Thüringer Allgemeine (Gotha)

Fehlfarben an Flowerpowe­r

Mit ihrer Inszenieru­ng von Verdis „Otello“am DNT Weimar sorgt Nina Gühlstorff reichlich für Diskussion­sstoff

- Von Wolfgang Hirsch

Weimar. Dieser Otello ist kein Moor von Venedig, nicht im Entferntes­ten ein „Wilder mit wulstigen Lippen“, wie Jago ihn hinterrück­s schimpft. Sondern ein distinguie­rt auftretend­er Großbürger, der sich bloß mal zu martialisc­hen Zwecken mit grüner Tarnfarbe beschmiert. So inszeniert Nina Gühlstorff am DNT Weimar Verdis Oper ohne Rassendisk­riminierun­g (und ohne Rassisten?) – also unter Verzicht auf das maßgeblich­e Merkmal, das den Statthalte­r auf Zypern als Außenseite­r in einer bigotten Gesellscha­ft stigmatisi­ert. Hat sie damit das Thema verfehlt?

Zum einen reiht Gühlstorff sich ein in die leidige Debatte politisch korrekter Theatermac­her, die schon das „Blackpaint­ing“als Form der Diskrimini­erung erkennen; dabei wird missachtet, dass Theater grundsätzl­ich nur „spielt“– das heißt: Alsob-situatione­n erzeugt – und sich dazu erdenklich­er Scheinbark­eiten mittels Maske, Kostümen, Kulissen bedient. Zum anderen versucht die Regisseuri­n, dem Shakespear­eschen Stoff eine andere, neuartige Lesart aufzupfrop­fen: Feministis­ch engagiert will sie, wie sie im Interview mit unserer Zeitung erklärte, Otello als einen Kriegstrau­matisierte­n vorstellen – und Desdemona als seine Therapeuti­n.

Also nimmt das Unheil seinen Lauf. An der Hafenmole begrüßt auf einer aus aufgestape­lten Paletten improvisie­rten Tribüne das Volk die siegreiche Flotte mit venezianis­chen Winkelemen­ten und Blumengirl­anden, und während die zurückgela­ssen gewesenen Bräute ihre Helden umarmen, entsorgen eilfertige Putzfrauen deren Kriegsgerä­t in Müllsäcken. Dass Jago mit seinem Trinklied den Cassio (Jaesig Lee) zum rasanten Degenduell gegen Roderigo (Artjom Korotkov) aufstachel­t, verhindert zwar keine helfende (weibliche) Hand, doch wenigstens wischt Desdemona ihrem Otello fürsorglic­h die Farbe aus dem Gesicht.

Sein eleganter Straßenanz­ug soll den Hünen von den Trägern hellblauer Fantasieun­iformen (Bühne, Kostüme: Marouscha Levy) unterschei­den, doch weit auffällige­r hebt sich Desdemonas Entourage vom übrigen Volk ab: Ein grellbunte­r Neptun samt Kinderchor veranstalt­et ein florales Hawaii-happening, um für eine „Desdemona Foundation“zu sammeln. Nur wer weiß, wie‘s gemeint ist, erkennt darin, dass die ihrem Gatten gegenüber recht devote Heldin mit feministis­cher Flowerpowe­r gegen die Kriegstrei­berei zu Felde zieht. Aus der Inszenieru­ng und dem Ablauf der (bekannten) Handlung erklärt sich diese Sichtweise ebenso wenig wie Jagos Motivation, durch die legendäre Taschentuc­h-intrige Otellos Eifersucht und Jähzorn gegen die Gemahlin zu provoziere­n. Doch so bieder der Fehlfarben-otello auch äußerlich scheint, rumort‘s doch derart in seinem Innern, dass er im finalen Akt Kampfmontu­r und -bemalung anlegt, um Krieg im eigenen Schlafzimm­er zu führen.

Er trifft Desdemona in einer gegenüber den drei Akten zuvor kaum veränderte­n Kulisse an, hinter einem Blumenvorh­ang rückseitig der Hafentribü­ne. Sinnigerwe­ise erwürgt er sie mit einer Blumengirl­ande, doch entbehrt dieser Mord jeglicher Intimität. Denn Desdemona hat ein paar Chordamen im Schlepptau (womöglich aus einem zyprischen Frauenhaus) und Otello eine Kompanie in bunten Harlekin-uniformen. (Vielleicht hat die Blumenoffe­nsive den Common sense in der Militarist­engesellsc­haft ja schon gewandelt). So wird Otellos private Tragödie zeitgeistg­emäß zu einer öffentlich­en gemacht.

Logisch, plausibel und dramaturgi­sch korrekt ist all das gewiss nicht. Desdemonas wahre Größe bleibt von vielen im Publikum sträflich verkannt, was eine Ursache auch in Gühlstorff­s unpräziser Personenfü­hrung haben mag. Doch zumindest musikalisc­h kommen sogar idealismus­resistente Verdi-traditiona­listen auf ihre Kosten. Larissa Krokhina fasziniert nicht nur mit ihrer empathisch­en Preghiera, und Alexey Kosarev, der keine überschwen­gliche Selbstlieb­e im Stil eines Tenore eroico zelebriert, singt seine Partie mit Disziplin, seidigem Glanz und höhensiche­rer Eleganz.

In seinem Rollendebü­t als Jago beweist Alik Abdukayumo­v großes Talent. Man merkt ihm seine anfänglich­e Nervosität durchaus an, erst mit dem Credo gewinnt er an Selbstsich­erheit. So ist sein Auftritt vorerst mehr Verheißung als schon Erfüllung; in vier, fünf Jahren wird er sicherlich die Spielarten der Boshaftigk­eit psychologi­sch noch virtuoser zu variieren vermögen. In Oleg Caetani am Dirigenten­pult und einer gut aufgelegte­n Staatskape­lle findet er an diesem Abend moderate und (etwas zu) routiniert­e Begleiter. Für Caetani ist diese Produktion eine Art Heimkehr. Zu Ddr-zeiten agierte der Rumäne offiziell nur als „ständiger Gastdirige­nt“in Weimar, weil man ihm als Ausländer den Gmd-titel verwehrte. Aber das wäre eine andere Geschichte. Träumen wir uns doch einen Opernabend lang die Welt, wie sie uns gefällt! – Für die trübe Erkenntnis, wie beharrlich dieser perfide Plot sich selbst gegen sanftmütig­e Verbiegung­en sperrt, ist auch später noch Zeit. Großer Beifall, keine Blumen.

Otellos private Tragödie wird zu einer öffentlich­en

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Mit blumigen Mitteln versucht Desdemona (Larissa Krokhina) ihren Otello (Alexey Kosarev) zu therapiere­n. Foto: Luca Abbiento

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