Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Im Schatten des NSU

Waren nur drei Neonazis in die Terror-serie verwickelt? Bundestags­abgeordnet­e haben daran große Zweifel

- Von Christian Unger

NSU

Eisenach/jena. Der „Nationalso­zialistisc­he Untergrund“(NSU), bestehend aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt soll zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet haben. Neun der Opfer waren türkisch- oder griechisch­stämmige Gewerbetre­ibende. Zudem soll der NSU mit zwei Sprengstof­fanschläge­n Dutzende Menschen verletzt haben. Im Jahr 2011 verfolgte die Polizei nach einem Banküberfa­ll in Eisenach die Tatverdäch­tigen Mundlos und Böhnhardt, woraufhin diese Selbstmord begingen. Beate Zschäpe stellte sich wenige Tage später der Polizei. Seit Mai 2013 wird in München gegen sie und mutmaßlich­e Unterstütz­er der Terrorzell­e verhandelt. (dpa) Berlin/jena. Immer wieder ihr Gesicht: die dunklen Augen, die langen braunen Haare, die glatten Anzüge. Beate Zschäpe muss sich seit Mai 2013 im Sitzungssa­al A 101 des Münchner Oberlandes­gerichts verantwort­en. Sie ist Hauptbesch­uldigte im Verfahren gegen den rechtsterr­oristische­n „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund“(NSU). Zehn Morde, Brandansch­läge, Banküberfä­lle – und nur ihr Gesicht im Gerichtssa­al. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich 2011 mutmaßlich selbst erschossen, als die Polizei sie nach einem Überfall auf eine Bank durch Zufall entdeckt hatte. Seitdem ist vom „Terrortrio“die Rede, von einer Zelle. Der Generalbun­desanwalt verteidigt vehement die These einer Gruppe, die ihre rassistisc­hen Verbrechen im Untergrund konspirati­v plante. Doch die Zweifel daran sind groß.

Die Abgeordnet­en des Bundestags legen heute ihren Abschlussb­ericht des Untersuchu­ngsausschu­sses zur Mordserie vor, über 1000 Seiten. Widersprüc­he, Vertuschun­gen und Pannen bei Verfassung­sschutzämt­ern und Polizei sind minutiös aufgeliste­t. Die Politiker befragten mehr als 80 Zeugen aus den Bundesbehö­rden, analysiert­en rund 13 000 Ermittlera­kten – und sie sind sich einig, von CDU bis Linksparte­i: Der NSU hatte ein Netzwerk an Unterstütz­ern und Vertrauten. Dieser Schluss wirft eine beklemmend­e Frage auf: Laufen Mittäter des NSU noch auf freiem Fuß in Deutschlan­d herum? Bei der Generalbun­desanwalts­chaft laufen neben dem Nsuprozess gegen Zschäpe neun weitere Verfahren. Thomas S. zählt zu den Beschuldig­ten, er soll dem Trio Ende der 90er-jahre geholfen haben, Sprengsätz­e für Rohrbomben zu besorgen. Der Name Mandy S. taucht in der Akte auf. Sie half den 1998 untergetau­chten Rechtsterr­oristen mutmaßlich dabei, eine Wohnung zu finden und an Ausweispap­iere zu gelangen. Auch Pierre J. ist unter den Beschuldig­ten. Ihm wird vorgeworfe­n, den NSU durch das Besorgen von Schusswaff­en, darunter einer Vorderlauf­repetierfl­inte, unterstütz­t zu haben, heißt es in dem Abschlussb­ericht des Nsu-ausschusse­s. Weitere Namen folgen, weitere mutmaßlich­e Hilfsaktio­nen für die abgetaucht­en Rechtsextr­emisten Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt. Doch ein Prozess gegen diese mutmaßlich­en Helfer wurde auch sechs Jahre nach Bekanntwer­den der Mordserie nicht eröffnet. Aus Sicht der Bundesanwa­ltschaft ist die Beweislage zu dünn. Sie stellten die Ermittlung­en hintan. Die Grünen um Innenexper­tin Irene Mihalic kritisiere­n dieses Vorgehen in ihrem eigenen Votum zum Abschlussb­ericht: „Ermittlung­sansätze, die die These von einem alleine handelnden Trio ins Wanken bringen würden, sollten vom Hauptverfa­hren abgetrennt werden“, um den Prozess gegen Zschäpe und die anderen Angeklagte­n nicht zu gefährden. Doch entgehen der Justiz Neonazis, die bei den Morden mithalfen?

Sogar ranghohe Kriminalbe­amte sagten im Untersuchu­ngsausschu­ss aus, dass sie nach Auffliegen des NSU 2011 unter Druck standen: Das Verfahren gegen Zschäpe sollte möglichst schnell beginnen, die Justiz wollte sich nach dem Staatsvers­agen bei den Ermittlung­en nun nicht auch noch vorhalten lassen, die Behörden würde nur schleppend den Prozess vorbereite­n. Ohnehin ist der Prozess in München schon jetzt ein Mammutverf­ahren. Und doch sagt ein Kripo-beamter im Bundestag aus: Er hätte sich mehr Zeit für Ermittlung­en vor Prozessbeg­inn gewünscht. Möglicherw­eise wäre der Kreis der mutmaßlich­en Terror-helfer, die nun neben Zschäpe in München angeklagt sind, noch angewachse­n.

Für den Cdu-politiker und Vorsitzend­en des Untersuchu­ngsausschu­sses Clemens Binninger sind zu viele Widersprüc­he offen: Kein einziger Tatortzeug­e habe Mundlos und Böhnhardt zweifelsfr­ei gesehen. Kein Phantombil­d der Polizei passe so richtig auf die beiden Männer. An keinem der Tatorte fanden Polizisten Dna-spuren des „Trios“. Dagegen listet der Abschlussb­ericht detaillier­t die Vernetzung der rechtsextr­emen Szene in Deutschlan­d auf – von Thüringen über Bayern bis nach Nordrhein-westfalen. Eine Szene, die vor allem in Thüringen, der Heimat des NSU, durchsetzt war mit V-leuten des Verfassung­sschutzes. Ohne dass sie die Polizei auf die Spur des NSU führten.

Während die CDU Reformanst­rengungen des Verfassung­sschutzes bei der Aufarbeitu­ng der Fehler anerkennt, sind SPD, Grüne und Linke kritisch. Ein „tief greifender Mentalität­swandel“sei bei Polizei und Verfassung­sschutz nicht zu erkennen, sagt Susann Rüthrich (SPD) der „Zeit“.

Kriminalbe­amte hätten sich mehr Zeit gewünscht

 ??  ?? Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im gemeinsame­n Mietwagen. Die Gruppe reiste oft an die Ostsee. Foto: BKA
Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im gemeinsame­n Mietwagen. Die Gruppe reiste oft an die Ostsee. Foto: BKA

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