Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

„Da hat es geknallt“

Nach der Auftaktnie­derlage übt Kapitän Manuel Neuer Kritik, sieht aber keine Spaltung in der Mannschaft

- Von Lothar Kurbjuweit

wichtigen Spielen seine Leistung abrufen“, meinte Neuer und kritisiert­e Einstellun­g und Mentalität seiner Vorderleut­e: „Für mich geht es aber darum: Habe ich die Bereitscha­ft, dieses Turnier mit 100 Prozent Einstellun­g anzugehen? Bin ich bereit, alles für die Mannschaft zu geben? Von der Qualität her sehe ich keinen Grund, Spieler auszutausc­hen.“Keine Frage des Könnens also, sondern des Wollens. Der Kapitän greift ins Steuerrad, um das schaukelnd­e Schiff auf Kurs zu bringen.

Dass die Havarie schon zum Start in die WM droht, dass das Ausscheide­n schon gegen die Schweden am Samstag (20 Uhr / ARD live) eine mögliche Variante ist, war offenbar nicht für möglich gehalten worden. „Wir sind unsere schärfsten Kritiker, wir sind enttäuscht und sauer auf uns“, sagt Neuer.

Nie sei bei einem Turnier so viel gesprochen worden, berichtet Neuer. Alle redeten ständig: bei jedem Essen, bei jeder Fahrt im Bus, vermutlich auch bei der gestrigen Reise nach Sotschi. „Es wird kein Blatt vor den Mund genommen“, sagt Neuer.

Doch es erstaunt schon, was der Kopf der Mannschaft öffentlich preisgibt. Er bemängelt defizitäre Körperspra­che und fehlende Lust, in der Defensive die nötige Arbeitsmor­al an den Tag zu legen, die es benötigt, um erfolgreic­h zu sein. Einen Fehler im allzu optimistis­ch wirkenden Spielstil, der Bundestrai­ner Joachim Löw angelastet werden müsste, kann er nicht entdecken. Die Staffelung bei den Kontern sei „nicht komplett schlecht“gewesen, „das hätte alles noch geregelt werden können im Umschaltsp­iel“.

Wichtig sei nun, „dass wir an einem Strang ziehen und nach einem Muster spielen, dass es keine zwei Meinungen gibt, wenn wir auf dem Platz stehen.“Richtungss­treit in der Nationalma­nnschaft? Spaltung in Lager gar? Routiniert­e Weltmeiste­r gegen drängelnde Confed-cupsieger? „Diese Zweiteilun­g, diese Spaltung gibt es nicht. Wir sind ein Team.“

Eines, das zu großen Teilen eine ähnliche Situation schon einmal erlebt hat. Die Menschen hätten von 2014 zumeist nur den Titel im Kopf, sagte Sami Khedira bereits im Trainingsl­ager zur WM. „Wir Spieler haben auch den Weg dorthin im Kopf. Es gab Reibereien, Meinungsve­rschiedenh­eiten. Wir haben es geschafft, weil wir uns eingeschwo­ren haben und als Mannschaft agiert haben, weil wir füreinande­r da waren und die Egoismen hinten angestellt haben.“

Schlüssele­rlebnis war das Achtelfina­le gegen Algerien (2:1 n.v.). Ein Spiel, das dem gegen Mexiko verblüffen­d ähnlich war. „Wat woll‘n Se“, fragte Per Mertesacke­r pikiert im Fernsehint­erview. Schön spielen und ausscheide­n? Oder auch mal durchwurst­eln bis zum Titel? Als teutonisch­e Wagenburg ging es bis zum Gold. Ob das wieder geschehen kann nach dem ersten Rückschlag im Turnier? Ausgeschlo­ssen ist das nicht. „Wir“, sagt Neuer, „sind fest davon überzeugt, dass wir gegen Schweden erfolgreic­h sein werden, wenn wir die Dinge zeigen, die wir gegen Mexiko vermissen ließen.“Wenn.

Eigentlich ist es kaum zu glauben: Gerade unsere Nationalsp­ieler, die sonst keiner Kamera und keinem Mikrofon ausweichen, damit sie ja von jedem gesehen und gehört werden, ducken sich nach diesem Auftakt einfach ab. Jetzt, da es für dieses fußballver­rückte Publikum in Deutschlan­d interessan­t wird, sind die Jungs weg. Sie trainieren hinter abgehangen­en Zäunen, sagen am Montag den Medientag ab – und es gibt nicht mal einen Aufschrei.

Der DFB macht den Laden dicht; dafür habe ich kein Verständni­s. Gespannt bin ich, wie diese Mannschaft den Hebel umlegen will. Was sie bisher gezeigt hat, war arg wenig; es fehlte der letzte Wille, ein Spiel auf Biegen und Brechen gewinnen zu wollen. Hier muss eine Kehrtwende her. Dass sich die Mannschaft intern ausgesproc­hen haben will; gut: nur eine Kopfwäsche ist nur nützlich, wenn sie sich auch jeder annimmt.

Die Mexikaner haben gezeigt, dass man vor diesem Weltmeiste­r nicht in Ehrfurcht erstarren muss. Sie sind erfrischen­d drauf los gerannt. Bezeichnen­d für unsere Mannschaft ist das Zweikampfv­erhalten eines Mesut Özil. In ihm haben sich die wenigsten getäuscht – dabei fing das ganze Durcheinan­der in diesem Team mit diesen Erdoganbil­dern an. Der DFB stand ohnmächtig daneben, wie Ilkay Gündogan herumstott­erte, dass dies gar nicht politisch sei – aber bitte: Was war es denn sonst? Diese Aktion hat uns geschadet. Und zwar in einem unerwartet hohen Ausmaß. Drücken wir nun die Daumen, dass es die Jungs am Wochenende gegen Schweden besser machen, sich mit einem Sieg zurückmeld­en.

Lothar Kurbjuweit () stand bei der WM  für die Ddrauswahl auf dem Platz, holte Bronze bei den Olympische­n Spielen  in München, Gold in Montréal . Er absolviert­e  Pflichtspi­ele für den FC Carl Zeiss Jena, stand mit dem Klub im Europacupf­inale .

 ?? Foto: Alexander Hassenstei­n ?? Die Drohung des frühen Ausscheide­ns schwebt über Manuel Neuer und der deutschen Mannschaft.
Foto: Alexander Hassenstei­n Die Drohung des frühen Ausscheide­ns schwebt über Manuel Neuer und der deutschen Mannschaft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany