkersdorf kämpfen deswegen seit vielen Jahren für eine Umgehungsstraße – und sind damit in Thüringen bei weitem nicht allein. Wer durch den Freistaat fährt, begegnet vielerorts Schildern, auf denen sich Anwohner über Lärm und Abgase beschweren und eine Umgehungsstraße fordern. Etliche Orte haben es in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans 2030 geschafft – Kallmerode, Greußen und Gebesee zum Beispiel, aber auch Meuselwitz, Tüttleben, Buttelstedt und Gräfentonna.
Wird Thüringen nun, da das Autobahnnetz großzügig ausgebaut ist, zum Land der Umgehungsstraßen? Seit 2001 wurden laut Verkehrsministerium in Erfurt 36 Abschnitte von Ortsumfahrungen mit einer Länge von 120 Kilometern gebaut und dafür mehr als 449 Millionen Euro ausgegeben. Bis 2030 sollen nun weitere 38 mit einer Länge von 200 Kilometern und Kosten von mehr als 868 Millionen Euro hinzukommen. Ziel sei es, in besonders verkehrsgeplagten Orten, Anwohner von Lärm und Abgasen zu entlasten, betont Verkehrsministerin Birgit Keller (Linke).
Die Pläne stoßen nicht überall auf Begeisterung. Von „reiner Betonpolitik“und einem „verkehrspolitischen Desaster“ spricht der Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND, Burkhard Vogel. Da mit dem Bau weiterer Straßen noch mehr Fläche versiegelt und die Landschaft zerschnitten werde, dürfe der Aus- und Neubau solcher Strecken nur das letzte Mittel sein, fordert er. Alternativen, den Straßenverkehr auf andere Weise aus den Orten zu bringen, würden nicht geprüft oder nur halbherzig angegangen. Als Beispiele nannte er eine Lkw-Maut auf allen Bundesstraßen und den Ausbau von Bahnstrecken samt besserem Angebot im Nahverkehr.
„Der Straßenverkehr ist die Lärmquelle Nummer 1“, sagte Frank Zacharias, Lärmexperte der Landesanstalt für Umwelt und Geologie. Er kann deswegen die Anwohner stark befahrener Straßen verstehen. Doch werde mit Umgehungsstraßen das Problem nur verlagert. Bedacht werden müsse auch, dass für Handel und Gastgewerbe Kunden wegbrechen, wenn der Verkehr nicht mehr durch, sondern um einen Ort herum fließt.
Das Ringen um die Ortsumfahrung in Großebersdorf dauert mehr als 80 Jahre. Aus einem Ordner kramt der 60-Jährige Goldhardt ein auf den 26. Juni 1934 datiertes Schreiben hervor. Das Thüringische Kreisamt Gera ist als Absender ausgewiesen. Die Behörde kündigt Vermessungsarbeiten für die Verlegung der Fernstraße an. Goldhardt sagt: „Wir sind Deutschlands ältestes Umgehungsstraßenprojekt.“