Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Heimisch werden heißt mehr als die Anerkennung des Grundgesetzes
Damit Integration gelingt: Nach den Münklers bei den Weimarer Lesarten jetzt ein Abend mit Wolfgang Thierse im Katholischen Forum mit sehr ähnlichen Handreichungen
Migration und Integration sind wichtige Themen in diesen Zeiten. Innerhalb weniger Tage haben gleich zwei hochkarätige Veranstaltungen den Fokus auf „Das Fremde und das Eigene“beziehungsweise auf „Die neuen Deutschen“gelenkt: Letzteres ist der Buchtitel des Professorenpaares Herfried und Marina Münkler, die vor wenigen Tagen die Weimarer Lesarten mit ihren Thesen für „Ein Land vor seiner Zukunft“eröffneten. Jetzt lud das Katholische Forum nach Erfurt in die Bildungsstätte St. Martin ein, um mit Bundestagspräsident a.D. Wolfgang Thierse über Deutschland und die Migration zu sprechen.
Es zeigte sich dabei, dass sich die Münklers und Thierse beim Blick auf diese Gesellschaft und die Herausforderungen, die sich in Zeiten der Migration und Integration stellen, ganz nahe sind. Ihre Handreichungen sind sich ähnlich. Klar ist in beiden Fällen, dass zum heimisch werden in Deutschland Spracherwerb, Bildung und Berufsausübung Grundvoraussetzungen sind; dass es zudem der Anerkennung des Grundgesetzes bedarf – und dass dies allein nicht genügt, um von gelungener Integration sprechen zu können.
Offenbar hat sich in der Mitte der Gesellschaft – für die die beiden Professoren wie der langjährige SPD-Politiker stehen – eine Sicht auf die Zustände durchgesetzt, die weit über die Grundlosung „Wir schaffen das“hinausgeht: Ganz deutlich wird von den Herausforderungen für Neuankömmlinge wie Einheimische gesprochen. „Eine pluralistischer werdende Gesellschaft ist keine Idylle“, sagt etwa Thierse. Er sieht das „soziale und kulturelle Konfliktpotenzial“; doch ähnlich den Münklers – über deren Weimarer Vortrag samt Diskussion bereits ausführlich berichtet wurde – steht auch Thierse dieser Entwicklung nicht verzagt gegenüber. Zu seinen Kernsätzen zählt dies: „Heimisch werden heißt, die Chance zur Teilhabe an den öffentlichen Gütern des Landes zu haben, also an Bildung, Arbeit, sozialer Sicherheit, Demokratie und Kultur partizipieren zu können. Es heißt auch, menschliche Sicherheit und Beheimatung zu erfahren. Das ist mehr, als Politik zu leisten vermag. Gefragt ist vor allem Zivilgesellschaft mit ihren Strukturen und Erscheinungsformen, die einladend oder abweisend sein können.“
Thierse betonte – wie zuvor schon die Münklers –, dass „für den Zusammenhalt einer pluralistischen Demokratie gemeinsame Sprache, Anerkennung von Recht und Gesetz sowie der vielgerühmte und gewiss notwendige Verfassungspatriotismus“nicht ausreichten – und „auch nicht die Beziehungen, die die Gesellschaftsmitglieder über den Markt und Arbeitsprozesse miteinander eingehen, nämlich als Arbeitskräfte oder Konsumenten“.
Grundlegende Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen bei Maßstäben, Normen oder Werten seien zentral: „Es bedarf tendenziell gemeinsamer Vorstellungen von der Freiheit und ihrer Kostbarkeit, vom Inhalt und Umfang von Gerechtigkeit, vom Wert und von der Notwendigkeit von Solidarität, gemeinsamer oder wenigstens verwandter Vorstellungen von sinnvollem und gutem Leben, von der Würde jedes Menschen, von der Integrität der Person, von Toleranz und Respekt“, so der Sozialdemokrat. Thierse hält es mit Hölderlin, der sagte: „Das Eigene muss so gut gelernt sein wie das Fremde.“Und er verweist darauf, dass „die islamistischen Terroristen die westliche Kultur und den westlichen Lebensstil so ernst nehmen wie der Westen vielleicht längst nicht mehr, so ernst, dass sie ihn bekämpfen.“So enthalte „Integration nach Deutschland hinein die historisch-kulturelle Zumutung für die zu uns Kommenden“, dass die aktive Erinnerung an den Holocaust Staatsräson sei, verweist Thierse auf Worte von Charlotte Knobloch.
Not tue, „an einem gemeinsamen Bürgerbewusstsein über alle kulturellen und religiös-weltanschaulichen Differenzen hinweg“mitzuwirken. Es gelte, an einem „neuen Wir zu arbeiten, das in der Lage ist, Toleranz, gemeinsame Verantwortung und Solidarität zu begründen“, so Thierse jetzt in Erfurt.
„Integration wird nur dort gelingen, wo sowohl die zu uns Kommenden wie auch die Aufnahmegesellschaft dies wollen und das Notwendige dafür tun. “Wolfgang Thierse, SPD, Bürgerrechtler und ehemaligen Bundestagspräsident