Thüringer Allgemeine (Eisenach)
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ochzeitsmessen und Brautmodenschauen kündigen ihn schon Monate vorher an, die Kirschblüte gibt das Startsignal – für Heiratswillige gilt der Wonnemonat Mai heute als Hochzeitsmonat schlechthin.
Anders noch im 19. Jahrhundert: Viele Ehen in Thüringen wurden in der Zeit von Ende Oktober bis Dezember geschlossen. Aus ganz praktischen Gründen, wie Dirk Koch, Landesjugendleiter im Thüringer Landestrachtenverband, bestätigt: Heute wie damals galt es, die hungrige Hochzeitsgesellschaft zufriedenzustellen. Deshalb wurde als Termin meist die Zeit nach der Ernte gewählt, wenn Korn und Früchte eingebracht und die Speisekammern gut gefüllt waren. „Oft fand die Heirat am Jahresende statt, wenn sich die Familie ohnehin zu den Feiertagen zusammenfand“, so Dirk Koch. In Wümbach im Ilm-kreis verhieß es gar großes Unglück, im Mai oder August zu heiraten. Doch bei allen Unterschieden zwischen den Thüringer Regionen gab es auch den Gegentrend, etwa in Steinheid: Das Dorf bei Neuhaus am Rennweg orientierte sich an der Taubenpaarung im Tierreich – deshalb schritten Turteltauben dort schon damals gern im Mai zum Altar. Erst im späten 20. Jahrhundert kam es allerdings zu einem regelrechten Boom der Maihochzeiten.
Auch viele der Hochzeitsbräuche waren auf ein einträgliches Erntejahr ausgerichtet. Der Inhalt der Scheunen und Vorratskeller bestimmte schließlich maßgeblich über Glück und Weh der Familien. So manche Braut in Tabarz im Landkreis Gotha dürfte sich dieses Glück nicht ohne eine heimliche Träne vor ihrem großen Tag erkauft haben – sie musste zur Hochzeit Glatze tragen. Die Tabarzer schoren ihren Bräuten vor der Trauung die Haare und legten ihnen ein rotes Band um den kahlen Schädel. So ließ sich die Brautkrone, die „Flitter“, mit ihren auf Metallplättchen eingeprägten Glückssymbolen besser befestigen – sicher eine Zuspitzung des Brauches, die Braut mit bedecktem Haupt zur Kirche zu führen, weil Frauen früher als unrein galten.
Die Brautkrone findet sich in vielen Thüringer Regionen in den Arsenalen an Hochzeitsaccessoires, die Autor Dirk Koch und Fotograf Norbert Sander für ihr 2014 erschienenes Buch „Hochzeit in Thüringen: Trachten, Bräuche, Traditionen“zusammentrugen. In der Mühlhäuser Vogtei Oberdorla etwa waren die vier Jahreszeiten in Gestalt frischer Pflanzenzweige aufwendig in die Brautkrone eingearbeitet – und sollten reichen Ernteund Kindersegen bescheren.
Letzteren verspricht man sich im Eichsfeld bis heute von dem Brauch, eine Storchenfigur weithin sichtbar über dem Elternhaus der Braut zu errichten. Ursprünglich eine „Neckerei“der Burschen, verkündete Meister Adebar doch einst, dass bereits ein Kind unterwegs war.
Neben der Natur war es vor allem das Geld, das über Umfang und Ablauf der Hochzeit bestimmte. Um der Verschuldung der Steuerzahler in Ruhla durch allzu ausufernde Hochzeiten Einhalt zu gebieten, sah sich etwa das Herzogtum Sachsen-gotha genötigt, 1680 ein Gesetz „gegen die Unordnung und das Unwesen bei Hochzeiten“zu erlassen. So waren etwa Handwerksleute angehalten, auf nicht mehr als drei bis vier Tischen à zwölf Gästen zu ihrer Eheschließung aufzutafeln.
Früher wie heute war die Hochzeit meist das größte Fest, das man im Leben beging. Je angesehener die Familie, umso pompöser die Feier. Bei den reichen Bauern im Altenburger Land durfte dabei der Hochzeitsbitter nicht fehlen. Er warb nicht nur im Auftrag der Familie des Bräutigams um die Braut, sondern lud die oft mehr als 100 Gäste mündlich zur Hochzeit ein und sorgte beim Fest selbst – oft mit einem Bitterstock ausstaffiert – für gute Laune. „Er war der Showmaster des Festes, jemand, der was auf dem Kasten hatte und der trinkfest war“, so Dirk Koch. Praktische Erwägungen spielten bei der Auswahl des Hochzeitsgewandes eine Rolle. Während die Braut heute für ihr Traumkleid ein Vermögen ausgeben kann, heiratete man lange einfach in seinem besten – oft dunklen – Festgewand. Ein extra Hochzeitskleid lohnte sich für die vernünftigen Vorfahren nicht. Die Heirat in Weiß kam erst im 20. Jahrhundert bei den Reicheren auf.
Viele Bräuche von einst dagegen haben überdauert: seien es Brot und Salz, mit denen die Frischvermählten im neuen Heim empfangen werden, oder der große Spaß, am Vorabend der Hochzeit mit ordentlich Lärm dem Brautpaar übelwollende Mächte zu vertreiben. Neben dem Unterhaltungswert, der vielen Bräuchen eigen ist, bleibt die Hochzeit für moderne Paare offenbar bis heute ein Anlass, an die Traditionen der Altvorderen anzuknüpfen – und mit der Übernahme ihrer Riten die Schutzgeister auch für ihren gemeinsamen Lebensweg milde zu stimmen.