Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Der irakische Flüchtling und die Weimarerin lieben sich. Ob sie heiraten können, ist ungewiss

- Von Jeanette Miltsch

Weimar. „Brauchst Du Feuer?“Er zeigt sein Feuerzeug in ihre Richtung. Durch den Qualm im Weimarer Club sieht Ute ihn kaum. „Nein, ich rauche nicht!“Verwundert zieht er seine Hand zurück. Eine Frau, die wild tanzt, aber nicht raucht? Eine Frau wie Ute ist dem 35-Jährigen bisher noch nicht begegnet. So frei, so schön, so positiv. Ute fasziniert ihn.

„Er sah so traurig aus“, erinnert sich Ute an ihre erste Begegnung mit dem geflüchtet­en Iraker in Weimar. „Er wollte mir so viel erzählen“, sagt sie, „aber er sprach kein Deutsch, und ich kein Arabisch.“Mit Händen und Füßen, einer Übersetzun­gsapp und ständigen Zweifeln, ob das Gesagte auch richtig ankam, lernten sie sich immer besser kennen und wurden einige Monate später ein Paar. Inzwischen ist ein Jahr vergangen; vor wenigen Tagen feierten die beiden ihr Einjährige­s. „Hussein hat die Schule besucht und spricht nun recht gut Deutsch“, ist Ute froh.

Ihr Arabisch entwickle sich noch. Auf zwei Tafeln an Utes Küchenwand schreiben sie Worte und Sätze in beiden Sprachen auf. „So prägen sich Vokabeln besser ein“, sagt er. Nach schwierige­n Monaten im Weimarer Flüchtling­sheim lebt Hussein nun in einer kleinen Wohnung. Es läuft gut.

Wäre da nicht die Vergangenh­eit, die den Iraker immer wieder einholt. Nicht nur seine Flucht über die Türkei, Griechenla­nd, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich sitzt ihm noch in den Knochen. Vor allem die Erinnerung an seine Heimat, sein zerstörtes Wohnhaus, seine toten Eltern und die Gewehre, die mehrfach auf den Journalist­en gerichtet waren, lassen ihn nachts schreiend hochschrec­ken. Kopfschmer­zen, Herzrasen, Magenprobl­eme und Panikattac­ken sind körperlich­e Folgen des psychische­n Dauerstres­ses.

Seit seiner Ankunft in Deutschlan­d muss er nun nicht mehr um sein Leben fürchten, wofür Hussein unendlich dankbar ist. Doch jahrelange Angst lässt sich nicht einfach an der Grenze ablegen. Sie sitzt tief. Springt plötzlich die Lüftung eines parkenden Autos neben ihm an, zuckt er zusammen. Lustige Blinklicht­er auf Touristenj­acken rauben ihm den Atem. Was im Irak blinkt, explodiert im nächsten Moment. Der Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt ließ ihn erstarren. Sofort war die Erinnerung wieder ganz nah. Und wieder versteht er die Vorsicht der Deutschen, muslimisch­e Ausländer ins Land zu lassen, sehr gut. Auch wegen solcher Extremiste­n hatte er doch seine Heimat verlassen! Im Irak, wo er als Journalist nicht mehr frei reden und schreiben konnte, ohne bedroht zu werden. Dort, wo Menschen stets kritisch beobachtet­en, wann er betete oder was er eingekauft hatte. Dieses Gefühl, niemandem vertrauen zu können und überall Böses zu vermuten, wird er nicht los. „Für mich ist Glauben etwas Privates“, bringt es der Sunnit auf den Punkt, was er an Deutschlan­d besonders schätzt. Jeder kann selbst entscheide­n, wie er seinen Glauben auslebt: „Niemand muss Schlimmes fürchten. Auch nicht, wenn er nicht religiös ist.“In seinem Heimatland ist das anders. Mit Religion werden dort Krieg und Gewalt begründet.

Die Liebe des Moslems zu einer evangelisc­hen Christin wird in der Kulturstad­t bisher größtentei­ls positiv bewertet. „Alle meine Freunde und Familienmi­tglieder, die ihn bislang kennenlern­ten, mögen ihn und freuen sich für uns“, sagt Ute. Damit es auch in der arabischen Gesellscha­ft kein Gerede über Husseins „wilde Beziehung zu einer nicht-muslimisch­en Frau“gibt, lud der 35-Jährige fünf irakische Männer aus Weimar und Utes Bruder zu einem Verheiratu­ngsgespräc­h ein. Bei Tee und Kuchen wurde Ute in seiner kleinen Wohnung ganz offiziell zu seiner Verlobten.

„Eine sehr befremdlic­he Situation“, gibt die Bewährungs­helferin zu. „Aber es hat funktionie­rt – beinahe wie eine Anzeige in der Zeitung. Alle wissen jetzt Bescheid, die Dinge zwischen uns sind nun geregelt.“Ihre Verlobungs­reise nach Dresden „war ein Traum“, erinnern sie sich lächelnd.

Wann sie auf Hochzeitsr­eise gehen werden, ist allerdings ungewiss. Knapp eineinhalb Jahre wartete Hussein täglich auf eine Entscheidu­ng des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e (BAMF) über den Antrag auf Anerkennun­g seines Flüchtling­sstatus. Doch eineinhalb Jahre blieb sein Briefkaste­n leer. „Dieses Warten war extrem zermürbend“, seufzt Ute und nimmt Husseins Hand. Vor einigen Tagen dann der heiß ersehnte Umschlag. Doch drin stand nicht, was sich beide so sehr wünschten. Nicht drei, sondern vorerst nur ein Jahr darf der 35-Jährige in Deutschlan­d bleiben. „Ich kann nicht zurück in mein Land,“sagt er und schüttelt traurig den Kopf. Umgehend legte er Rechtsmitt­el ein.

„Ein Nein geht für uns nicht“, sagt Ute leise, „nein, wirklich nicht“, bestätigt Hussein und streichelt ihre Hand. Nach dem ersten Schock und geduldigem Ermuntern durch seine Freundin, stehen seine Pläne nun wieder felsenfest: B1-deutschprü­fung bestehen, Job finden, Führersche­in machen. Und dann endlich, endlich den Ehering an den Finger seiner Ute stecken.

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 ??  ?? Sprachunte­rricht im Alltag: Auf Tafeln in ihrer Küche lernen sie die jeweilige Sprache des Partners. Foto: J. Miltsch
Sprachunte­rricht im Alltag: Auf Tafeln in ihrer Küche lernen sie die jeweilige Sprache des Partners. Foto: J. Miltsch
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Auf den Spuren der deutschen Geschichte: Hussein und Ute am Holocaust-mahnmal in Berlin. Fotos (): Hussein R.

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