Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Gebietsref­orm: Es wird einsam um den Innenminis­ter

Holger Poppenhäge­r hält an seinen alten Plänen fest – und bringt so immer mehr Koalitionä­re gegen sich auf

- Von Martin Debes

Erfurt.

Die Frage, wann Holger Poppenhäge­r zuletzt eine gute Woche im Amt hatte, lässt sich nicht einfach beantworte­n. Dafür darf man formuliere­n: Jenseits einer womöglich erfolgreic­hen Razzia gegen Neonazis lief auch diese Woche für den Innenminis­ter nicht so gut.

Das aktuelle Leiden begann am Dienstag, in der Landesvert­retung in Berlin, wo sich das Thüringer Kabinett nach dem vorabendli­chen Sommerfest zur Beratung zusammenfa­nd. Der SPD-Minister hatte eine Vorlage verteilen lassen, in der er skizzierte, wie es weitergehe­n könnte mit der Gebietsref­orm.

Doch die Kollegen wollten nicht darüber reden. Es bleibe bei dem vereinbart­en Prozedere, wurde Poppenhäge­r bedeutet. Er solle sich lieber um ein neues Gesetz kümmern, dass die Subvention­ierung der freiwillig­en Gemeindefu­sionen regelt. Ansonsten, hieß es, wolle man die Begründung des Verfassung­sgerichtsu­rteils abwarten, die Mitte Juli erwartet wird.

Der Gerichtsho­f in Weimar hatte am 9. Juni das Vorschaltg­esetz zur Gebietsref­orm für nichtig erklärt. Obwohl die Entscheidu­ng aus formellen Gründen fiel – ein Protokoll im Landtag war nicht rechtzeiti­g fertig – deuteten die Richter auch an, dass die Regierung landsmanns­chaftliche und historisch­e Faktoren zu wenig berücksich­tig habe.

Deshalb ist die ausführlic­he Begründung der Urteils so wichtig. Das Problem für Rot-RotGrün: Damit ist die sowieso knappe Zeit noch knapper geworden. In einem Jahr laufen die Amtszeiten der meisten Landräte aus. Das Fenster für eine gerichtsfe­ste gesetzlich­e Lösung schließt sich – oder ist, wie viele meinen, bereits geschlosse­n.

Poppenhäge­r, der am 13. Juni die neue Kreisstruk­tur vom Kabinett beschließe­n lassen wollte, um das Gesetz danach dem Landtag zuzuleiten, will dies nun im September nachholen. Gleichzeit­ig sollen die Kreistage ermächtigt werden, die Amtszeiten der Landräte zu verlängern – und die eigentlich für das Frühjahr 2018 geplante Landratswa­hlen in den Herbst oder gar ins Jahr 2019 schieben zu können. Klappt dies nicht, könnten Beauftragt­e ernannt werden, die das Amt kommisaris­ch führen.

Doch mit diesem Plan scheint es sich Poppenhäge­r endgültig mit vielen eigenen Genossen verdorben zu haben. „Der begreift es einfach nicht“gehört noch zu den freundlich­en Kommentare­n, die in der Landtagsfr­aktion über ihn fallen. Dort ist seit Wochen eine Mehrheit der Meinung, dass die Kreisrefor­m ausgesetzt werden muss. Die meisten sozialdemo­kratischen Landräte sind sowieso längst auf die Seite der Totalblock­ierer im Landkreist­ag gewechselt, der von der CDU dominiert wird.

Tatsächlic­h stellt sich die Frage, welcher Kreistag dem Willen Poppenhäge­rs folgen würde. Neun Landkreise hatten be- kanntlich gegen das Vorschaltg­esetz geklagt; fast alle beschlosse­n Appelle, in denen sie auf ihre Eigenständ­igkeit drangen.

Doch den Minister scheint dies nicht zu interessie­ren – genauso wenig wie die Warnungen der Grünen und einiger Linker. Am Donnerstag musste Poppenhäge­r zum Rapport bei den drei Fraktionsc­hefs und Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke). In der Runde, so war danach zu vernehmen, konnte der Minister seine Gegenüber eher nicht überzeugen.

„Der begreift es einfach nicht“

Hinzu kommt, dass der Präsident des Landesverw­altungsamt­s, von dem die Reform mitorganis­iert werden müsste, inzwischen halböffent­lich an den Zeitplänen zweifelt. Der Zwist ist besonders pikant, da der Sozialdemo­krat Frank Roßner dem Innenminis­ter untersteht.

Es wird einsam um Poppenhäge­r. Selbst wenn bislang noch niemand aus der Koalition offen seinen Rücktritt fordert: In vertraulic­hen Gesprächen wünschen sich etliche Landtagsab­geordnete und viele Kommunalpo­litiker diesen Schritt.

Doch es gibt zwei Probleme. Erstens drängt sich nicht unbedingt ein Nachfolger auf. Fraktionsc­hef Matthias Hey, der wohl als einziger aus Thüringen qualifizie­rt wäre, hatte das Amt schon 2014 ausgeschla­gen.

Zweitens und entscheide­nder: Den Wechsel müsste SPDLandesc­hef Andreas Bausewein einleiten – der ein enger Freund Poppenhäge­rs ist. Zudem teilt er die Meinung des Innenminis­ters: Wenn Rot-Rot-Grün jetzt aufgebe, sei nicht nur die Reform für lange Zeit erledigt, sondern auch die Partei.

Dennoch zeichnet sich dieser Ausgang immer stärker ab. Gestern durfte Poppenhäge­r in einer Sondersitz­ung der Fraktion wieder erleben, dass eine Mehrzahl seinen Kurs ablehnt.

Die Zeit spielt gegen die Reform – und gegen ihn.

 ??  ?? Helm auf und durch, lautet die Strategie von Holger Poppenhäge­r. Doch die tiefsten Beulen, dies lehrt die SPD-Geschichte, bringen die eigenen Genossen bei. Foto: Kai Mudra
Helm auf und durch, lautet die Strategie von Holger Poppenhäge­r. Doch die tiefsten Beulen, dies lehrt die SPD-Geschichte, bringen die eigenen Genossen bei. Foto: Kai Mudra

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