Thüringische Landeszeitung (Jena)

Selfies vom Paradies

- VON BODO BAAKE

Wie die meisten Menschen verstehen wir nur wenig von den höheren Dingen, befassen uns aber immer wieder gern damit. Besonders wenn der Mai ins Haus steht und es bald wieder überall himmlisch duftet und paradiesis­ch blüht. Da beschäftig­t es uns zum Beispiel, wie es kommt, dass die Jenaer ihr Paradies schon haben, während alle anderen noch darauf warten müssen. Das Jenaer Paradies befindet sich bekanntlic­h am Fuße der Kernberge, verfügt über Bootsverle­ih, Tümpel, Stadion und Anschluss an die Saalebahn. In Jena ist der Garten Eden eine perfekte Immobilie in TopLage, etwas einfallslo­s, aber zweckmäßig möbliert. Da weiß man schon im Leben, was einen im Tode erwartet. Die auf Präzision getrimmten Zeissianer nehmen es eben auch in solchen Sachen gern genau.

Dagegen sind ganz allgemein die Informatio­nen über das Elysium eher ganz allgemein gehalten. Verbindlic­h für jedes Paradies dieser Welt ist nur, dass es erst nach dem Ableben zugänglich ist. Lutherisch­e Reiseprosp­ekte preisen es als heiter bis wolkig und für jedermann erschwingl­ich – so er ein gottgefäll­iges Leben geführet. Keine VIPLounge, kein PromiBonus, keine Vorzugsakt­ien. Manna für alle! Vor allem werden die ruhige Lage und die herrliche Aussicht lobgeprie sen: Sieh nur, Bruder, fast wie auf der Wartburg! Rundum nur Sphärenges­änge und Harfenklän­ge, ausgeübt von Engeln in weißen Hemdchen und Rauschgold­locken. Von fern nur übt zuweilen der Bläserchor auf den Posaunen des Jüngsten Gerichts. Aber da dirigiert die katholisch­e Kirche, die sich als Hauptmiete­r des Paradieses sieht und eine barockere Anmutung pflegt.

Während wieder andere Religionen mit der Seelenwand­erung eine Art mobiles Dorado anbieten, wirbt der Islam mit einer stationäre­n Verlockung. Wir meinen die Sache mit den Jungfrauen, die an der Pforte des Paradieses auf das plötzliche Ableben eines Märtyrers warten. Man weiß nicht genau, wie viele es sind, ein paar siebzig oder mehr als hundert. Auch wissen wir nicht, wie wir uns das vorzustell­en haben. Sind das kreischend­e Teenager, die Selfies von ihrer Lieblingsb­and schießen wollen und Pappen hochhalten „Omar, ich will ein Kind von dir“? Oder geht es zu wie in einem Serail der ersten Klasse? Schleier wehen und erlesene Schönheite­n bieten köstliche Früchte dar – oder umgekehrt? Und vor allem: Wie lange reicht der Vorrat an Jungfrauen noch, wenn die Zahl der Märtyrer so explosions­artig steigt?

Wie gesagt, wir verstehen nichts von diesen Höheren Dingen. Aber sie beschäftig­en uns doch.

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