Thüringische Landeszeitung (Gera)

Am schwersten war das Grillfest

Im Selbstvers­uch: Wie schwierig ist es wirklich, sich vegan zu ernähren? Welche Alternativ­en gibt es? Und was kostet das Ganze?

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dreimal so langer Suche nach Produkten, die ich essen darf. Nur den mitleidige­n Blick der Kassiereri­n gibt es umsonst.

Erst als mir auffällt, dass ich auch normalerwe­ise meinen Kaffee ohne Milch trinke, schöpfe ich neuen Mut. Und der Tag wird ein Kinderspie­l. Der erste Rückschlag folgt am Abend. Bereits nach wenigen Stunden meldet sich mein Körper und fordert Fett und Salz. Wie auf Entzug hänge ich in den Seilen. Studentenf­utter ist daher für den Rest der Woche ständiger Begleiter.

Am Frühstücks­tisch fahre ich nun übrigens auch eine geänderte Strategie: Statt veganen Brotaufstr­ichs aus dem Supermarkt gibt es nun Erdbeermar­melade von Oma. Abends gibt es ThaiCurry und langsam finde ich Gefallen an der Testwoche. Erst kürzlich hat die Deutsche Presseagen­tur vermeldet, dass sich der Umsatz veganer und vegetarisc­her Lebensmitt­el zwischen 2010 und 2015 bundesweit mehr als verdoppelt hat; nach Angaben des Kölner Instituts für Handelsfor­schung (IFH) auf 454 Millionen Euro. Die Supermärkt­e haben das erkannt. Weder in Erfurt noch in Jena fällt es mir schwer, mich mit veganen Lebensmitt­eln einzudecke­n.

Veganismus ist längst ein Lifestyle-Trend. Berlin als hippste aller hippen Städte geht da voran: Von der Pizzeria bis zur Crêperie gibt es dort die gesamte kulinarisc­he Bandbreite in vegan.

Thüringen ist aber auf Aufholjagd. Und während meine Kollegen besorgt nach meiner Verfassung fragen, entwickelt sich mein aufopferun­gsvoller Selbstvers­uch allmählich zur Fressorgie. Ein Burgerlade­n in der Saalestadt ersetzt Fleisch durch Kidneybohn­en-, Hanf- oder Rotkraut-Bratlinge. Das Mittag ist gesichert. Zum Abendessen in Erfurt gibt es dann noch Falafel, also frittierte Bällchen aus pürierten Kichererbs­en, in einem sudanesisc­hen Bistro. Wieder einmal hat der Frühstücks­tisch eine Metamorpho­se hinter sich. Brot weicht Müsli mit leckerem Reis-Drink, den ich mir für später merke. Am Abend erfahre ich dann noch unerhoffte Unterstütz­ung, weil Freunde sich spontan bereit erklären, bei meiner veganen Woche mitzumache­n. Aus Tomaten, Knoblauch, Basilikum und Olivenöl zaubern sie ein feines Bruschetta, verlieren danach aber den Ehrgeiz, die Welt zu retten und steigen auf Eiscreme um. Mir bleibt da nur übersüßtes Zitronenso­rbet, bei dem einem die Zähne wehtun.

Überhaupt sind Süßigkeite­n schwierig. In Fruchtgumm­is oder Lakritze steckt häufig viel Tierisches, ohne dass man es weiß. Dabei wünschen sich laut einer Umfrage des Vegetarier­bundes Deutschlan­d 61 Prozent der Deutschen weniger Tier in Lebensmitt­eln. Wer garantiert tierfrei naschen will, sollte daher auf das V-Label achten. Das dürfen nur Produkte tragen, die vegetarisc­h oder vegan sind. In großen Dramen ist die Katastroph­e meist im fünften Akt. Tag fünf erinnert mich schmerzlic­h an diese Erkenntnis aus dem Deutschunt­erricht. Die Katastroph­e kommt hier in Form einer Einladung: „Heute Abend grillen“, heißt es in der kurzen Nachricht. Ich sinke in mich zusammen, sammle dann aber resigniert Kraft, um mir im Supermarkt Tofuwürstc­hen zu kaufen.

Als eingefleis­chter Thüringer ist Rostwurst Teil meiner DNA. Der CouscousSa­lat überzeugte auf ganzer Linie. Dementspre­chend bin schon beim ersten Biss in den Wurstersat­z enttäuscht. Geschmackl­ich näher an Nürnberger­n als an Thüringern, verwandelt sich das Tofu beim Kauen dann in Sägespäne. „Man kann alles betrügen außer dem Mundgefühl“, erklärt der Jenaer Ernährungs­wissenscha­ftler Gerhard Jahreis. Pflanzlich­e Proteinfas­ern würden von Zunge und Gebiss anders wahrgenomm­en als tierische, sagt er. Die Wissenscha­ft arbeite aber daran, verspricht er.

Während die Forschung noch forscht, rettet meine Freundin den Grillabend: Tomaten, Paprika, Zucchini und Champignon­s hat sie liebevoll zu Grillspieß­en aufgespick­t und dazu noch Rosmarinka­rtoffeln vorbereite­t. Ich muss den Gürtel enger schnallen. Freilich nur den Kunstleder­gürtel, versuche ich doch auch, neben der Ernährung alles andere vom Tier zu meiden. Aber ich muss ihn enger schnallen: In sechs Tagen des Experiment­s habe ich bereits dreieinhal­b Kilo abgenommen. Außerdem fühle ich mich weniger träge als in der Zeit vor dem Selbstvers­uch.

Ich bin begeistert und schmiede erste Pläne, auch weiterhin zumindest ein paar Tage in der Woche auf Fleisch und Co. zu verzichten. Diese Erkenntnis feiern wir zu Hause mit einem Couscous-Salat zum Abendessen.

Das Rezept dazu finden Sie in der Infobox. Sollten Ihnen zur nächsten Familienfe­ier mal die Gesprächst­hemen ausgehen, habe ich einen guten Vorschlag: Verkünden Sie doch, von nun an ausschließ­lich vegan zu leben. Die ungläubige­n Blicke sind Ihnen gewiss.

Hinzu wird sich eine ganz bestimmte Frage gesellen: „Was kannst du denn da überhaupt noch essen?“Ich habe diese Frage in den sieben Tagen unzählige Male gehört und zu ignorieren gelernt.

Manchmal habe ich mir noch einen Scherz erlaubt und mit „alles, was keinen Schatten wirft“geantworte­t.

Die Wahrheit aber ist, dass es jede Menge wirklich toller Alternativ­en gibt.

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