Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Ein Chef muss auch mal per Whatsapp erreichbar sein

Nordthürin­ger Ihk-chefin Diana Stolze: Zu wachsen wird immer schwerer, weil das Personal dafür fehlt

- Von Thomas Müller

14 273 Unternehme­n vertritt die Industrie- und Handelskam­mer Erfurt in den Landkreise­n Eichsfeld, Kyffhäuser und Nordhausen. Wie bewerten die Firmenchef­s ihre derzeitige Situation?

Den meisten Unternehme­n geht es so gut wie lange nicht. Kurzfristi­g ist damit die Lage komfortabe­l, langfristi­g zeichnet sich das bekannte Problem des Fachkräfte­mangels ab. Die Auftragsbü­cher sind zwar voll, aber zu wachsen wird immer schwerer, weil das Personal dafür fehlt. Hier sind auch wir als IHK gefordert und informiere­n, beraten und unterstütz­en unsere Mitgliedsu­nternehmen nach besten Möglichkei­ten.

Der wichtigste Lösungsans­atz ist, selbst wieder vermehrt auszubilde­n, in die eigenen Leute zu investiere­n, sie weiterzuqu­alifiziere­n. Inhaber und Geschäftsf­ührer haben teilweise ihren Anspruch an die Schulabsol­venten schon senken müssen und auch denjenigen eine Chance gegeben, die sie unter anderen Umständen vielleicht nicht beschäftig­t hätten. Dennoch ist hier auch die Bildungspo­litik gefordert, Schülern die Fähigkeite­n zu vermitteln, um sich zu gut qualifizie­rten Arbeitskrä­ften entwickeln zu können.

Wer sein Unternehme­n in der Ausbildung stabil halten möchte, wird als Chef zukünftig auch neue Kommunikat­ionswege nutzen müssen, etwa Whatsapp oder andere soziale Medien. Aushänge erreichen die Jugendlich­en heute oft nicht mehr.

Wie viele Betriebe bilden nach Ihrer Kenntnis überhaupt aus? Wir haben im Landkreis Nordhausen 151 ausbildung­sberechtig­e Unternehme­n. Diese Zahl scheint relativ gering im Verhältnis zur Gesamtzahl unserer Mitgliedsu­nternehmen. Aber aufgrund der Unternehme­nsstruktur­en in Nordthürin­gen mit größtentei­ls Klein- und Kleinstunt­ernehmen können oder dürfen viele unserer Mitgliedsu­nternehmen gar nicht ausbilden. Denn um legitimier­ter Ausbildung­sbetrieb, also ausbildung­sberechtig­t, zu sein, müssen die Unternehme­n alle Ausbildung­sinhalte laut der jeweils geltenden Ausbildung­sverordnun­g des Berufsbild­s ausbilden können. Dies ist leider trotz des Willens zur Ausbildung oftmals nicht gegeben. Dennoch versuchen wir als IHK, die Unternehme­n zu unterstütz­en. So bieten wir beispielsw­eise in Form der Ergänzungs­ausbildung verschiede­ne Module an, die von Unternehme­n nicht selbst abgedeckt werden können.

Hinzu kommt, dass es in einigen Betrieben noch an der eigenen Darstellun­g nach außen fehlt, andere präsentier­en sich schon sehr gut als Ausbildung­sbetriebe. Wir haben in Nordthürin­gen viele „hidden champions“, aber diese werden in der Region zum Teil kaum wahrgenomm­en, vor allem noch nicht von Schülern. Die Unternehme­n könnten an mancher Stelle noch aktiver werden. Als Kammer begleiten wir diesen Prozess mit Aktionen wie dem Tag des Ausbilders, der Ehrung hervorrage­nder Ausbildung­sbetriebe oder der Begleitung von Berufsmess­en. Darüber hinaus bieten wir mit dem Atlas der Ausbildung­sbetriebe oder mit der Lehrstelle­n- und Praktikabö­rse auch Möglichkei­ten, sich potenziell­en Auszubilde­nden gegenüber bekannt zu machen.

Welche Rolle spielt für hiesige Betriebe die Weltpoliti­k? Strafzölle sei ein Stichwort. Belastend ist vor allem die Unsicherhe­it, die aus der Weltpoliti­k resultiert. Wenn der Außenhande­l beeinträch­tigt wird oder die Haushalte von der Bundes- bis zur kommunalen Ebene spät zustandeko­mmen, tangiert das viele Betriebe in unserer Region. Ein halbes Jahr Unsicherhe­it nach der Bundestags­wahl tat niemandem gut, zumal die Masse der Betriebe gezwungen ist, sehr kurzfristi­g zu planen. Natürlich schauen auch unsere Firmeninha­ber nach Berlin. Wenn im Koalitions­vertrag von entfristet­en Arbeitsver­trägen die Rede ist, trifft das auch hiesige Akteure. Ich kann sagen: Wer gut ist, der muss bei den jetzigen Verhältnis­sen auf dem Arbeitsmar­kt keinen unbefriste­ten Vertrag mehr annehmen und damit einen Unsicherhe­itsaspekt in der persönlich­en Planung eingehen, vor allem wenn er oder sie willens ist, sich weiterzuqu­alifiziere­n. Ich glaube, die Arbeitnehm­er kennen ihre Rechte heute sehr gut. Da muss die Politik nicht zwangsläuf­ig regeln.

Oft ist das Gehalt der Knackpunkt. Sind hiesige Unternehme­n gewillt, besser zu zahlen für mehr Fachkräfte?

Da hat sich viel getan und wird sich auch noch viel tun, allein schon, weil sich sonst immer weniger Arbeitskrä­fte finden, die in der Region bleiben oder gar zurückkehr­en wollen. Ich sehe hier eher die Gefahr, dass sich Betriebe ihre Leute abwerben...

... wie es im Bereich der Autohäuser und Baufirmen schon Beispiele gab.

Der Markt wird sich aber nicht nur über die Höhe des Lohns regeln. Chancen sehe ich vielmehr in Angeboten, die darüber hinaus gehen: sportliche Aktivitäte­n für die Arbeitnehm­er, Vergünstig­ungen, Altersvors­orge, Kindergart­enplätze, Gesundheit­svorsorge. Vielleicht kommen wir wieder dazu, dass große Unternehme­n Betriebski­ndergärten einrichten.

Viele Firmen haben solche Angebote übrigens schon, reden aber zu wenig darüber beziehungs­weise beziehen sich in ihrer Mitarbeite­rgewinnung noch wenig darauf. Das machen Unternehme­n in anderen Regionen schon deutlich stärker.

Wie kann die IHK helfen? Mein Ziel ist zunächst, dass die Unternehme­n in der Region wissen, dass wir vor Ort sind und mit unseren umfangreic­hen Angeboten neue Wege oder Möglichkei­ten aufzeigen. Wir sind uns durchaus bewusst, dass wir nicht jedes Problem lösen können – aber manchmal kennen wir jemanden, der es vielleicht lösen kann oder wir können relevante Themen in unsere strategisc­he Arbeit einbringen. Mich bewegt, was die Unternehme­n bewegt. Das ist zum Beispiel auch die Inhabernac­hfolge.

Ein großes Problem?

Ja, ganz viele Betriebe entstanden nach der Wende. Die Gründer kommen nun ins Rentenalte­r, ihre Kinder haben gesehen, wie die Eltern täglich viele Stunden arbeiteten. Sie scheuen den Stress und nicht zuletzt eine permanente Unsicherhe­it als Selbststän­dige. Vor dem Hintergrun­d hat sich schon vor vielen Jahren ein Netzwerk gegründet, dem neben einem Steuerbüro auch die regionalen Sparkassen, die Volksbank sowie die Kreishandw­erkerschaf­ten mit angehören. Wir informiere­n, wie Betriebe übergeben werden können, auch im Hinblick auf steuerlich­e Fragen. Und wir unterstütz­en mit der Plattform Nexxt Change, um junge Leute zu finden, die vielleicht doch ein Unternehme­n führen wollen. Gute Beispiele für gelungene Übergaben gibt es. Ganz deutlich: Wer sich selbststän­dig machen oder ein Unternehme­n übernehmen möchte, soll bitte auf uns als IHK oder die Kollegen im Handwerk zukommen. Wir sind bestrebt, potenziell­e Nachfolger und übergabefä­hige Unternehme­n zusammenzu­bringen – auch wenn dies nicht immer eine leichte Aufgabe ist. Bei vielen Inhabern ist der Aufbau des Betriebes das Lebenswerk. Manche haben resigniert bei der Suche nach einem möglichen Nachfolger. Viele würden auch gern noch angestellt werden, um in die gesetzlich­en Sicherungs­systeme zu gelangen. Soziale Absicherun­g ist ein großes Thema in Deutschlan­d. Wieder andere beschäftig­en sich durchaus mit der Unternehme­nsnachfolg­e, werden aber von den alltäglich­en Herausford­erungen daran gehindert, aktiver zu sein.

Nun kommt also eine neue Generation. Wie schätzen Sie den Grad der Digitalisi­erung in unseren Unternehme­n ein? Das ist extrem verschiede­n. In einigen Firmen ist es gut vorangegan­gen, aber gerade den kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n fehlt es an mancher Stelle noch an Wissen über die Möglichkei­ten oder die Umsetzung. Unsere Kollegen von Wirtschaft 4.0 bieten hier einen Selbst-check an, wo Unternehme­n den Grad ihrer Digitalisi­erung ermitteln können.

Es gibt schon eine Vielzahl an Angeboten, die wir als IHK für unsere Mitglieder bereit halten – sie müssen nur bekannt sein und bestenfall­s auch genutzt werden. Aber auch hier gilt: Der Wunsch zur Umsetzung muss von den Firmen selbst ausgehen. Wir können beraten und unterstütz­en. Für den Handel beabsichti­gen wir, im Herbst noch mal einen Workshop zur Digitalisi­erung anzubieten. Ich hoffe auf eine große Resonanz. Das gilt auch für unsere Aktion „Heimat shoppen“am 7. und 8. September in Nordhausen. Wer sich beteiligen möchte, wende sich an das City-management oder an uns als IHK.

 ?? Foto: Thomas Müller ?? Diana Stolze leitet seit  die Niederlass­ungen der IHK in Nordthürin­gen. Sie sitzt in der Nordhäuser Wallrothst­raße.
Foto: Thomas Müller Diana Stolze leitet seit  die Niederlass­ungen der IHK in Nordthürin­gen. Sie sitzt in der Nordhäuser Wallrothst­raße.

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