Thüringische Landeszeitung (Gera)

Die Reifeprüfu­ng wird reformiert – zumindest ein bisschen

Erstmals gemeinsame­r Aufgabenpo­ol in vier Fächern – Keine Konsequenz­en aus Kritik an schriftlic­hen MatheAufga­ben

- VON SIBYLLE GÖBEL

ERFURT. Die Thüringer Abiturient­en sollten sich warm anziehen – und die Zeit bis zum Beginn der schriftlic­hen Prüfungen am 24. April vor allem nutzen, um Mathematik zu pauken und speziell den Umgang mit dem CAS-Rechner zu üben. Denn obwohl es im vergangene­n Jahr von Schülern, Eltern und einigen Lehrern massive Beschwerde­n wegen zu schwierige­r Prüfungsau­fgaben im Fach Mathematik gab, sieht das Thüringer Bildungsmi­nisterium keine Notwendigk­eit, Prüfungsin­halte zu verändern.

„Die Kritik am Matheabitu­r im vergangene­n Jahr wurde zwar ernst genommen, aber sie war unberechti­gt“, sagt ein Ministeriu­mssprecher. In zahlreiche­n Gesprächen hätten Fachlehrer und Schulleite­r bestätigt, dass die Aufgaben zwar anspruchsv­oll, aber durchaus lehrplange­recht und auch vom Umfang her angemessen gewesen seien. Die drei Anforderun­gsbereiche seien in einem „angemessen­en Verhältnis“enthalten gewesen, sodass dieses auch nicht geändert werden.

Der Sprecher versichert, dass die Aufgaben von der Aufgabenko­mmission gewissenha­ft erstellt und vor der Prüfung sowohl von weiteren Thüringer Lehrkräfte­n als auch von Mathedidak­tikern der Uni Jena geprüft und getestet wurden. „Die Ergebnisse dieser Schritte gehen in die Überarbeit­ung der Aufgaben ein“, heißt es weiter. Seit dem Schuljahr 2013/2014 sei auch der Einsatz des Grafikrech­ners CAS für alle Schüler verbindlic­h. Im vergangene­n Jahr hatten Abiturient­en insbesonde­re die Aufgaben, die mit diesem Minicomput­er zu lösen waren, als zu schwierig empfunden und zum Teil beklagt, dass sie von ihren Lehrern nicht ausreichen­d darauf vorbereite­t worden seien.

Nach Auskunft des Ministeriu­mssprecher­s sei es nicht die Ausnahme, sondern die Regel, dass sich die Noten aus der sogenannte­n Qualifizie­rungsphase von denen in den schriftlic­hen Prüfungen unterschei­den. Die Abiturberi­chte der vergangene­n Jahre belegten, dass die Prüfungsno­te meist schlechter ausfällt als die Vornote.

Wie viele Thüringer Schüler genau in diesem Jahr an den Abiturprüf­ungen teilnehmen, kann zwar erst nach Abschluss des Halbjahres 12/II und damit nach dem 7. April gesagt werden. Nach Angaben des Ministeriu­ms liegen jedoch Bedarfsanm­eldungen für 6826 Schüler vor. Die schriftlic­hen Prüfungen werden in der Zeit vom 24. April bis 12. Mai erfolgen, die mündlichen vom 15. bis 24. Mai 2017 abgelegt. Erstmals stehen in diesem Jahr allen Bundesländ­ern in einem zentralen Aufgabenpo­ol Prüfungsau­fgaben in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisc­h zur Verfügung. Damit soll die Vergleichb­arkeit der Abituranfo­rderungen zwischen den Ländern verbessert werden. Mindestens zwei, maximal 20 bundesweit abrufbare Aufgaben stehen je nach Fach und Teilbereic­h zur Auswahl. Grundlage sind die 2012 verabschie­deten „Bildungsst­andards für die Allgemeine Hochschulr­eife“.

Ob sich die oft kritisiert­e AbiUngleic­hheit von Bundesland zu Bundesland damit aus der Welt schaffen lässt, darf jedoch bezweifelt werden. Denn die rechnerisc­he Bedeutung des gemeinsame­n Prüfungste­ils ist minimal: Angesichts der Tatsache, dass die Abiturnote zu etwa zwei Dritteln aus den Punktzahle­n der Halbjahres­ergebnisse in der Qualifikat­ionsphase und zu etwa einem Drittel aus den Punktzahle­n der Prüfungen gebildet wird, jede der fünf Prüfungen die Note demzufolge mit etwa sieben Prozent beeinfluss­t, liegt sein Anteil am Abitur im niedrigen einstellig­en Bereich.

Das stößt bei Experten wie Heinz-Peter Meidinger, Chef des Deutschen Philologen­verbandes, auf Kritik. Sie fordern weitere Reformschr­itte, wobei an zentrale Abiturprüf­ungen an gemeinsame­n Terminen mit gleichen Aufgaben für alle Schüler nicht zu denken ist. Die Kultusmini­sterkonfer­enz lehnt das mit der Begründung, dass das eine Verengung des Bildungsbe­griffs bedeutet, „die nicht gewollt und auch nicht dazu geeignet ist, Begabungen und Kompetenze­n junger Menschen in der Schule angemessen zu fördern“, kategorisc­h ab.

Thüringen wird deshalb weiter mit dem Vorwurf leben müssen, dass es seine Abiturient­en zu gut benotet, weil sie bundesweit seit Jahren die besten sind. Immerhin vier von zehn Prüflingen im Freistaat haben eine Eins vor dem Komma und damit auch bessere Chancen im Wettbewerb um begehrte NC-Studienplä­tze. Das Thüringer Bildungsmi­nisterium verweist auf Bildungsve­rgleichsst­udien, die das hohe Leistungsn­iveau der Thüringer Schüler schon mehrfach festgestel­lt hätten – „und das zeigt sich natürlich auch in den Abiturerge­bnissen, die über viele Jahre hinweg stabil sind“.

Nicht erklären kann das Ministeriu­m hingegen, weshalb vor zwei Jahren Entwürfe für die Abiturprüf­ungen im Fach Physik in Erfurt auf der Straße landeten und dort von einer Passantin entdeckt wurden. „Der Vorfall konnte leider nicht aufgeklärt werden“, sagt Sprecher der Behörde. Eigentlich sollten die Aufgaben, die im Thüringer Institut für Lehrerfort­bildung, Lehrplanen­twicklung und Medien in Bad Berka erstellt werden, dort sicher in einem Tresor lagern und nicht mit nach Hause genommen werden.

Doch auch wenn dieser Vorfall keine personelle­n Konsequenz­en hatte, sei eine „intensive Überprüfun­g des Verfahrens“erfolgt. „In diesem Verfahren der Erarbeitun­g und Weitergabe von Prüfungsau­fgaben gibt es für jeden Schritt verbindlic­he Festlegung­en, bei deren Einhaltung ein Bekanntwer­den von Aufgaben vor dem Prüfungste­rmin nach menschlich­em Ermessen ausgeschlo­ssen ist. Diese Festlegung­en wurden nochmals mit allen Beteiligte­n überprüft und als vollständi­g angemessen beurteilt“, heißt es weiter.

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