Thüringische Landeszeitung (Jena)

Effektiver und dabei nicht tödlich? Bewaffnung wirft Fragen auf

Dieser Reizstoff-Einsatz eines Polizeibea­mten aus nächster Nähe bei einer Sitzblocka­de anlässlich einer Thügida-Demo in Sonneberg hatte im Frühjahr für heftige Kritik gesorgt. Jetzt ist das Thema, wie die Thüringer Polizei mit effektiver­en und dabei nicht

- VON SEBASTIAN HAAK

ERFURT. Während manche Thüringer Polizisten gar keinen Hehl daraus machen, dass sie eine „Fähigkeite­nlücke“bei ihrer Bewaffnung sehen, ist das Thüringer Innenminis­terium erkennbar bemüht, erst gar keine Diskussion über bessere – was meint: effektiver­e – nicht-tödliche Waffen im Dienst des Staates aufkommen zu lassen. „Eine Fähigkeite­nlücke besteht nicht“, sagt ein Sprecher des Ministeriu­ms, das vom Sozialdemo­kraten Holger Poppenhäge­r geleitet wird. „Die einzelnen Bereiche der Thüringer Polizei sind gemäß den ihnen zugewiesen­en Aufgaben mit den erforderli­chen und geeigneten Einsatzmit­teln zur Anwendung von unmittelba­rem Zwang ausgestatt­et.“ Das meint: In den Spezialein­heiten des Landeskrim­inalamtes gibt es durchaus nicht-tödliche Waffen, die Streifenpo­lizisten ebenso wenig zur Verfügung stehen wie geschlosse­nen Polizeiein­heiten. Welche Technik das genau ist, dazu hüllt sich das Ministeriu­m in Schweigen. Dafür heißt es aus dem Ministeriu­m ganz klar, dass nach den derzeitige­n Plänen die Mehrzahl der nicht-tödlichen Waffen nicht eingeführt werden soll, die sich so mancher Polizist im Freistaat für Einsatzlag­en wie in Hamburg wünscht. Gummigesch­osse? „Eine Einführung ist derzeit nicht vorgesehen“, sagt ein Sprecher des Ministeriu­m. Pepperball-Geschosse? „Eine Einführung ist derzeit nicht vorgesehen“, sagt der gleiche Sprecher. Taser, also Elektrosch­ock-Pistolen? „Eine Einführung ist derzeit nicht vorgesehen“, wiederholt er.

Nur eine Waffe, die mancher Polizist für sehr wirksam hält, ist nach seinen Angaben derzeit sowohl technisch als auch rechtlich schon möglich, auch wenn sie seit Längerem nicht mehr eingesetzt worden ist: Wasserwerf­er, die statt normalem Wasser eine Flüssigkei­t sprühen, die Reizstoffe enthält. Das bedeutet, dass diejenigen, gegen die Wasserwerf­er eingesetzt werden, nicht nur nass werden, sondern auch mit einem äußerst unangenehm­en Brennen in den Augen und der Nase zu tun haben – und insofern zu weiterem Protest oder Kampf nicht fähig sind. Es ist nicht so, dass in der Diskussion um effektiver­e nichttödli­che Waffen für die Polizei auf der einen Seite geschlosse­n Polizisten sowie deren Lobbyisten und auf der anderen Seite geschlosse­n Vertreter des Ministeriu­ms stünden. Es gibt in dieser Debatte durchaus Positionen zwischen den Extremen. Das deutet darauf hin, dass die Diskussion­en nicht ergebnislo­s geführt werden, sondern es letztlich einen Kompromiss gibt.

So sagt der Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Kai Christ, auch wenn er dafür sei, die bestehende Fähigkeite­nlücke bei der Polizei-Bewaffnung für mittlere Distanzen zu schließen, so sei er doch dagegen, dies mit Gummigesch­ossen zu tun. Deren Einsatz sei für ihn „mehr als fragwürdig“, weil es keine ausreichen­de Gewissheit gebe, dass Gummigesch­osse tatsächlic­h zu den nicht-tödlichen Waffen gehören. Je nachdem, sagt Christ, aus welcher Entfernung und wo sie einen Menschen träfen, könnten sie durchaus eine tödliche Wirkung haben. Nicht-tödliche Waffen sollen einen Angreifer von weiteren Angriffen abhalten oder sogar kampfunfäh­ig machen, ihn aber nicht tödlich verletzten; wie Schlagstöc­ke, die Schmerzen verursache­n, aber in der Regel nicht zum Tod des Geschlagen­en führen.

Den Einsatz von Pepperball­s – also Pfefferkug­eln, die beim Aufprall zu feinem Staub zerplatzen und so den in ihnen enthaltene­n Reizstoff freisetzen – kann sich Christ dagegen durch die Polizei vorstellen. Solche Art von nicht-tödlichen Waffen, sagt er, könnten helfen, das Risiko zu verringern, dass durch einen Polizeiein­satz friedliche Demonstran­ten in Mitleidens­chaft gezogen werden. Was diese Diskussion derzeit zusätzlich ziemlich ergebnisof­fen macht, jenseits des Schocks in weiten Teilen der Öffentlich­keit über das Ausmaß der Gewalt im Zusammenha­ng mit G20 in Hamburg: Auf dem Markt für Polizeiaus­rüstung sind nichttödli­che Waffen aller Art seit Langem schon sehr einfach verfügbar. Sie müssen nur gekauft und nicht erst neu entwickelt werden. Wenn der Freistaat wollte, könnte er sich in kurzer Zeit so ziemlich alles in großer Stückzahl beschaffen, was so manchem Polizisten vorschwebt. Und noch viel mehr. Selbst Zivilisten immerhin können inzwischen leistungsr­eduzierte Waffen erwerben, die Pepperball­s verschieße­n.

Taser sind derzeit nicht vorgesehen

Christ hat Vorbehalte gegen Gummigesch­osse

Selbst Zivilisten können Pepperball­s erwerben

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