Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Hilfsangebote für den Täter als Opferschutz“ Das wirkt verständlich. Opfer benötigen Hilfe. Werden Frauen denn auf diese Weise nicht zusätzlich in Gefahr gebracht?
In Jena und Weimar gibt es neue Wege heraus aus häuslicher Gewalt – sofern beide Seiten diesem Angebot zustimmen
JENA/WEIMAR. „Systemische Paarberatung bei häuslicher Gewalt“heißt ein neues Gemeinschaftsprojekt in Jena und Weimar, bei dem das Frauenhaus und Familientherapeut Hagen Bottek zusammenarbeiten.
Wenn der Partner zum Gewalttäter wird, bleibt den Frauen oft nur der Weg ins Frauenhaus. Sie setzen stattdessen auf Familientherapie. Kann das denn gehen?
Ja, das geht meines Erachtens nicht nur, sondern macht richtig viel Sinn. Bei den Hilfsangeboten, die bislang in Fällen häuslicher Gewalt bestehen, sind die Täter nicht mit in die Beratung einbezogen. Angebote werden den Frauen und auch den Kindern gemacht, die Männer bleiben sozusagen in der Mitte sitzen und schauen nur zu. Für sie kommt kein Angebot. Das ist die vorherrschende Meinung, richtig muss sie dennoch nicht sein. Nach meinem Dafürhalten ist ein Angebot an den Täter auch Opferschutz. Ohne solche Angebote gibt es für den Täter doch weder einen Grund noch die Möglichkeit, sich der entstandenen Situation zu stellen.
Das Unrechtsbewusstsein dürfte in dieser Gesellschaft durchaus auch dem Täter nicht unbekannt sein.
Im Grundsatz ist das sicher so. Aber Schlagen und andere Formen von Gewalt sind bei vielen Tätern einfach ein Mittel zur Lösung von Konflikten. Und die Gewalt scheint ja im ersten Moment Sinn zu machen und zu funktionieren. Manchmal ist sie auch einfach ein Ausdruck von Hilflosigkeit.
Sind geschlagene Frauen denn überhaupt bereit zu solchen Gesprächen mit ihrem gewalttätigen Partner?
Ja, zumindest einige. Und zwar jene, die ihren Partner nicht verlassen möchten und nach einer Lösung suchen, die sie selbst nicht kennen. Ich arbeite derzeit mit einem Täter, der seiner Frau psychische Gewalt angetan hat. Dafür trägt er ganz allein Verantwortung und muss lernen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Andererseits muss die Frau auch bereit sein, ihn aus einer aufgeladenen Situation zu entlassen. Die Verantwortung, dass das künftig gelingt, haben beide. Nein, aus meiner Sicht nicht mehr, als sie vorher schon waren. Jetzt gibt es die Chance für eine Veränderung der Beziehung oder aber auch auf eine faire Trennung. Oft bleiben die Frauen bei ihren Partnern, weil sie sich nicht lösen können.
Wann macht eine solche Therapie Sinn?
Die funktioniert nur, wenn beide Parteien freiwillig daran teilnehmen. In den Erstgesprächen reden die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses mit der Frau und ich mit dem Mann. Dann setzen wir uns zusammen und beratschlagen. Die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses und ich müssen herausfinden, ob eine solche Beratung mehr Schutz geben kann. Ziel ist es, in den 10 bis maximal 15 Terminen herauszufinden, was das Paar miteinander klären will und auch kann. Das kann sowohl ein verändertes Miteinander oder aber die gewaltfreie Trennung sein.
Woher nehmen Sie denn Ihren Optimismus in dieser Frage?
Das große Vorbild für diese Art der Hilfe ist das Modell Oranjehuis aus den Niederlanden. Dort gibt es dieses Angebot der systemischen Beratung seit mehreren Jahren. Frauen, Männer und Kinder haben diese Möglichkeit angenommen. Möglicherweise können wir hier auch diesen Weg der stärkeren Öffentlichkeit gehen.
Und verängstigte Frauen und Kinder noch mehr erschrecken.
Nein. Der totale Rückzug muss in bestimmten Situationen weiterhin möglich sein. Nicht jedem Täter sind Einsichtsmöglichkeiten gegeben.
Gilt diese für Thüringen derzeit noch einzigartige Idee auch dann, wenn es nicht nur um das Ehepaar geht, sondern auch Kinder zur Familie gehören?
Ja, unbedingt. Das Jugendamt in Jena ist beispielsweise mit im Boot. Das Angebot ist eine Maßnahme der Jugendhilfe, es gibt einen Kooperationsvertrag. Das Jugendamt hat schließlich ein Interesse daran, dass Kinder nicht mehr in gewalttätigen Beziehungen leben müssen. Manche Dinge kann der Täter doch üben: innerliche Ruhe, wenn die Stimmung hoch kocht, das Spüren des ansteigenden Blutdrucks oder das Fallen in alte Rollenmuster.
Wie alt sind die Menschen, zumeist sind es ja Frauen, die häusliche Gewalt erleben?
Das beginnt mit Anfang 20 und ist bis Ende 30/ Anfang 40 am häufigsten zu beobachten. Später lässt die Beziehungsgewalt zwar von der Anzahl der Delikte her nach. Aber es gibt sie bis ins hohe Alter.
Aus welchen Schichten kommen die Täter?
Es gibt keine Gruppe, die vor Gewalt gefeit ist. Denn Gewalt hat nicht nur mit Intellekt zu tun, sondern auch mit Erlebnissen aus der Kindheit. Nicht jeder kann sich als Erwachsener daraus allein befreien.
„Das große Vorbild für diese Art der Hilfe ist das Modell Oranjehuis aus den Niederlanden. Dort gibt es dieses Angebot der systemischen Beratung seit mehreren Jahren.“ Hagen Bottek, Familientherapeut