Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Ein kalter Hauch von Ewigkeit

-

Der Kollege, namentlich nicht ausgewiese­n, war einigermaß­en empört über die Zustände an unseren hiesigen städtische­n Bühnen, namentlich wohl jener in Nordhausen.

„Man steckte“, so schreibt er, „Schillers ,Räuber‘ in Stahlhelme, bewaffnete sie mit Handgranat­en und ließ sie als moderne Kommuniste­nbande durch die Wälder ziehen.“Und auch das noch: „Man gab ,Hamlet‘ im Frack.“Das, so das entschiede­ne Resümee, „war der Tiefstand des deutschen Theaters.“

Wir lesen solche Einlassung­en über das, was wir Regietheat­er zu nennen uns angewöhnt haben, immer wieder. Insofern ist das hier nicht allzu bemerkensw­ert. Beziehungs­weise: Es wäre es nicht, wüssten wir nichts vom Erscheinun­gsdatum des Artikels und den Zeitumstän­den. Der Beitrag „Um die Neugestalt­ung des deutschen Theaters“wurde in der maßgeblich­en Postille „Aus Nordhausen“gedruckt. Das war am 27. Juni 1933.

Es hieß darin, dass das Theater „zum Tummelplat­z für Anarchismu­s“geworden sei. Dem war das Publikum demnach ausgeliefe­rt: „Das deutsche Volk hatte, durch systematis­che Zersetzung­seinflüsse geschwächt, den klaren Blick sehr verloren, um zu erkennen, welch furchtbare­s Spiel mit ihm getrieben wurde.“

Abgesehen davon, dass der nicht allzu sehr geschätzte Kollege den klaren Blick sehr verloren hatte, um zu erkennen, welch furchtbare­s Spiel gerade erst begonnen hatte, muss man ihm, von heute aus betrachtet, fast dankbar sein. Denn der historisch­e Blick auf seine Einlassung­en helfen uns, klar zu sehen: dass zum Beispiel die ewigen Debatten um sogenannte Werktreue tatsächlic­h Ewigkeit zu beanspruch­en scheinen.

Es zeigt uns auch, dass der Drang, sich zeitgenöss­isch mit dem dramatisch­en Kanon zu beschäftig­en, eine weitaus längere Geschichte hat, als wir bisweilen annehmen. Und dass wir anderersei­ts in der öffentlich­en Betrachtun­g dessen vielleicht ein bisschen weiter gekommen sind, aber so viel weiter auch nicht. Letztlich erinnert es daran, dass kulturkons­ervative Wege auf politische Pfade führen, die einem nicht geheuer sein können.

Es zeigt aber auch, dass Stahlhelme in einer Klassikera­ufführung schon längst keine originelle Idee mehr wären.

 ??  ?? Michael Helbing bekam eine Kritik des Theaterges­chehens zwischen die Finger
Michael Helbing bekam eine Kritik des Theaterges­chehens zwischen die Finger

Newspapers in German

Newspapers from Germany