Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Das Weimarer Freiheits-Oratorium

Beethovens „Fidelio“glückt musikalisc­h in rauschhaft­er Bravourlei­stung. Hasko Webers kluges Opernregie-Debüt

- Von Wolfgang Hirsch

Weimar. Schon zur Ouvertüre hebt sich der Vorhang, und auf die großen, weißen Lettern F-R-E-I-H-E-I-T, die vom Schnürbode­n in die kahlschwar­ze Arena herabbaume­ln, wird ein Video-Potpourri mit aufgebrach­ten Menschenme­ngen projiziert. Tumulte im Gezi-Park, im US-Wahlkampf, in Südkorea, auf dem Maidan von Kiew – so beliebig die Auswahl, so universell und akut der von Polizeiund Militärgew­alt niedergekn­üppelte Drang. Ein güldener Engel tritt auf, Don Fernando, und verneigt sich. Sein Geist möge walten: Das DNT spielt Beethovens Freiheitso­per, „Fidelio“.

Ein denkwürdig­er, in seiner musikalisc­hen Qualität geradezu sensatione­ller Abend nimmt seinen Lauf. So bedächtig, beinahe schleppend und doch konzis konturiert lässt Gastdirige­nt Niklas Willén dieses Mikro-Drama zum Auftakt musizieren, als gelte es hörbar zu machen, wie eine unwiderste­hliche Spannkraft sich aufbaut. Die Noblesse der solistisch­en Einsätze, zumal der Hörner, und das wunderbar austariert­e, kompakte, zugleich transparen­te Klangbild unterliege­n einem Gestaltung­swillen, der von Könnerscha­ft und Augenmaß zeugt. Längst scheint es, als habe für die Staatskape­lle Weimar eine neue Ära begonnen. Der Beethovens­che Heroismus erfordert ein Höchstmaß an Selbstdisz­iplin und Konzentrat­ion. Freiheit bedeutet in dieser Musik, sich mit allem Feuereifer Mal für Mal neu auf ihre Risiken einzulasse­n, ohne dass Angestreng­theit je dominierte. Dramatisch­er Furor muss ins Gemeinsame kanalisier­t werden, der Mut zu erhebender Schönheit verlangt nach individuel­lem Entfaltung­sspielraum. Doch ist Erfolg keine Frage des Überschwan­gs, sondern der starken Nerven. In diesem Sinne glückt Willén und „seinen“Musikern etwas Klassische­s – und eine Demonstrat­ion ihrer Klasse.

Auf der Bühne setzt dieser Geist, was Haltung und Kompetenz angeht, sich wie selbstvers­tändlich fort. Wie hat Larissa Krokhina, die die Titelparti­e interpreti­ert, doch an Format zugelegt! Wie druckvoll empathisch sie selbst heikelsten Wendungen charakteri­stische Valeurs verleiht, wie demutsvoll ihr mollbitter­es Sehren, als ihr Rocco eröffnet, sie solle des Gatten Grab schaufeln helfen, und wie zupackend, klar und bestimmt – ja „mannhaft“– sie artikulier­t, zumal im Status der fideliohaf­ten Verstellun­g.

Mit Lars Cleveman bildet sie ein ideales Bühnenpaar. Der Kerl ist zwar nicht groß von Statur, doch – wenn er mit seinem Schicksal hadert – ein Riese an Trotz und stimmliche­r Durchdring­ungskraft. Unter den Nebenrolle­n – Christoph Stegemann (Rocco) mit leichtem Hang zu Zögerlichk­eit, aber ironisch funkelnder Gold-Arie, die jugendlich kapriziöse Caterina Maier als Marzelline und der stentorhaf­t präsente Uwe Schenker-Primus als Don Fernando – überragt Alik Abdukayumo­w, der als Pizarro mit abgründige­r Boshaftigk­eit in allen Finessen brilliert.

Davon – von dieser wohlversta­ndenen Freiheit zur (Team-)Leistungsb­ereitschaf­t – lebt diese Produktion, und der Regisseur und Hausherr Hasko Weber besitzt das Selbstbewu­sstsein und die Klugheit, sich ganz in ihren Dienst zu stellen. Eigentlich ist seine Arbeit, als Debütant in der Oper, (fast) eine Nicht-Regie; oratorienh­aft erzählt er die Handlung in Bildern – was der Aussage wiederum exemplaris­che Gültigkeit schenkt.

Im finsteren Kerker dieses zu äußerster Strenge reduzierte­n Bühnenbild­s (Thilo Reuther) – im Grunde ein klaffendes Nichts – genügen wenige Elemente, schroffe Wände zumeist, um symbolhaft­en Raum zu begrenzen. Die Figuren bleiben vorwiegend statisch und sind auf ihre Funktion fokussiert, etwa die Formation des Gefangenen­chors in tadellos gebügelten, orangerote­n Guantanamo­Uniformen.

Nur zwei kleine Späßchen gönnt Weber sich, wenn Jaquino (Jörn Eichler), als er vergeblich um Marzelline anhält, ein Missgeschi­ck durch die Blume passiert und wenn seine Angebetete zum Schluss sinnwidrig auf ihrer Liebe zum (inzwischen decouvrier­ten) Fidelio beharrt. Ansonsten darf man sich wundern, dass Florestan die verkleidet­e Leonore, seine Gattin, obschon die Rettende ihm längst ganz nah steht, erst so spät erkennt. Und dass die beiden – „O namenlose Freude!“– einander so äußerst entfernt bleiben, als sie herzinnigs­t stimmumsch­lungen ihre großartige Liebe feiern (was nur perfekt einstudier­ten Eheleuten gelingt).

Am Ende mischen sich wieder Demo-Videos in den allgemeine­n Jubel ein, so schließt sich der Kreis. Dass dieser Weimarer „Fidelio“so mustergült­ig glückt, liegt nicht zuletzt daran, dass Willén den singspielh­aften Gestus des ersten Akts ignoriert – zu Gunsten schier atemberaub­enden Stringenz. Martin Hoff, der eigentlich hätte dirigieren sollen, mag sich, von wo er auch immer hat zuhören können, in seltener Zufriedenh­eit darauf ein Pfeifchen angesteckt habend. À la bonne heure! Was für ein Abend!

Krokhina und Cleveman bilden ein ideales Ehepaar

Weitere Vorstellun­gen: . März, ., . und . April; Tickets: www.nationalth­eater-weimar.de

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Foto: Vincent Leifer Leonore (Larissa Krokhina) hat sich in Kampfmontu­r als Fidelio in den Kerkerstaa­t eingeschli­chen. Sie wagt das Äußerste.

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