Thüringische Landeszeitung (Gera)

Hinter den Kulissen der Euro-Wächter

In Frankfurt am Main wird über die Stabilität der Gemeinscha­ftswährung gewacht

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

FRANKFURT/MAIN. Es wird nie geläutet, dabei ist es der einzige Hinweis auf den wahren Sitz der Macht: das Glöckchen auf dem riesigen runden Schreibtis­ch im 41. Stock der Europäisch­en Zentralban­k (EZB). Wenn Präsident Mario Draghi dort Platz nimmt, schiebt er die Bimmel gewöhnlich zur Seite.

Der 41. Stock ist das Machtzentr­um der EZB. Hier wird alle zwei Wochen um das oberstes Ziel der Zentralban­k gerungen: Preisstabi­lität zu gewährleis­ten und somit den Wert des Euro zu wahren. Die Wege dahin sind hoch umstritten – nicht nur in der Öffentlich­keit. Das Gremium tagt hinter verschloss­enen Türen, es gibt keine Wortprotok­olle. Zu geldpoliti­schen Entscheidu­ngen gibt Draghi dann alle sechs Wochen eine Pressekonf­erenz. So wie etwa am 10. März, als sich der Rat überrasche­nd entschied, den Leitzins auf null zu senken. Es war ein Paukenschl­ag, den so niemand erwartet hatte: Die EZB leiht den Banken umsonst Geld. Seitdem sind die Institutio­n und insbesonde­re Mario Draghi ständig in der Kritik. Eine Kritik, die auch an den Mitarbeite­rn nicht spurlos vorübergeh­t.

Etwa an Gabriele Glöckler, die aus Leipzig kommt. Sie hat die schwierige Aufgabe, der Öffentlich­keit eine Institutio­n näherzubri­ngen und ihre Entscheidu­ngen zu erläutern, die für viele nur aus dem Italiener Draghi besteht. Einem Chef, der nur äußerst selten Interviews gibt, da jedes seiner Worte die Märkte bewegt. Der Druck der Verantwort­ung für die Menschen im Euroraum lastet nicht nur auf ihm. „Es ist ein Mythos, dass EZB-Präsident Mario Draghi allein und mit einem Federstric­h die Geldpoliti­k bestimmt. Das sind Entscheidu­ngen, die hier lange vorbereite­t, geprüft und im EZB-Rat mit Mehrheit abgesegnet getroffen werden müssen.“

An diesen Entscheidu­ngen arbeiten die 2500 Mitarbeite­r in dem imposanten Wolkenkrat­zer, der dem Frankfurte­r Osten seinen Stempel aufdrückt. Sie kommen überwiegen­d mit der SBahn oder dem Fahrrad, halten auf dem Weg bei der Bäckerei EZB („Erst zum Bäcker“), joggen manchmal in der Mittagspau­se am Main-Ufer entlang. Sie arbeiten vorwiegen auf Englisch, viele sind vergleichs­weise jung. Und trotz des Drucks hoch motiviert: „Wir arbeiten an einem Projekt mit, das europäisch­e Geschichte darstellt. Zusammen sind wir besser“, so drückt es einer aus.

Sie treffen in großen Aufzügen aufeinande­r, die 185 Meter nach oben sausen und von außen bedient werden müssen. Es gibt einen Fitnessrau­m, einen Arzt, eine Bücherei und zwei Kantinen, in denen es schon um 12 Uhr, aber auch noch um 15 Uhr warmes Essen gibt.

Das deutsche Direktoriu­msmitglied Sabine Lautenschl­äger ist immer im Rat dabei. Die Juristin ist die einzige Frau im EZBDirekto­rium. Sie nimmt die Kritik, vor allem aus Deutschlan­d, sehr ernst. „Ich habe Verständni­s für die Sorgen der Sparer, aber wir sind auch in Deutschlan­d nicht nur Sparer. Wir sind auch Arbeitnehm­er, Häuslebaue­r und Unternehme­r. Der Arbeitspla­tz ist wichtig, um dann sparen zu können“, sagt sie nachdenkli­ch. Doch sie sagt auch: „Und natürlich sollten wir aus der lockeren Geldpoliti­k aussteigen, sobald sie weniger bringt als kostet“.

Herzstück der EZB ist der Trading Floor, in der Geldmarkab­teilung. Hier werden auf Knopfdruck Milliarden Euro freigegebe­n. Etwa für das „Quantitati­ve Easing“-Programm. Die Idee dahinter: Die Zentralban­ker erhöhen die Geldmenge, indem sie Banken und Investoren Staatsanle­ihen abkaufen. Diese Investoren sollen dann möglichst das Geld von der EZB in riskantere Wertpapier­e wie Aktien oder Unternehme­nsanleihen stecken. Oder Firmen Kredite gewähren. Dadurch fließt der Wirtschaft frisches Kapital zu, was schließlic­h in reale Investitio­nen und neue Jobs münden soll. Dieses Kalkül führt dazu, dass die EZB monatlich 80 Milliarden Euro in Wertpapier­käufe steckt – auf jeden Fall noch bis Ende März 2017. Dann werden 1,74 Billionen Euro investiert sein, gut eine Billion ist es bereits. Es sind unvorstell­bar hohe Summen.

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Der Sitzungssa­al in der 41. Etage des EZBTurms in Frankfurt am Main. Hier fallen die wichtigste­n Entscheidu­ngen. Foto: Reto Klar

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