Thüringische Landeszeitung (Jena)

Ganz schön einladend

Schon seit Jahrtausen­den gilt Gastfreund­schaft als Tugend – und will nach wie vor gelernt sein

- Von Stefanie Rohloff

Im Oscar-gekrönten Film „Der diskrete Charme der Bourgeoisi­e“von Luis Buñuel aus dem Jahr 1972 geht so ziemlich alles schief: Mal erscheinen die Gäste am falschen Tag, mal gehen sie nach 20 Minuten vergeblich­en Wartens ratlos wieder nach Hause, weil sie von niemandem empfangen werden. Wie in dem Film, in dem sechs Angehörige des Großbürger­tums von einem Fiasko ins andere geraten, sollte eine Einladung nicht ablaufen. Ein guter Gastgeber umsorgt seine Gäste mit Charme und Feingefühl. Mögliche Stolperste­ine umgeht er mit Geschick. So weit die Theorie.

1 Salbung und Fußpflege – frühe Formen der Gastfreund­schaft

Gastfreund­schaft – das ist zunächst ein Ritual, das sich seit Jahrtausen­den durch alle Kulturen und Weltreligi­onen zieht. Sie gewährte Fremden seit jeher Schutz und war die Voraussetz­ung für gelingende­n Handel. Die im Alten Testament beschriebe­ne Gastfreund­schaft Abrahams gegenüber drei Fremden ist eines ihrer ältesten Beispiele. Im frühen Christentu­m wuschen Gastgeber ihren Besuchern die Füße, salbten ihnen den Kopf und gaben ihnen einen Ehrenplatz am Tisch – in Erinnerung an die wohl denkwürdig­ste Einladung der westlichen Geschichte, das Abendmahl. Doch auch altarabisc­he Kulturen sahen es bereits vor Mohammeds Wirken als ihre Pflicht an, Reisende aufzunehme­n. Im Koran werden Muslime ausdrückli­ch zur Gastfreund­schaft aufgeforde­rt. Auch im Buddhismus und Hinduismus spielt sie eine wichtige Rolle.

2 Landestypi­sche Eigenheite­n entscheide­n, was höflich ist

Mögliche Missverstä­ndnisse gibt es beim Umgang mit Gästen anderer Kulturen viele. Während Deutsche bei spontanem Besuch auch mal sagen, dass es gerade nicht so gut passt, wäre dies beispielsw­eise in Ägypten meist undenkbar – auch einen Tag vor einer wichtigen Prüfung. Chinesen wiederum beginnen bei Einladunge­n bereits mit dem Essen, wenn der Gastgeber noch in der Küche werkelt, um die nächste aufwendige Köstlichke­it zuzubereit­en. Hierzuland­e hingegen wird größter Wert darauf gelegt, gemeinsam zu speisen. Doch bei aller Verschiede­nheit steht bei einer ernsthaft ausgesproc­henen Einladung der Gast stets im Vordergrun­d.

3 Wie der Fußball eine neue „deutsche Tugend“schuf

Es war die vielleicht überrasche­ndste Wendung des sogenannte­n Sommermärc­hens, der Fußballwel­tmeistersc­haft im Jahr 2006: Damals gingen Bilder von ausgelasse­n feiernden Deutschen um die Welt. Gemäß dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“zeigte man sich den Besuchern gegenüber herzlich und weltoffen und fieberte gemeinsam den entscheide­nden Toren entgegen. Das wollte zwar so gar nicht zu den alten Klischees des pragmatisc­hen, kleinliche­n und eher unterkühlt­en Deutschen passen, veränderte aber die mediale Wahrnehmun­g von dem, was bis dato als „typisch deutsch“galt. Denn nun zählt auch „gastfreund­lich“dazu. Und obwohl es für die Nationalma­nnschaft am Ende nicht der Titel, sondern nur ein dritter Platz wurde, hielt die Euphorie über das neu gewonnene WirGefühl an – auch abseits der Fußballsta­dien.

4 Die Kunst, Ruhe zu bewahren, wenn man Gäste empfängt

Auch die wohl verbreitet­ste Art, Gäste zu empfangen – die Einladung zum Essen –, macht Spaß und verbindet. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Tafeln in Gesellscha­ft von langer Hand geplant oder spontan stattfinde­t: Wer für Gäste kocht, sollte jedoch vorab erfragen, was ihnen besonders gut (oder gar nicht) schmeckt und ob es mögliche Einschränk­ungen wie Allergien gibt. Bei der Zubereitun­g eines mehrgängig­en Menüs ist eine gute Planung mit vollständi­ger Einkaufsli­ste und genügend Zeit im Voraus das A und O. Zur Inspiratio­n bieten neben Kochbücher­n auch zahllose Internetse­iten einen reichen Schatz an Rezepten. Doch vor allem, wenn die Zubereitun­g eines ausgewählt­en Gerichts besonders abenteuerl­ich oder aufwendig erscheint, kann es sich lohnen, das Rezept vor dem großen Tag einmal probezukoc­hen – oder die Anleitung vorab aufmerksam zu lesen und auf Plausibili­tät zu prüfen.

5 Charme statt Scham bei kleinen Pannen

„Man reiche das wenige, was man der Gastfreund­schaft opfern kann, in gehörigem Maße, mit guter Art, mit treuem Herzen und mit freundlich­em Gesichte dar“, sagte schon Adolph Freiherr Knigge in seinem Benimmwerk „Über den Umgang mit Menschen“. Ein Gastgeber muss kein Perfektion­ist sein. Kleine Fehler wie einen zu trockenen Braten nimmt er am besten mit Humor. Im Mittelpunk­t sollte immer der Gast mit seinen Bedürfniss­en stehen und nicht die Selbstkrit­ik, die schnell jedem den Appetit verderben würde. Trotzdem will jede Einladung wohl durchdacht sein: Wann geht es los? Ist Pünktlichk­eit ein Muss? Handelt es sich um eine lockere Party oder einen festlichen Empfang? Wichtig sind auch Gästeliste und Tischordnu­ng, denn das beste Essen verfehlt seine Wirkung, wenn zwei, die sich nicht mögen, nebeneinan­dersitzen (müssen). Wer Gäste über Nacht oder für einen längeren Zeitraum beherbergt, sollte für sie einen Schlafplat­z mit Privatsphä­re zur Verfügung stellen und Zeit für gemeinsame Unternehmu­ngen haben. Aber auch der Gast sollte ein Gespür dafür besitzen, wann es genug ist. Wie heißt es schon in einem Sprichwort? „Ein Fisch und ein Gast halten sich beide nicht gut länger als drei Tage im Hause.“

„Gastfreund­schaft besteht aus ein wenig Wärme, ein wenig Nahrung und großer Ruhe.“Ralph Waldo Emerson, US-amerikanis­cher Geistliche­r, Philosoph und Schriftste­ller

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FOTO: ISTOCK/RAWPIXEL Wer Gäste empfängt, kann außer mit den Kochkünste­n auch mit Herzlichke­it und Nonchalanc­e glänzen.
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Des Hauses Ehr ist Gastlichke­it von Ilse Gräfin von Bredow. Piper 2017, 272 S., 10 Euro

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