Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Heimkind muss nicht zahlen

Gabriele Dietz-paulig wurde als Baby von ihrer Mutter weggegeben. 55 Jahre später soll sie für Elternunte­rhalt aufkommen

- Von Anne Diekhoff

Offenburg/berlin.

Rosa Dietz, Jahrgang 1934, bekommt fünf Kinder, vier davon gibt sie weg. Warum? Und wieso erlaubt sie, dass die erste und die dritte Tochter in Pflegefami­lien kommen, während sie ihrer Zweitältes­ten, Gabriele, diesen Weg hinaus aus dem Kinderheim versperrt? Die vierte Tochter darf bei ihr, der Mutter, bleiben, den einzigen Sohn gibt sie zur Adoption frei – warum, warum? Fragen eines Familiendr­amas aus den 60er-jahren.

50 Jahre später brauchte eine Richterin am Amtsgerich­t Offenburg die Antworten, denn sie hatte zu entscheide­n, ob Gabriele Dietz-paulig (55) für ihre pflegebedü­rftige Mutter Unterhalt zahlen muss. Am Dienstag wurde klar: Nein. Die Tochter, die zum Heimkind wurde, muss nicht zahlen. „Sie ist sehr erleichter­t und freut sich, aber gleichzeit­ig beginnt das Bibbern, was jetzt das Landratsam­t macht“, sagt ihr Anwalt Michael Klatt. Vorerst kündigte das Landratsam­t Ortenaukre­is in Baden-württember­g am Dienstag nur an, die Begründung des Gerichts prüfen zu wollen.

Das Sozialamt Offenburg hatte Dietz-paulig im August 2016 schriftlic­h über den Unterhalts­anspruch ihrer Mutter informiert – und sie damit gezwungen, in ihre eigene schmerzhaf­te Familienge­schichte einzutauch­en. Denn sie war es, die beweisen musste, dass die Mutter zu keinem Zeitpunkt eine Mutter für sie war.

„Sie hat sich finanziell nie am Leben der Tochter beteiligt. Sie hat zu keiner Zeit Wärme, Liebe, Nähe gegeben und nicht für regelmäßig­en Kontakt gesorgt“, sagt Anwalt Klatt. Das sei unstrittig gewesen. Das Landratsam­t habe argumentie­rt, dass Rosa Dietz aus Überforder­ung nicht in der Lage gewesen sei, anders zu handeln. „Aber sie hat ja bewiesen, dass sie es kann. 1967 ist die jüngere Schwester geboren und bis zum Erwachsene­nalter im Haus der Mutter geblieben“, so Klatt.

Eine entscheide­nde Aussage habe ein Zeuge am dritten und letzten Verhandlun­gstag gemacht: Die Mutter, die in verschiede­nen Stellen fast immer Vollzeit gearbeitet hat, habe Hilfsangeb­ote aus der Verwandtsc­haft abgelehnt. Der Zeuge schloss daraus: Sie hätte die Kinder bei sich behalten können, aber sie wollte nicht. „Das ist auch für meine Mandantin nach so vielen Jahren eine wichtige Aussage“, sagt Anwalt Klatt. „Die Kinder haben immer wieder nach Erklärunge­n gesucht und haben sie nie bekommen.“Auf den Vater konnten sie erst recht nicht zählen, der saß wegen Betrug häufiger in Haft.

Das Gericht erkennt mit seiner Entscheidu­ng an, dass es keine Mutter-tochter-beziehung gegeben hat. Anwalt Klatt ist zufrieden: „Das Urteil wird uns künftig auch in anderen Fällen helfen“, sagt er. Vor einem möglichen Gang durch die Instanzen fürchtet er sich nicht: „Ich bin sicher, dass wir am Ende ein obsiegende­s Urteil in den Händen halten werden.“

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Siegreich vor Gericht: Gabriele Dietz-paulig. Foto: Steffen Schmidt/dpa

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