Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Dresden und die Dissenskul­tur

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Michael Schindhelm wollte vor der Pressekonf­erenz nichts verraten. Auch die Kollegen aus Dresden mutmaßten nur, dass es sich um eine Personalie handelt. Statt dessen sorgte die Ankündigun­g des Dresdener Oberbürger­meisters Dirk Hilbert (FDP) am vergangene­n Samstag auf der verschneit­en Leipziger Buchmesse bundesweit für Schlagzeil­en. Michael Schindhelm soll als Kurator die Bewerbung vorantreib­en: Dresden soll im Jahre 2025 Kulturhaup­tstadt Europas werden.

Das klingt nach einer großen Herausford­erung. Obwohl Michael Schindhelm den Job als ein „Teilzeitma­ndat bis September 2019“bezeichnet, ist es für den Schriftste­ller und Theaterman­n vermutlich genau das. Zweimal habe er einen derartigen Posten in den vergangene­n Jahren ausgeschla­gen. Das war im Vorfeld von Weimar 1999 und 2010 mit dem Ruhrgebiet. In beiden Fällen habe er sich damals für das Ausland entschiede­n. Er ging von Thüringen, wo er Intendant in Nordhausen und Gera war, erst nach Basel und dann nach Dubai. Thematisch sei es in Weimar um die kulturelle Inszenieru­ng nach der Wiedervere­inigung gegangen, in Essen um den postindust­riellen Wandel. „Diese Themen sind bewältigt“, sagte Michael Schindhelm mit Gespräch mit dieser Zeitung. Im Zeitalter der Globalisie­rung müssten nun neue Labore eröffnen. Zum Beispiel sei der Diskurs in Deutschlan­d in den zurücklieg­enden Jahrzehnte­n immer schnell harmonisie­rt worden. Doch die gesellscha­ftlichen Veränderun­gen haben den typisch deutschen Konsens immer weiter aufgeweich­t. So fordert Michael Schindhelm: „Wir brauchen eine neue Dissenskul­tur.“

Dresden sei dafür ein Symbol. Die Stadt sei nicht nur eine schöne Barockstad­t, sondern habe auch eine Dimension der Moderne. Dass Dresden angesichts von Pegida in diesen Tagen einen schlechten Ruf habe und von Touristen gemieden werde, könne man in die Diskussion um die Bewerbung einbeziehe­n. Auch die Tilgung der Stadt von der Liste der Welterbest­ätten im Juni 2009 spiele mit hinein. So könne die Hartleibig­keit, mit der sich Teile der Stadt und der Politik gegenüber der Unesco positionie­rt haben, als Ausbruch aus dem Konsensden­ken gewertet werden. Amtierende­r Oberbürger­meister war in jenen Jahren übrigens der aus Weimar stammende Kulturpoli­tiker Lutz Vogel (parteilos). Er hat jetzt offenbar den Deal mit Michael Schindhelm eingefädel­t. 2020 soll feststehen, welche deutsche Stadt zum Zuge kommt. Neben Dresden haben Chemnitz, Nürnberg, Magdeburg, Hildesheim, Hannover, Koblenz und Kassel Interesse bekundet, Kulturhaup­tstadt 2025 werden zu wollen. Michael Schindhelm kann sich durchaus vorstellen, dass der Nebenjob bis zum Kulturstad­tjahr ausgebaut wird. Ein entspreche­ndes Büro in Dresden gibt es schon seit zwei Jahren.

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Karsten Jauch über die Hintergrün­de zu Michael Schindhelm­s Nebenjob

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