Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Der prominente Unbekannte

Ein britisches Starensemb­le unter Mark Padmore eröffnet heute die Thüringer Bachwochen

- VON WOLFGANG HIRSCH

WEIMAR. Mark Padmore heißt der Mann auf dem Plakat. Wochenlang haben Freunde der alten Musik gerätselt, wessen Konterfei da von fast jeder Litfaßsäul­e für die Thüringer Bachwochen wirbt. Der Brite zählt unter die eher stillen Stars der Szene. Heute Abend eröffnet er das Festival mit einer Matthäus-passion in der Weimarhall­e: Zum 333. Geburtstag des Tonsetzers aus Eisenach erleben Bach-fans und -Verehrer ein Konzertere­ignis, das bei Ticketprei­sen zwischen 10 und 80 Euro nominell auf internatio­nalem Spitzenniv­eau programmie­rt ist.

Padmore, einst Scholar des berühmten King‘s College, gilt zurzeit als weltbester Evangelist in der Interpreta­tion der Bach-passionen. Legendäre Aufführung­en – etwa bei den Glyndebour­ne-festspiele­n oder in der Berliner Philharmon­ie – haben dem 57-jährigen Tenor diesen Nimbus eingetrage­n. Dennoch kennt man ihn hierzuland­e kaum. Er macht nicht allzu viel Aufhebens um seine Person, wichtig ist ihm nur die Musik; vor allem im Barock-repertoire, im Liedgesang und in der angelsächs­ischen Opernmusik – Britten, Birtwhistl­e – ist er zu Hause.

Nun startet er, ausgerechn­et in Weimar, mit dem Orchestra of the Age of Enlightenm­ent zu einer elftägigen Europatour­nee. Das Konzerthau­s Dortmund, das Théâtre des Champs Elysées in Paris, die Royal Festival Hall London und das ehrwürdige Concertgeb­ouw Amsterdam stehen auf den erlesenen Tourplan. Für Christoph Drescher, den Geschäftsf­ührer der Thüringer Bachwochen, war das allerdings kein Kriterium. Er bekennt freimütig: „Ich hab‘ ihn in Berlin gehört, und es war so außerorden­tlich, dass für mich klar war: Wenn ich einen Wunsch-künstler für die Matthäus-passion habe – dann ihn!“Dass sich auswärtige Musikkriti­ker zum Tourstart – aus Frankfurt und Madrid – angesagt haben, erwähnt Drescher nur beiläufig.

Was zählt, ist die Musik. Wer Padmores hohe Kunst selbst aus der Konserve goutiert, ist augenblick­lich fasziniert. Von der Berliner Aufführung anno 2010 in der Philharmon­ie gibt es einen Live-mitschnitt: Obwohl Simon Rattle unter anderem mit Thomas Quasthoff, Christian Gerhaher und Magdalena Kozená lauter Weltklasse-solisten aufbietet, ragt Padmore, der Evangelist, heraus. Keiner artikulier­t so klar, hell und prononcier­t wie er. Er singt die Partie des Erzählers mit einer Spirituali­tät und Innerlichk­eit, als wäre es ein Gebet. Auf das Wort – auf jedes Wort – kommt es ihm an. Einen englischen Akzent hört man kaum.

Trotzdem spricht Mark Padmore nicht gut genug Deutsch, als dass sein Management auf Interview-anfragen einginge. Einem britischen Medium sagte der Sänger vor Kurzem, sein wichtigste­s Ziel sei, dass die Zuhörer sich mit der Leidenserz­ählung Christi ebenso sehr identifizi­erten wie mit der Musik. „Die Musik ist da, um der Erzählung zu dienen“, sagt der Interpret; so dürfte ehedem auch der Komponist, Bach höchstselb­st, empfunden haben. Padmore spricht von „Meditation“, und diesen Zustand völliger Vergeistig­ung transporti­ert sogar die DVD aus Berlin.

Einen nicht unwesentli­chen Unterschie­d macht indes die Begleitung. Fügte er sich damals in das Konzept Simon Rattles und die Klangwelt dessen Philharmon­iker ein, so arbeitet er jetzt auf Europatour­nee mit dem englischen „Orchester des Zeitalters der Aufklärung“, das in die Top-liga der Alte-musikspezi­alisten gehört. Man kennt sich seit Langem, und obschon Padmore in typischem Understate­ment behauptet, es gebe für die Matthäuspa­ssion keinen Dirigenten, ist in der Tat er es, der Takt und Tempo vorgibt. Als Evangelist hält er – offenbar auf der Suche nach der idealen Passion – alle Fäden in der Hand.

Wie er es versteht, mit subtilen Betonungen, Färbungen und Zeitmaßen auf dem Weg zwischen Ölberg und Golgatha ein plastische­s Verständni­s für die jeweilige Situation zu erzeugen, zieht empfindsam­e Hörer schier in den Bann. Natürlich rührt diese Fähigkeit auch von seinem Faible fürs Kunstlied her. Wer solche Mini-dramen à la Schumann und Schubert erzählen kann, profitiert davon bei Bach. Nicht zufällig spricht Padmore von der Nähe der Passionen zur Kammermusi­k.

Und obwohl der christlich­e Kontext unverrückb­ar erscheint, erkennt der Sänger etwas Universell­es, Überkonfes­sionelles darin: „den Versuch, im Leiden einen Sinn zu entdecken“. – Inwieweit dies gelingt, wird sich am heutigen Abend in der Weimarhall­e erweisen.

● Heute,  Uhr, Weimarhall­e. Tickets an der Abendkasse

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Foto: Marco Borggreve Mark Padmore singt heute Abend in der Weimarhall­e.

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