Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Die B-Elf zeigt Biss

Nach dem 1:1 gegen Chile beim Confed-Cup reicht jetzt ein Remis gegen Kamerun für das Halbfinale

- Von Thomas Gassmnn und Jörn Meyn

Kasan/Sotschi.

Wenn Julian Draxler Fußball spielt, schaut er manchmal ängstlich an den Spielfeldr­and. Dort steht der vierte Offizielle. Es kann ja vorkommen, dass dieser Bursche die Frechheit besitzt, eine Tafel mit seiner Rückennumm­er hochzuhalt­en. Ausgewechs­elt zu werden, hasst Draxler, wie er in der Nacht auf Freitag erzählte. Von daher war das eine feine Sache, dass Joachim Löw kurz zuvor beim 1:1 gegen Chile im zweiten, deutschen Gruppenspi­el des Confed Cups dem vierten Offizielle­n keine Arbeit machte. Er wechselte überhaupt nicht aus. Und Draxler gefiel das.

1995 das letzte Mal kein Spielerwec­hsel

Als ein Bundestrai­ner zuletzt auf sein Recht verzichtet­e, frische Leute aufs Feld zu schicken, war der heute 23-Jährige nicht einmal zwei. Berti Vogts tauschte im September 1995 gegen Georgien (4:1) ebenfalls nicht das Personal. Aber damals war der Fußball weniger laufintens­iv. Heute ist so etwas äußerst unüblich. „Ich habe keinen Grund für eine Auswechslu­ng gesehen. Ich hatte das Gefühl, dass wir mehr zulegen können als die Chilenen“, sagte Löw. Und darin steckt die erste Erkenntnis aus der Partie gegen den wilden Südamerika­meister um Alexis Sanchez. Die zweite formuliert­e Draxler: „Der Bundestrai­ner wollte sehen, dass wir uns da durchbeiße­n, und das haben wir auch gemacht“, so der Kapitän.

Der jüngste Kader des Wettbewerb­s hatte gegen den ältesten in der zweiten Hälfte deutliche Fitnessvor­teile. Das war Löw draußen aufgefalle­n, was ihm zum Nichthande­ln animierte. Und das merkten auch die Spieler selbst auf dem Rasen: „Die Chilenen haben am Ende abgebaut, deshalb ist es ärgerlich, dass wir die Konter nicht perfekt ausgespiel­t haben. Aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau“, sagte Draxler.

Chile hat den Ruf, aktuell zu den unangenehm­sten, besten Mannschaft­en der Welt zu gehören, was bisweilen übertriebe­n ist. Erstaunlic­h ist dennoch die Tatsache, dass sich Löws Mannschaft der unbestritt­enen Wucht von „La Roja“entgegenst­emmen konnte, obwohl sie sich gerade erst findet und dazu alles auch noch gegen sie lief. „Wir wussten, dass sie uns mit ihrer Mentalität und Kampfkraft überrennen wollen“, sagte Mittelfeld­spieler Leon Goretzka. „Dann ist so etwas, was uns passiert ist, natürlich extrem suboptimal, um das mal vorsichtig zu formuliere­n“, so der Schalker und meinte das frühe Gegentor nach einem Fehlpass von Shkodran Mustafi. Andere Teams seien an solchen Rückschläg­en schon zerbrochen. „Aber wir haben bewiesen, dass wir bereits eine gewisse Charakters­tärke entwickelt haben. Wir sind zurückgeko­mmen.“

Goretzka würde im Moment sehr wahrschein­lich auch zu den Erwachsene­n in der A-Elf neben Draxler bei Löw gehören.

Nach Russland ist der 57-Jährige aber noch mit einer B-Elf angereist aus Perspektiv­spielern und Spätberufe­nen wie Lars Stindl (28). Die U21-EM in Polen und vor allem der Wunsch nach Erholung der meisten Weltmeiste­r hat Löw zum Improvisie­ren gezwungen. Doch nach zwei Partien im Wettbewerb wächst der Eindruck, dass sich aus jener Gelegenhei­tstruppe eine mit Biss und Titelhunge­r zu entwickeln beginnt. „Wir sind nicht hier, um im Halbfinale auszuschei­den“, sagte etwa Mittelfeld­spieler Emre Can.

Um dort hinzukomme­n, benötigt Deutschlan­d im letzten Gruppenspi­el am Sonntag gegen Kamerun (17 Uhr/ZDF) ein Remis. Besser wäre ein Sieg gegen in Sotschi. Denn das würde bedeuteten, dass die DFBAuswahl am Schwarzen Meer bleiben könnte.

Löw wollte in Russland vor allem Erkenntnis­se sammeln. Nach zwei Spielen lautet eine davon so: Es hat in der Vergangenh­eit schon A-Mannschaft­en gegeben, die deutlich weniger talentiert waren als jene B-Elf. Es könnte sein, dass es die beste zweite Mannschaft ist, die Deutschlan­d je hatte.

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Augen zu und durch: Emre Can im Duell mit Chiles Arturo Vidal. Foto: Christian Charisius/dpa

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