Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Die B-Elf zeigt Biss
Nach dem 1:1 gegen Chile beim Confed-Cup reicht jetzt ein Remis gegen Kamerun für das Halbfinale
Kasan/Sotschi.
Wenn Julian Draxler Fußball spielt, schaut er manchmal ängstlich an den Spielfeldrand. Dort steht der vierte Offizielle. Es kann ja vorkommen, dass dieser Bursche die Frechheit besitzt, eine Tafel mit seiner Rückennummer hochzuhalten. Ausgewechselt zu werden, hasst Draxler, wie er in der Nacht auf Freitag erzählte. Von daher war das eine feine Sache, dass Joachim Löw kurz zuvor beim 1:1 gegen Chile im zweiten, deutschen Gruppenspiel des Confed Cups dem vierten Offiziellen keine Arbeit machte. Er wechselte überhaupt nicht aus. Und Draxler gefiel das.
1995 das letzte Mal kein Spielerwechsel
Als ein Bundestrainer zuletzt auf sein Recht verzichtete, frische Leute aufs Feld zu schicken, war der heute 23-Jährige nicht einmal zwei. Berti Vogts tauschte im September 1995 gegen Georgien (4:1) ebenfalls nicht das Personal. Aber damals war der Fußball weniger laufintensiv. Heute ist so etwas äußerst unüblich. „Ich habe keinen Grund für eine Auswechslung gesehen. Ich hatte das Gefühl, dass wir mehr zulegen können als die Chilenen“, sagte Löw. Und darin steckt die erste Erkenntnis aus der Partie gegen den wilden Südamerikameister um Alexis Sanchez. Die zweite formulierte Draxler: „Der Bundestrainer wollte sehen, dass wir uns da durchbeißen, und das haben wir auch gemacht“, so der Kapitän.
Der jüngste Kader des Wettbewerbs hatte gegen den ältesten in der zweiten Hälfte deutliche Fitnessvorteile. Das war Löw draußen aufgefallen, was ihm zum Nichthandeln animierte. Und das merkten auch die Spieler selbst auf dem Rasen: „Die Chilenen haben am Ende abgebaut, deshalb ist es ärgerlich, dass wir die Konter nicht perfekt ausgespielt haben. Aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau“, sagte Draxler.
Chile hat den Ruf, aktuell zu den unangenehmsten, besten Mannschaften der Welt zu gehören, was bisweilen übertrieben ist. Erstaunlich ist dennoch die Tatsache, dass sich Löws Mannschaft der unbestrittenen Wucht von „La Roja“entgegenstemmen konnte, obwohl sie sich gerade erst findet und dazu alles auch noch gegen sie lief. „Wir wussten, dass sie uns mit ihrer Mentalität und Kampfkraft überrennen wollen“, sagte Mittelfeldspieler Leon Goretzka. „Dann ist so etwas, was uns passiert ist, natürlich extrem suboptimal, um das mal vorsichtig zu formulieren“, so der Schalker und meinte das frühe Gegentor nach einem Fehlpass von Shkodran Mustafi. Andere Teams seien an solchen Rückschlägen schon zerbrochen. „Aber wir haben bewiesen, dass wir bereits eine gewisse Charakterstärke entwickelt haben. Wir sind zurückgekommen.“
Goretzka würde im Moment sehr wahrscheinlich auch zu den Erwachsenen in der A-Elf neben Draxler bei Löw gehören.
Nach Russland ist der 57-Jährige aber noch mit einer B-Elf angereist aus Perspektivspielern und Spätberufenen wie Lars Stindl (28). Die U21-EM in Polen und vor allem der Wunsch nach Erholung der meisten Weltmeister hat Löw zum Improvisieren gezwungen. Doch nach zwei Partien im Wettbewerb wächst der Eindruck, dass sich aus jener Gelegenheitstruppe eine mit Biss und Titelhunger zu entwickeln beginnt. „Wir sind nicht hier, um im Halbfinale auszuscheiden“, sagte etwa Mittelfeldspieler Emre Can.
Um dort hinzukommen, benötigt Deutschland im letzten Gruppenspiel am Sonntag gegen Kamerun (17 Uhr/ZDF) ein Remis. Besser wäre ein Sieg gegen in Sotschi. Denn das würde bedeuteten, dass die DFBAuswahl am Schwarzen Meer bleiben könnte.
Löw wollte in Russland vor allem Erkenntnisse sammeln. Nach zwei Spielen lautet eine davon so: Es hat in der Vergangenheit schon A-Mannschaften gegeben, die deutlich weniger talentiert waren als jene B-Elf. Es könnte sein, dass es die beste zweite Mannschaft ist, die Deutschland je hatte.