Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Ein Chef muss auch mal per Whatsapp erreichbar sein
Nordthüringer Ihk-chefin Diana Stolze: Zu wachsen wird immer schwerer, weil das Personal dafür fehlt
14 273 Unternehmen vertritt die Industrie- und Handelskammer Erfurt in den Landkreisen Eichsfeld, Kyffhäuser und Nordhausen. Wie bewerten die Firmenchefs ihre derzeitige Situation?
Den meisten Unternehmen geht es so gut wie lange nicht. Kurzfristig ist damit die Lage komfortabel, langfristig zeichnet sich das bekannte Problem des Fachkräftemangels ab. Die Auftragsbücher sind zwar voll, aber zu wachsen wird immer schwerer, weil das Personal dafür fehlt. Hier sind auch wir als IHK gefordert und informieren, beraten und unterstützen unsere Mitgliedsunternehmen nach besten Möglichkeiten.
Der wichtigste Lösungsansatz ist, selbst wieder vermehrt auszubilden, in die eigenen Leute zu investieren, sie weiterzuqualifizieren. Inhaber und Geschäftsführer haben teilweise ihren Anspruch an die Schulabsolventen schon senken müssen und auch denjenigen eine Chance gegeben, die sie unter anderen Umständen vielleicht nicht beschäftigt hätten. Dennoch ist hier auch die Bildungspolitik gefordert, Schülern die Fähigkeiten zu vermitteln, um sich zu gut qualifizierten Arbeitskräften entwickeln zu können.
Wer sein Unternehmen in der Ausbildung stabil halten möchte, wird als Chef zukünftig auch neue Kommunikationswege nutzen müssen, etwa Whatsapp oder andere soziale Medien. Aushänge erreichen die Jugendlichen heute oft nicht mehr.
Wie viele Betriebe bilden nach Ihrer Kenntnis überhaupt aus? Wir haben im Landkreis Nordhausen 151 ausbildungsberechtige Unternehmen. Diese Zahl scheint relativ gering im Verhältnis zur Gesamtzahl unserer Mitgliedsunternehmen. Aber aufgrund der Unternehmensstrukturen in Nordthüringen mit größtenteils Klein- und Kleinstunternehmen können oder dürfen viele unserer Mitgliedsunternehmen gar nicht ausbilden. Denn um legitimierter Ausbildungsbetrieb, also ausbildungsberechtigt, zu sein, müssen die Unternehmen alle Ausbildungsinhalte laut der jeweils geltenden Ausbildungsverordnung des Berufsbilds ausbilden können. Dies ist leider trotz des Willens zur Ausbildung oftmals nicht gegeben. Dennoch versuchen wir als IHK, die Unternehmen zu unterstützen. So bieten wir beispielsweise in Form der Ergänzungsausbildung verschiedene Module an, die von Unternehmen nicht selbst abgedeckt werden können.
Hinzu kommt, dass es in einigen Betrieben noch an der eigenen Darstellung nach außen fehlt, andere präsentieren sich schon sehr gut als Ausbildungsbetriebe. Wir haben in Nordthüringen viele „hidden champions“, aber diese werden in der Region zum Teil kaum wahrgenommen, vor allem noch nicht von Schülern. Die Unternehmen könnten an mancher Stelle noch aktiver werden. Als Kammer begleiten wir diesen Prozess mit Aktionen wie dem Tag des Ausbilders, der Ehrung hervorragender Ausbildungsbetriebe oder der Begleitung von Berufsmessen. Darüber hinaus bieten wir mit dem Atlas der Ausbildungsbetriebe oder mit der Lehrstellen- und Praktikabörse auch Möglichkeiten, sich potenziellen Auszubildenden gegenüber bekannt zu machen.
Welche Rolle spielt für hiesige Betriebe die Weltpolitik? Strafzölle sei ein Stichwort. Belastend ist vor allem die Unsicherheit, die aus der Weltpolitik resultiert. Wenn der Außenhandel beeinträchtigt wird oder die Haushalte von der Bundes- bis zur kommunalen Ebene spät zustandekommen, tangiert das viele Betriebe in unserer Region. Ein halbes Jahr Unsicherheit nach der Bundestagswahl tat niemandem gut, zumal die Masse der Betriebe gezwungen ist, sehr kurzfristig zu planen. Natürlich schauen auch unsere Firmeninhaber nach Berlin. Wenn im Koalitionsvertrag von entfristeten Arbeitsverträgen die Rede ist, trifft das auch hiesige Akteure. Ich kann sagen: Wer gut ist, der muss bei den jetzigen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt keinen unbefristeten Vertrag mehr annehmen und damit einen Unsicherheitsaspekt in der persönlichen Planung eingehen, vor allem wenn er oder sie willens ist, sich weiterzuqualifizieren. Ich glaube, die Arbeitnehmer kennen ihre Rechte heute sehr gut. Da muss die Politik nicht zwangsläufig regeln.
Oft ist das Gehalt der Knackpunkt. Sind hiesige Unternehmen gewillt, besser zu zahlen für mehr Fachkräfte?
Da hat sich viel getan und wird sich auch noch viel tun, allein schon, weil sich sonst immer weniger Arbeitskräfte finden, die in der Region bleiben oder gar zurückkehren wollen. Ich sehe hier eher die Gefahr, dass sich Betriebe ihre Leute abwerben...
... wie es im Bereich der Autohäuser und Baufirmen schon Beispiele gab.
Der Markt wird sich aber nicht nur über die Höhe des Lohns regeln. Chancen sehe ich vielmehr in Angeboten, die darüber hinaus gehen: sportliche Aktivitäten für die Arbeitnehmer, Vergünstigungen, Altersvorsorge, Kindergartenplätze, Gesundheitsvorsorge. Vielleicht kommen wir wieder dazu, dass große Unternehmen Betriebskindergärten einrichten.
Viele Firmen haben solche Angebote übrigens schon, reden aber zu wenig darüber beziehungsweise beziehen sich in ihrer Mitarbeitergewinnung noch wenig darauf. Das machen Unternehmen in anderen Regionen schon deutlich stärker.
Wie kann die IHK helfen? Mein Ziel ist zunächst, dass die Unternehmen in der Region wissen, dass wir vor Ort sind und mit unseren umfangreichen Angeboten neue Wege oder Möglichkeiten aufzeigen. Wir sind uns durchaus bewusst, dass wir nicht jedes Problem lösen können – aber manchmal kennen wir jemanden, der es vielleicht lösen kann oder wir können relevante Themen in unsere strategische Arbeit einbringen. Mich bewegt, was die Unternehmen bewegt. Das ist zum Beispiel auch die Inhabernachfolge.
Ein großes Problem?
Ja, ganz viele Betriebe entstanden nach der Wende. Die Gründer kommen nun ins Rentenalter, ihre Kinder haben gesehen, wie die Eltern täglich viele Stunden arbeiteten. Sie scheuen den Stress und nicht zuletzt eine permanente Unsicherheit als Selbstständige. Vor dem Hintergrund hat sich schon vor vielen Jahren ein Netzwerk gegründet, dem neben einem Steuerbüro auch die regionalen Sparkassen, die Volksbank sowie die Kreishandwerkerschaften mit angehören. Wir informieren, wie Betriebe übergeben werden können, auch im Hinblick auf steuerliche Fragen. Und wir unterstützen mit der Plattform Nexxt Change, um junge Leute zu finden, die vielleicht doch ein Unternehmen führen wollen. Gute Beispiele für gelungene Übergaben gibt es. Ganz deutlich: Wer sich selbstständig machen oder ein Unternehmen übernehmen möchte, soll bitte auf uns als IHK oder die Kollegen im Handwerk zukommen. Wir sind bestrebt, potenzielle Nachfolger und übergabefähige Unternehmen zusammenzubringen – auch wenn dies nicht immer eine leichte Aufgabe ist. Bei vielen Inhabern ist der Aufbau des Betriebes das Lebenswerk. Manche haben resigniert bei der Suche nach einem möglichen Nachfolger. Viele würden auch gern noch angestellt werden, um in die gesetzlichen Sicherungssysteme zu gelangen. Soziale Absicherung ist ein großes Thema in Deutschland. Wieder andere beschäftigen sich durchaus mit der Unternehmensnachfolge, werden aber von den alltäglichen Herausforderungen daran gehindert, aktiver zu sein.
Nun kommt also eine neue Generation. Wie schätzen Sie den Grad der Digitalisierung in unseren Unternehmen ein? Das ist extrem verschieden. In einigen Firmen ist es gut vorangegangen, aber gerade den kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlt es an mancher Stelle noch an Wissen über die Möglichkeiten oder die Umsetzung. Unsere Kollegen von Wirtschaft 4.0 bieten hier einen Selbst-check an, wo Unternehmen den Grad ihrer Digitalisierung ermitteln können.
Es gibt schon eine Vielzahl an Angeboten, die wir als IHK für unsere Mitglieder bereit halten – sie müssen nur bekannt sein und bestenfalls auch genutzt werden. Aber auch hier gilt: Der Wunsch zur Umsetzung muss von den Firmen selbst ausgehen. Wir können beraten und unterstützen. Für den Handel beabsichtigen wir, im Herbst noch mal einen Workshop zur Digitalisierung anzubieten. Ich hoffe auf eine große Resonanz. Das gilt auch für unsere Aktion „Heimat shoppen“am 7. und 8. September in Nordhausen. Wer sich beteiligen möchte, wende sich an das City-management oder an uns als IHK.