Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Abschied von alten Konzert-ritualen
Juliane Wandel, die neue Intendantin der Jenaer Philharmonie, über das „Perspektiven“-projekt für mehr Vielfalt in der Teilhabe an Musik
Jena. Neuland will Juliane Wandel, seit vorigem Herbst Intendantin der Jenaer Philharmonie, erobern: Es geht um nichts weniger als eine Neuverortung des Orchesters in der „Lichtstadt“an der Saale, um neue Spielorte und Publikumskreise, um interdisziplinäre Projekte und eine Neuinterpretation des Spielbetriebs. So plant die gebürtige Hanseatin, ausgestattet mit einer Million Euro extra aus dem Bundesprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft“von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, neue Wege in der Musikvermittlung auszuprobieren. Ohne den Spielplan für 2018/19 vorwegzunehmen, sprach sie mit uns.
Was machen Sie mit so viel Geld, Frau Wandel?!
Die Projektmittel vom Bund erhalten wir für ein vorgeschlagenes Konzept, über das Kerngeschäft des Konzertespielens hinaus als Impulsgeber für die Musikvermittlung und mit verschiedenen Formen von Teilhabe zu fungieren. Neue Zielgruppen zu erschließen, das heißt für mich einfach: Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass es hier ein gutes Orchester gibt und es lohnt, sich auf die klassische Musik einzulassen.
Am System der Abo-konzerte und an der musikpädagogischen Arbeit ändert sich nichts Grundsätzliches. Was ist neu?
Die Projekte mit Kindern und Jugendlichen wollen wir unbedingt ausbauen. Aber das ist nicht alles; wir denken ebenso an Erwachsene und an den Dialog zum Beispiel mit den Wissenschaften. Jena ist ein Innovationsstandort in vielen Bereichen. Wir stellen uns vor, dass der Austausch etwa mit Physikern oder Medizinern oder Sportlern jeweils für beide Seiten anregend sein kann – erst recht, in einer künstlerischen Umsetzung. Das sind natürlich experimentelle Formate, entscheidend ist dabei der Perspektivwechsel: Wer die Dinge aus einer anderen Warte betrachtet, gewinnt ein anderes Verständnis davon.
Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?
Wir planen in der nächsten Saison fünf Thementage, jeweils sonntags von 11 bis 19 Uhr: mit Kammermusiken, Workshops, Diskussionen, Präsentationen sowie anderen Dialogformen – und einem Symphoniekonzert-finale ab 17 Uhr. So kann, wer möchte, sich einen ganz anderen Zugang zu einem Thema und seinen musikalischen Umsetzungen erschließen.
Das heißt, dass Sie die tradierten Rollenmuster – die dort oben, wir hier unten – aufbrechen?
Es kommt uns darauf an, dass Menschen sich einander begegnen – Musiker und Musikhörer. Es geht also um Dialog. Auch um das Bewusstsein, welch große Bedeutung das Zuhören hat. Künstler brauchen Rezipienten als Resonanzraum.
Am Aufbau eines Abendprogramms ändert das nichts?
Die Abonnementkonzerte werden im Ablauf relativ „klassisch“bleiben. Da es aber grundsätzlich nicht in Stein gemeißelt ist, dass ein Konzert zwischen 90 und 120 Minuten dauern muss, werden wir auch andere Formate anbieten, auch an anderen Spielorten. Wir sind sicher, dass viele Hörer es interessant finden, wenn sie nach einer kürzeren, vielleicht nur 45 Minuten langen Aufführung noch mit den Musikern entspannt darüber diskutieren und diese kennenlernen können. persönlich
Werden Sie den, der lieber Schlagermusik hört, damit erreichen? Warum nicht? Mozart-melodien und Verdi-arien waren früher immer auch Gassenhauer und wurden auf den Straßen gepfiffen beziehungsweise von kleinen Bläserensembles als Harmoniemusiken gespielt. Dass das heute niemand mehr hören will, kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube eher, dass im herkömmlichen Konzertwesen manchmal das Ritual um die Musik eine Distanz schafft, nicht die Musik selbst.
Damit kratzen Sie an der repräsentativen Exklusivität, die den bürgerlichen Konzertbetrieb seit dem 19. Jahrhundert prägt?
Das Bürgertum hat damals eine Sphäre erobert, die zuvor in erster Linie dem Adel vorbehalten war, und hat sich dafür auch die entsprechenden Räume geschaffen. So streng, wie wir die heutigen Konzertrituale handhaben, waren sie damals nicht. Man mochte etwa Veranstaltungen, die eher Salon-charakter trugen, in denen man miteinander über die Musik oder das, was sie reflektiert, diskutierte. Es waren gesellschaftliche Ereignisse, bei denen man die damals zeitgenössische Musik kennenlernte. Man war sehr viel freier, durfte später kommen und früher gehen. Sätze wurden aus dem symphonischen Zusammenhang genommen, mit Kammermusik kombiniert und gern, wenn die Begeisterung groß war, wiederholt. Übrigens störte es in solchen Zusammenhängen überhaupt nicht, wenn nach einem Satz begeisterter Applaus ausbrach, bevor die Symphonie zu Ende gespielt war.
„Teilhabe an der Musik steht jedem zu, jedem nach seiner Façon. “
Juliane Wandel, Intendantin der Jenaer Philharmonie
Das Ziel ist, mehr Publikum zu akquirieren?
Wie wir Musik gestalten und erleben, ist nicht an Vorgaben gebunden, sondern ein organischer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Sie geht uns alle an. Teilhabe an der Musik steht jedem zu, jedem nach seiner Façon.
Haben Sie Kooperationspartner beim Aufbruch in eine neue Zeit? Natürlich alle Einrichtungen von Jenakultur wie die städtischen Museen, die Kunst- und Musikschule, die Ernst-abbe-bücherei und VHS, aber auch Partner wie beispielsweise die Thüringer Jazzmeile. Grundsätzlich können wir mit jedem Partner, der möchte, etwas Gemeinsames überlegen. Maßgeschneidert und modellhaft. Wir sind so frei!