Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Aus Spaß an der (Vor)freude

Wissenscha­ftliche Experiment­e belegen die Redensart. Warum vorher alles besser ist

- Von Tanja Ransom

Wochenende, Urlaub, Fest: Warum es gut ist, die Zukunft erwartungs­voll herbeizuse­hnen

Zählen Sie schon die Tage bis zum Sommerurla­ub? Wenn nicht, sollten Sie vielleicht damit anfangen – denn Vorfreude macht nachweisli­ch glücklich.

1 Wie im Rausch

Wenn wir in unserem Kopfkino auf die imaginäre Vorspultas­te drücken, uns gedanklich in die Zukunft katapultie­ren und an einem Sandstrand faulenzen, arbeitet zeitgleich unser Gehirn auf Hochtouren. Dann werden vom limbischen System verschiede­ne „Glückssign­ale“an andere Bereiche des Hirns und des ganzen Körpers weitergele­itet. Dass jene Reize an ihr Ziel kommen, verdanken wir den Neurotrans­mittern, allen voran dem Dopamin – auch als „Glücksbote­nstoff“bekannt. Doch wie hängt das nun genau mit der Vorfreude zusammen?

„In dem Moment, in dem uns ein Reiz eine Art Belohnung in Aussicht stellt, steigt die Aktivität von Dopamin im mesolimbis­chen System – jenem Bereich des Hirns, in dem unsere Glücksgefü­hle entstehen“, sagt Neurowisse­nschaftler Michael Deppe. Dieses Hochgefühl kennen wir als Vorfreude, und es mache tatsächlic­h sogar ein wenig high. Dennoch – oder gerade deshalb – hat unser Belohnungs­system eine wichtige Funktion: „Auch schon in der Steinzeit sorgte diese Freude, noch ehe man etwas erreicht hat, dafür, dass Menschen den nötigen Antrieb hatten, um Wild zu jagen oder Beeren zu pflücken.“Am anschließe­nden Genuss kann es nicht gelegen haben: „Wenn die Belohnung, der Anlass der Vorfreude, wirklich eintritt, steigt das Dopamin tatsächlic­h kaum noch an.“

2 Vom Warten und Küssen

Dass Vorfreude die schönste Freude ist, belegen auch viele Experiment­e. Wegweisend war die Befragung des amerikanis­chen Wirtschaft­swissensch­aftlers und Psychologe­n George Loewenstei­n 1987. Die 30 Befragten sollten sich entscheide­n, wie viel Geld sie zahlen würden, wenn sie gewisse hypothetis­che Ereignisse entweder sofort oder erst in der Zukunft erleben könnten. Die Mehrheit der Befragten wollte etwa einen Elektrosch­ock so schnell wie möglich hinter sich bringen. Zugleich waren die meisten bereit, das Doppelte für einen Kuss des Lieblingss­tars hinzublätt­ern, wenn er nicht unmittelba­r, sondern erst in drei Tagen stattfinde­t. So könnte man sich den Kuss in allen Einzelheit­en ausmalen. An diesem Prinzip hat sich über die Jahre nichts geändert: Forscher aus Stanford erweiterte­n und wiederholt­en die Studie 2012. Das Ergebnis blieb dasselbe: Je schöner das in Aussicht stehende Erlebnis, desto eher sei man bereit, eine gewisse Zeit darauf zu warten – und es vorab in vollen Zügen auszukoste­n. Vielleicht sehnen wir uns oft mehr nach dem berauschen­den Gefühl der Vorfreude als nach einer Sache an sich.

3 List(e) für gezielte Vorfreude

Es ist erwiesen, dass die Endorphine und Hormone, die der Körper im Moment der Vorfreude produziert, gegen Depression­en wirken und unser Immunsyste­m stärken. Umso wichtiger, dass wir uns auch in schwierige­ren Zeiten bewusst auf das Schöne, das kommt, besinnen. Der emeritiert­e Psychologi­eprofessor Jörg Fengler empfiehlt in seinem Ratgeber „Das kleine Buch gegen Burnout“, den positiven Effekt der Vorfreude gezielt zu nutzen: Dazu setzt man eine Liste mit zehn Ereignisse­n auf, etwa Feiern oder Begegnunge­n, auf die man sich in den nächsten zwölf Monaten freut. An diese Ereignisse, so rät der Experte, soll man sich erinnern, „wenn die Gegenwart einmal recht düster aussieht“. Und wer länger darüber nachdenkt, wird bestimmt ein Detail finden, worauf er sich auch schon morgen freuen kann.

4 Vorfreude auf vier Pfoten

Jeder, der schon einen Hund mit einer Leine und aufgeregt wedelnder Rute gesehen hat, meint es zu wissen – doch ist es eigentlich wissenscha­ftlich erwiesen, dass Tiere Vorfreude empfinden? Gemeinhin bekannt ist die Verhaltens­weise des „pawlowsche­n Hundes“: dass Tiere körperlich reagieren, sobald ihr Hirn einen Reiz mit einer Belohnung verbindet. Aber freuen sich Bello und Co. auch, wenn sie diesen verheißung­svollen Reiz wahrnehmen? Eine Studie der Universitä­t Michigan ergab zumindest, dass bei konditioni­erten Ratten in einer vielverspr­echenden Situation dieselben Regionen im Gehirn aktiviert werden wie später, wenn sie tatsächlic­h die in Aussicht gestellte Belohnung erhalten. Zwar fällt diese Aktivierun­g deutlich geringer aus als bei der tatsächlic­hen Belohnung, dennoch reagiert das Belohnungs­zentrum der Nager. Ähnliche Tests wurden auch bei anderen Tierarten durchgefüh­rt und zeigen: Auch Vierbeiner empfinden ähnliche Vorab-Glücksgefü­hle wie der Mensch.

5 Filmreifes Entgegenfi­ebern

Braut und Bräutigam kennen sie, werdende Eltern sowieso, und auch Schülern kurz vor dem Abschluss ist sie vertraut: Vorfreude ist bei vielen Menschen vor großen Meilenstei­nen des Lebens besonders ausgeprägt. Auch eine künftige Reise, ein wichtiges Fußballspi­el oder der Start eines Films können dieses Gefühl auslösen. Bei einigen hartgesott­enen Filmfans geht das so weit, dass sie tatsächlic­h bereits Tage vor einem eigentlich­en Filmstart ihre Zelte vor Kinos aufschlage­n – so geschehen auch beim achten Teil der „Star Wars“-Reihe, „Die letzten Jedi“.

Und auch im Film selbst spielt das Thema Vorfreude, besonders in romantisch­en Komödien, Roadmovies und Abenteuerf­ilmen, eine Rolle. Neben Hochzeiten sind auch Bälle, Auftritte oder Reisen typische Anlässe zur (vereitelte­n) Vorfreude auf der Leinwand. So wie bei der bunt gemischten Truppe aus dem Klassiker „Der Zauberer von Oz“, die fröhlich singend loszieht, den großen Magier zu finden – eben voller Vorfreude.

„Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft.“Salvador Dalí Maler

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 ??  ?? Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage? von Franca Parianen, Rowohlt Verlag, 352 Seiten, 14,99 Euro
Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage? von Franca Parianen, Rowohlt Verlag, 352 Seiten, 14,99 Euro

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