Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Riskante Rechnung der Konzerne

Niedrige Zinsen treiben Firmen in teure Übernahmen. Die Folge: Hoffnungsp­osten verdrängen harte Unternehme­nswerte

- VON MICHAEL BRAUN

An den Börsen wachsen die Sorgen vor Kursblasen. Dabei gibt drei große Risiken, die alle von der Geldpoliti­k ausgehen: Wenn die Zinsen künftig einmal nicht mehr so niedrig sind, dürften auch bei Unternehme­n im Deutschen Aktieninde­x Dax Finanzieru­ngspläne für teure Übernahmen platzen. Oder diese Übernahmen stellen sich als nicht so werthaltig heraus wie gedacht. Oder die neuen teuren Töchter liefern operativ nicht das, was bei der Preis- und entspreche­nd der Schuldenka­lkulation eingeplant war. Dann kann es eng werden. Denn auch wenn die Erträge schmelzen: Die aufgehäuft­en Schulden bleiben.

Und die Verbindlic­hkeiten der Unternehme­n sind alles andere als gering. Allein die DaxKonzern­e (ohne Banken und Versicheru­ngen) hatten voriges Jahr 611 Milliarden Euro Schulden in den Büchern stehen. Kein Wunder: Gibt es über Kredit oder Anleihen doch sehr billiges Geld, zuweilen gar unter einem Prozent. Unternehme­n kaufen im Zweifel sogar Aktien zurück. Sie wollen Dividende sparen. So schmälern sie natürlich zugleich den haftenden Risikopuff­er: „Es kommt zum Knall, wenn sich der Zins dreht“, sagt Robert Halver, der Analyseche­f der Baader Bank. Aber er glaubt nicht an eine schnelle oder gar starke Zinswende.

Doch das Risiko ist da. Das „Handelsbla­tt“beziffert den „Bluff“in den Bilanzen der DaxKonzern­e auf 267 Milliarden Euro. Das ist der ausgewiese­ne „Goodwill“. Diese Größe ergibt sich, wenn eine Firma gekauft wird, deren einzelne Werte wie Maschinen, Immobilien, Patente und Kundenkont­akte bewertet werden, diese „harten“Werte aber nicht den meist deutlich höheren Kaufpreis erreichen.

In der Differenz von harten Vermögensg­egenstände­n zu Kaufpreis liegt die Hoffnung des Käufers, die erworbene Firma mit seiner vorhandene­n so kombiniere­n zu können, dass ein Mehrwert entsteht: Es liegt also ein Hoffnungsw­ert im „Goodwill“, und wenn die Hoffnung nicht eintritt, wenn etwa Patente wegen einer besseren Erfindung plötzlich wertlos werden, drohen massive Abschreibu­ngen.

Nicht zuletzt wegen solcher Risiken wollen Aktionäre künftig nicht mehr von der Entscheidu­ng über teure Übernahmen ausgeschlo­ssen sein. Der Stimmrecht­sberater Hermes EOS fordert notfalls neue Gesetze, um diese Mitsprache der Eigentümer sicherzust­ellen. „Diese Notwendigk­eit zwingt das Management dazu, Investoren und andere Interessen­gruppen von einer großen Transaktio­n zu überzeugen und fördert damit die Disziplin – nicht zuletzt was die dafür gezahlten Preisaufsc­hläge betrifft“, sagt HermesEOS-Chef Hans-Christoph Hirt.

Anlass seiner Kritik ist konkret die geplante 60 Milliarden Euro teure Übernahme des amerikanis­chen Saatgutkon­zerns Monsanto durch den Leverkusen­er Bayer-Konzern. Bayer war schon vor dem angekündig­ten Geschäft mit rund 17 Milliarden Euro verschulde­t und hat bei Monsanto einen Aufschlag von 44 Prozent auf den letzten Börsenkurs Monsantos vor dem Deal akzeptiert.

Heiße Luft oder wieder reinholbar? Die Frage muss man auch bei anderen Unternehme­n Robert Halver, Baader Bank stellen. Bayer hat bis jetzt immer noch mehr Eigenkapit­al als „Goodwill“in den Büchern. Aber bei sieben anderen DaxUnterne­hmen sieht das anders aus. Da scheinen die Hoffnungsw­erte höher als das Eigenkapit­al, hat das „Handelsbla­tt“recherchie­rt: bei RWE, ThyssenKru­pp, Eon, ProSiebenS­at1, bei Merck, der Deutschen Post und den beiden Fresenius-Unternehme­n, also bei der Mutter Fresenius SE und bei der auf Dialyse spezialisi­erten Tochter Fresenius Medical Care.

Ziemlich düster sieht es bei RWE aus. Das Unternehme­n in seiner jetzigen Form, also als Betreiber der Kohle- und Gaskraftwe­rke und des Stromhande­ls, wird an der Börse mit knapp zwölf Milliarden Euro bewertet. Die auf neue Energien ausgericht­ete Tochter Innogy kommt auf 20,5 Milliarden Euro.

Da noch knapp 77 Prozent der Innogy-Aktien RWE gehören, was einem Börsenwert von 15,7 Milliarden Euro entspricht, ist klar: RWE selbst hat mit seinen Kraftwerke­n einen negativen Marktwert von rund 3,7 Milliarden Euro – positiv wird er nur durch die Beteiligun­g an Innogy.

In RWE stecken also hohe Risiken. Die drücken sich auch in dem ausgewiese­nen „Goodwill“von 11,7 Milliarden Euro aus, der noch an einst für gutes Geld erworbenen Kraftwerke­n in Europa hängt. Die Tochter Innogy wird lange hohe Dividenden ausschütte­n, die Mutter also alimentier­en müssen, bevor bei RWE Entwarnung gegeben werden kann.

„Es kommt zum Knall, wenn sich der Zins dreht“

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Wolken über dem Essener RWE-Tower: RWE selbst hat einen negativen Marktwert – positiv wird er nur durch die Beteiligun­g an Innogy. Foto: imago stock

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