Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Gebietsreform: Es wird einsam um den Innenminister
Holger Poppenhäger hält an seinen alten Plänen fest – und bringt so immer mehr Koalitionäre gegen sich auf
Erfurt.
Die Frage, wann Holger Poppenhäger zuletzt eine gute Woche im Amt hatte, lässt sich nicht einfach beantworten. Dafür darf man formulieren: Jenseits einer womöglich erfolgreichen Razzia gegen Neonazis lief auch diese Woche für den Innenminister nicht so gut.
Das aktuelle Leiden begann am Dienstag, in der Landesvertretung in Berlin, wo sich das Thüringer Kabinett nach dem vorabendlichen Sommerfest zur Beratung zusammenfand. Der SPD-Minister hatte eine Vorlage verteilen lassen, in der er skizzierte, wie es weitergehen könnte mit der Gebietsreform.
Doch die Kollegen wollten nicht darüber reden. Es bleibe bei dem vereinbarten Prozedere, wurde Poppenhäger bedeutet. Er solle sich lieber um ein neues Gesetz kümmern, dass die Subventionierung der freiwilligen Gemeindefusionen regelt. Ansonsten, hieß es, wolle man die Begründung des Verfassungsgerichtsurteils abwarten, die Mitte Juli erwartet wird.
Der Gerichtshof in Weimar hatte am 9. Juni das Vorschaltgesetz zur Gebietsreform für nichtig erklärt. Obwohl die Entscheidung aus formellen Gründen fiel – ein Protokoll im Landtag war nicht rechtzeitig fertig – deuteten die Richter auch an, dass die Regierung landsmannschaftliche und historische Faktoren zu wenig berücksichtig habe.
Deshalb ist die ausführliche Begründung der Urteils so wichtig. Das Problem für Rot-RotGrün: Damit ist die sowieso knappe Zeit noch knapper geworden. In einem Jahr laufen die Amtszeiten der meisten Landräte aus. Das Fenster für eine gerichtsfeste gesetzliche Lösung schließt sich – oder ist, wie viele meinen, bereits geschlossen.
Poppenhäger, der am 13. Juni die neue Kreisstruktur vom Kabinett beschließen lassen wollte, um das Gesetz danach dem Landtag zuzuleiten, will dies nun im September nachholen. Gleichzeitig sollen die Kreistage ermächtigt werden, die Amtszeiten der Landräte zu verlängern – und die eigentlich für das Frühjahr 2018 geplante Landratswahlen in den Herbst oder gar ins Jahr 2019 schieben zu können. Klappt dies nicht, könnten Beauftragte ernannt werden, die das Amt kommisarisch führen.
Doch mit diesem Plan scheint es sich Poppenhäger endgültig mit vielen eigenen Genossen verdorben zu haben. „Der begreift es einfach nicht“gehört noch zu den freundlichen Kommentaren, die in der Landtagsfraktion über ihn fallen. Dort ist seit Wochen eine Mehrheit der Meinung, dass die Kreisreform ausgesetzt werden muss. Die meisten sozialdemokratischen Landräte sind sowieso längst auf die Seite der Totalblockierer im Landkreistag gewechselt, der von der CDU dominiert wird.
Tatsächlich stellt sich die Frage, welcher Kreistag dem Willen Poppenhägers folgen würde. Neun Landkreise hatten be- kanntlich gegen das Vorschaltgesetz geklagt; fast alle beschlossen Appelle, in denen sie auf ihre Eigenständigkeit drangen.
Doch den Minister scheint dies nicht zu interessieren – genauso wenig wie die Warnungen der Grünen und einiger Linker. Am Donnerstag musste Poppenhäger zum Rapport bei den drei Fraktionschefs und Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). In der Runde, so war danach zu vernehmen, konnte der Minister seine Gegenüber eher nicht überzeugen.
„Der begreift es einfach nicht“
Hinzu kommt, dass der Präsident des Landesverwaltungsamts, von dem die Reform mitorganisiert werden müsste, inzwischen halböffentlich an den Zeitplänen zweifelt. Der Zwist ist besonders pikant, da der Sozialdemokrat Frank Roßner dem Innenminister untersteht.
Es wird einsam um Poppenhäger. Selbst wenn bislang noch niemand aus der Koalition offen seinen Rücktritt fordert: In vertraulichen Gesprächen wünschen sich etliche Landtagsabgeordnete und viele Kommunalpolitiker diesen Schritt.
Doch es gibt zwei Probleme. Erstens drängt sich nicht unbedingt ein Nachfolger auf. Fraktionschef Matthias Hey, der wohl als einziger aus Thüringen qualifiziert wäre, hatte das Amt schon 2014 ausgeschlagen.
Zweitens und entscheidender: Den Wechsel müsste SPDLandeschef Andreas Bausewein einleiten – der ein enger Freund Poppenhägers ist. Zudem teilt er die Meinung des Innenministers: Wenn Rot-Rot-Grün jetzt aufgebe, sei nicht nur die Reform für lange Zeit erledigt, sondern auch die Partei.
Dennoch zeichnet sich dieser Ausgang immer stärker ab. Gestern durfte Poppenhäger in einer Sondersitzung der Fraktion wieder erleben, dass eine Mehrzahl seinen Kurs ablehnt.
Die Zeit spielt gegen die Reform – und gegen ihn.