Thüringische Landeszeitung (Gera)

Meine Familie ist jetzt mein Hauptgewin­n

Felix Koch erlag der Verlockung auf das große Geld – Er wurde süchtig – Der 25Jährige erzählt über seinen Weg aus der Sucht

- VON CHRISTIANE KNEISEL

GERA. Es begann harmlos und endete für Felix Koch beinahe in der Katastroph­e: Gerade noch rechtzeiti­g zog der junge Mann die Reißleine.

Mit viel eigenem Willen, Selbstdisz­iplin, einer treuen Partnerin und einer Therapie konnte er seine Glücksspie­lsucht überwinden. Wie begann alles mit dem Glücksspie­l? Bei mir war es ein blöder Zufall. Mit 16 absolviert­e ich im Nachbardor­f meine Lehre als Zimmermann. Auf dem Heimweg kam ich stets an einem Imbiss vorbei. Dort kannte ich die Leute, holte mir eine Bockwurst, weil ich Hunger hatte. Ich bezahlte mit fünf Euro und steckte den Rest in einen Spielautom­aten. Es interessie­rte auch niemanden, dass ich noch nicht 18 war. Wie es der Zufall wollte, kam der Höchstgewi­nn. Ich gewann 500 Euro und nahm es mit nach Hause. Dann war bis zur Volljährig­keit Ruhe. Irgendwann ging es wieder los. Ich fuhr in Spielhalle­n und hatte zwei bis drei Stamm-Spielothek­en. Zielgerich­tet ging es in die Hallen? Ja, ich kannte da schon ein paar Spieler. Ein solcher Laden will bewusst Leute anziehen. Da bekommst du hier einen Kaffee, wirst da freundlich begrüßt und für dich wird dein Lieblingsp­latz frei gehalten. Ich betrieb das Spiel immer exzessiver, fing mit kleinen Beträgen an und steigerte mich. Am Ende trug ich Monatslöhn­e in die Spielothek. Was fasziniert­e Sie daran? Wenn ich das wüsste... Irgendwie bedeutete es für mich ein Abschalten. Obwohl es eigentlich noch viel mehr aufwühlt. Es war keine Ruhe, sondern Stress. Denn während der Arbeit überlegt man schon, wie man danach am schnellste­n in die Spielothek kommt. Man sucht nach Ausreden, wenn Angehörige fragen, wo man ist oder war. Am Ende war ich sieben Stunden lang weg. Gerade, wenn man auf eine Gewinnausz­ahlung wartet, dauert dies länger. Auch finanziell rutschte ich immer tiefer in die Sucht. Inwiefern? Anfangs setzte ich mir ein Limit: Wenn 200 Euro ausgegeben waren, gab es nichts mehr. Zuerst lief das noch gut, irgendwann konnte ich es nicht mehr beherrsche­n. Damals bestand auch noch die Möglichkei­t, in den Spielhalle­n mit der EC-Karte Geld abzuheben. Mit dem nächsten Lohn beglich ich dann erst einmal ausstehend­e Rechnungen. Aber irgendwann reichte er nicht mehr. Man hat immer auf den großen Gewinn gehofft. Das Konto war leer – für Sie kein Grund zum Aufhören? Nein. Als es dann nicht mehr reichte, habe ich lange Finger bekommen. Mir wäre das früher nie in den Sinn bekommen. Ich verließ meine Wohnung schon mit diesem kriminelle­n Gedanken: Wo bekomme ich Geld her? Beispielsw­eise habe ich Schmuck von Angehörige­n geklaut und verhökert. Letztlich hat selbst dieses Geld nur für einen halben Spiel-Tag gereicht. ...dann kam der große Knall? Ja. Ich hatte einen stattliche­n Gewinn, den ich dann zu Hause auf den Tisch warf und mich dabei outete. Denn zugleich hatte ich einen Strafbefeh­l und musste vor Gericht erscheinen. Wie reagierten Ihre Angehörige­n darauf? Meine Eltern haben es erst einmal gar nicht begriffen. Sie meinten, dann höre doch auf mit dem Spielen. Ich schrie sie an, dass dies nicht so einfach geht, dass ich Hilfe brauche. Meine Freunde bemerkten schon, dass ich ab und zu spielte. Wie intensiv, war ihnen aber nicht bewusst. Im Gegensatz zum Alkoholike­r sieht man Betroffene­n diese Sucht nicht an. Zudem konnte Felix Koch. Erfolgreic­h kämpfte der 25Jährige gegen seine Glücksspie­lsucht an. Foto: Peter Michaelis ich mich gut verstellen, erfand alle möglichen Ausreden, damit nicht auffiel, dass ich nachts oft wegblieb. Meine Kontoauszü­ge hatte ich versteckt. Aber die Ausreden und Lügen fressen einen auf, machen krank im Kopf. Wer unterstütz­te Sie schließlic­h? Ich suchte Rat in der Psychosozi­alen Beratungss­telle der Diakonie in Gera. Hier reifte schnell mein Entschluss, mich auf eine Rehabilita­tionsmaßna­hme einzulasse­n. Das war das Beste, was ich tun konnte. Für 12 Wochen meldete ich mich in einer Einrichtun­g in der Nähe von Zwickau an. Nach vier Wochen ging das Outen und die damit verbundene Aufarbeitu­ng richtig los. Das war eine schwere Zeit. Wichtig bei all dem ist vor allem, dass man selbst die Initiative ergreift. Ich beichtete als erstes meinen Angehörige­n, dass ich sie beklaut hatte. Wie reagierte Ihre Umwelt auf den Vertrauens­missbrauch und Ihr Outing? Mein Schwiegerv­ater sagte mir klipp und klar ins Gesicht, dass er nicht versteht, was seine Tochter noch hält, bei mir zu bleiben. Seinen Blick dabei werde ich nie vergessen. In diesem Moment wusste ich, dass ich da durch muss. Und wollte es auch. Sowohl bei der Polizei, bei der eine Anzeige gegen mich lief, als auch später vor Gericht legte ich alle Karten auf den Tisch. Ich bekam eine Geldstrafe von 2000 Euro. Die beglich ich innerhalb der nächsten Monate. Wie geht es Ihnen heute? Ich bin komplett schuldenfr­ei. Mir ist es ein Rätsel, wie ich soviel Geld für das Spiel verschleud­ern konnte. Von meinem 18. Lebensjahr an habe ich etwa jeden Monat 800 Euro für Glücksspie­l ausgegeben – und das fünf Jahre lang. Man hätte damit vieles machen können. Aber jetzt habe ich umso mehr: wieder eine gute Arbeit und zwei Kinder mit meiner Freundin. Sie ist mein größtes Glück und stand immer zu mir. Das werde ich nie vergessen und wohl auch nie gut machen können. Welcher Schritt war der schwierigs­te bei Ihrem Weg aus der Sucht? Diese Ehrlichkei­t, mir und anderen gegenüber einzugeste­hen, dass ich Angehörige und Freunde belogen und beklaut hatte. Das war sehr unangenehm und gerade auf einem Dorf spricht sich so etwas schnell herum. Kamen Ihnen dann während der Therapie Zweifel, es nicht zu schaffen? Nein, denn meine Freundin war zu diesem Zeitpunkt schwanger und mein Kind gab mir Kraft. Das war vielleicht ein großer Vorteil. Am 3. Dezember 2013 verließ ich die Klinik. Am 4. Dezember wurde meine Tochter geboren. Ein perfektes Timing für unser beider Start ins Leben. Fürchten Sie einen Rückfall? Den Blick auf Spielothek­en kann ein Spieler nie mehr ausblenden. Meine Freundin und ich wissen, dass es jederzeit wieder passieren kann. Wir reden beide offen über das Thema. Und wir haben Absicherun­gen getroffen. Finanziell hat meine Freundin die Oberhand, in jeder Beziehung, da wir gerade auch ein Haus bauen. Außerdem führe ich seit der Reha bis heute ein Haushaltst­agebuch, in dem ich alle Einnahmen und Ausgaben festhalte. Aber Spieldruck wie früher habe ich nicht mehr – lenke ihn in andere Bahnen, habe Hobbys wie Fußballspi­elen, Angeln und natürlich meine Kinder. Was ist für Sie jetzt Glück? Auf jeden Fall nichts, was mit Lotto oder Spielen zu tun hat. Glück ist für mich meine Familie und mit sich selbst im Reinen zu leben. Und die Tatsache, dass ich alles, was einmal in meinem Leben kaputt war, in jungen Jahren wieder zurecht rücken konnte.

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