Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Einzelfall oder Systemfehl­er?

Ein Bundeswehr­soldat plant eine Terrortat und tarnt sich als Flüchtling – mit Erfolg. Die Aufklärung steht am Anfang

- Von Miguel Sanches

Berlin. Hallo Nürnberg? Per Videoschal­te sucht Emily Haber am Freitagnac­hmittag Anschluss zum Bundesamt für Flüchtling­e und Migration (BAMF). Es soll erklären, was die Innen-staatssekr­etärin sich selbst und dem Bundestag nicht erklären kann. Wie konnte sich ein 28-jähriger Bundeswehr-offizier als syrischer Flüchtling ausgeben, damit durchkomme­n, mutmaßlich um einen Anschlag zu verüben und falsche Spuren zu legen? Man werde „jetzt jeden Stein umdrehen, bis wir wissen, wie es dazu kommen konnte“, heißt es im Innenminis­terium. Eine Spurensuch­e.

Über den Asylantrag von Franco A. wird Ende 2016 entschiede­n, ihm wird vorübergeh­ender Schutz zuerkannt. Der Zeitpunkt ist wichtig. Er führt viele Erklärmust­er ad absurdum: Nein, damals herrschte keine Ausnahmesi­tuation mehr vor. Nein, es war längst auch eine Einzelfall­prüfung vorgesehen und der behördlich­e „Ankunftsna­chweis“hätte jeden Missbrauch ausschließ­en müssen; gerade wenn jemand wie Franco A. nebst Sold noch Sozialhilf­e kassiert.

Burkhard Lischka tobt. Der Spd-innenpolit­iker fühlt sich „verschauke­lt“. Die Frage sei, ob „ein Totalversa­gen im Einzelfall“oder „strukturel­le Mängel“vorlägen. Was ist schlimmer? Das eine schließt das andere nicht aus.

Eigentlich will die Koalition die nächste Gesetzesve­rschärfung durchwinke­n, eine Ermächtigu­ng, um Handys auszulesen, um Flüchtling­e mit falschen Identitäte­n aufzuspüre­n. Dabei ist das BAMF keineswegs schlecht gerüstet, es fotografie­rt jeden Asylbewerb­er, nimmt ihm Fingerabdr­ücke ab, Experten führen Sprach- und Textanalys­en durch, stellen Detailfrag­en zu Orten, Sitten, um Schwindler zu überführen. Pässe werden gescannt, und wenn eine Fälschung nicht mit bloßem Auge erkennbar ist, kommt sie in den 80 000 Euro teuren Videospekt­ral-komparator im Urkundenla­bor in Nürnberg – und die Wahrheit ans Licht. Dass Franco A. einen „subsidiäre­n Schutz“bekommen konnte, ist am ehesten damit erklärbar, dass Entscheide­r und Dolmetsche­r versagt haben. „Bitte haben Sie Verständni­s, dass wir aufgrund des laufenden Ermittlung­sverfahren­s derzeit zu dem Fall keine Angaben machen können“, teilt das BAMF mit. Der parlamenta­rische Innenstaat­ssekretär Ole Schröder (CDU) macht klar, wo die Fehlersuch­e läuft.

Alle Fälle des Dolmetsche­rs und des Bamf-mitarbeite­rs, die über den Asylantrag von Franco A. entschiede­n haben, „werden neu überprüft“, sagt Schröder. Die SPD wirft den Cdu-ministern Ursula von der Leyen und Thomas de Maizière Versagen vor. Sie hätten „ihre Läden nicht im Griff“, schimpft Generalsek­retärin Katarina Barley. De Maizière gerät doppelt unter Druck. Er muss den Skandal aufklären. Und sein bayerische­r Kollege Joachim Herrmann (CSU) setzt ihn unter Zugzwang. Er nimmt den Fall zum Anlass, verschärft­e Identitäts­überprüfun­gen zu fordern.

Es ist ein offenes Geheimnis und delikat, dass er nach dem Willen der CSU de Maizière nach der nächsten Wahl ablösen soll. Und es ist „ausgesproc­hen perfide“, so die Linken-politikeri­n Ulla Jelpke, dass er die Verfehlung­en eines offenbar rechtsextr­emen Soldaten auch noch gegen die Geflüchtet­en einsetzt. Franco A. meldet sich am 30. Dezember 2015 in Gießen als Flüchtling – Aliasname: David Benjamin – und kommt in die Erstaufnah­meeinricht­ung Zirndorf. Noch ist die Flüchtling­sflut nicht abgeebbt. Ob des Ansturms müssen Schutzsuch­ende oft nur Fragebögen ausfüllen. Es ist plausibel, dass Franco A. sich durchmogel­n kann. Er gibt an, ein syrischer Christ und verfolgt zu sein.

Spätestens im Mai 2016, als er den Asylantrag stellt, hätten seine Lügen auffallen müssen. Auf ihn werden die Sicherheit­sbehörden nur aufmerksam, als er im Wiener Flughafen eine Waffe versteckt. Am vergangene­n Mittwoch ist der Terrorverd­acht so groß, dass sie ihn in der Kaserne in Hammelburg (Bayern) festnehmen; Foto: rtr/fabrizio Bensch

Franco A. sitzt im Erdloch, als die Polizei anrückt. Sein Fall wirft die Frage auf, wie viele Flüchtling­e unter falscher Identität hier leben. Die Antwort wird man nie erfahren, das Innenminis­terium hat mitgeteilt, dass es für eine „anlasslose Überprüfun­g aller Asylbesche­ide“keine rechtliche Grundlage gebe.

Schon der Attentäter Anis Amri konnte Mehrfachid­entitäten annehmen. Die Flüchtling­skrise ist auch eine Chronik des Missbrauch­s. Für Schlagzeil­en sorgt 2015 ein Dolmetsche­r aus Marokko. Er gibt an, ein Viertel der Menschen, für die er übersetzt habe, gäben sich nur als Syrer aus; dann ist die Anerkennun­gschance sehr groß.

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Die Kehrseite des Flüchtling­sansturms: Staatliche­r Kontrollve­rlust.

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