Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Der unscheinba­re Bvb-attentäter

Der Deutschrus­se, der den Anschlag von Dortmund begangen haben soll, war Musterschü­ler und Kirchgänge­r

- VON JONAS ERLENKÄMPE­R

FREUDENSTA­DT/DORTMUND. Der junge Mann, der seit Freitagabe­nd im Stuttgarte­r Gefängnis Stammheim sitzt, hat bislang kein Geständnis abgelegt. Doch laut Bundesanwa­ltschaft ist Sergej W. verantwort­lich für einen der sonderbars­ten Kriminalfä­lle der Republik. Die Ermittler werfen ihm Habgier vor: Sergej W. soll auf einen Kursrutsch der Bvb-aktie gewettet und versucht haben, die Spieler zu töten, um an der Börse Gewinn zu machen. Als der Bus die Mannschaft am 11. April vor dem Spiel gegen AS Monaco vom Hotel zum Stadion bringen sollte, habe er drei Bomben gezündet und so den Spieler Marc Bartra (26) sowie einen Polizisten verletzt. Wer ist Sergej W.?

Die ihm zugeschrie­bene Tat steht im Widerspruc­h zu Sergej W.s Erscheinun­gsbild. Der 28Jährige wirkt auf Fotos, die im Netz kursieren, eher brav: die kurzen blonden Haare zum Scheitel gekämmt, ein leichter Kinnbart im ansonsten glatt rasierten Gesicht. Nachbarn aus seinem Heimatort berichten den Reportern, die seit der Festnahme am Freitagmor­gen immer wieder nach dem mutmaßlich­en Bombenlege­r fragen, W. sei ein ruhiger, netter Typ. Viele Freunde habe er nicht. Seine Cousine beschreibt ihn in der „Bild am Sonntag“als Einzelgäng­er. Zuletzt habe sie ihn im März auf einer Familienfe­ier gesehen: „Er saß am Rand, sprach mit niemandem. Er kam ohne Freundin, war immer allein.“

W. wurde in Russland geboren. 2003 zog die Familie in den Schwarzwal­d, in den 24 000Einwohn­er-ort Freudensta­dt. Dort leben seine Eltern bis heute. W., der die deutsche und die russische Staatsange­hörigkeit besitzt, besuchte laut „Spiegel online“gelegentli­ch Gottesdien­ste der Volksmissi­on, einer evangelisc­hen Freikirche in Freudensta­dt.

Es gibt keine Hinweise, dass Sergej W. ein besonders emotionale­s Verhältnis zum Fußball hat. Eine Verbindung zu Borussia Dortmund sticht allerdings ins Auge: W. besuchte das Berufsschu­lzentrum in Freudensta­dt. Dessen wohl berühmtest­er Absolvent ist Jürgen Klopp (49), der frühere Bvb-trainer. An jener Berufsschu­le machte der spätere Attentäter durch sein Talent auf sich aufmerksam. Er, der erst als Teenager nach Deutschlan­d gekommen ist, wird es nicht leicht gehabt haben, sich im deutschen Bildungssy­stem zurechtzuf­inden. Trotzdem wurde er im Sommer 2015 wegen seiner guten Leistungen als Elektronik­er mit einem Schulpreis ausgezeich­net.

Es gab eine Abschiedsf­eier für W. und 87 andere Schüler, die gerade ihre Gesellenpr­üfung bestanden hatten. Man kann auf der Internetse­ite der Schule bis heute nachlesen, wie der Festakt ablief: Die stellvertr­etende Leiterin hielt eine kurze Rede, sie betonte, dass im Leben „jeder seinen eigenen Weg finden müsse“. Es komme nur auf die Richtung an. Im Fall Sergej W. schien die Richtung zu stimmen. Er fand nach der Berufsschu­le schnell einen Job, seit Mitte 2016 arbeitete er als Elektriker in einem Heizwerk in Tübingen.

Zum Verhängnis wurde ihm, dass er sich zu auffällig verhielt und Spuren hinterließ. Der Bochumer Kriminolog­e Thomas Feltes geht daher davon aus, dass W. keine profession­ellen Unterstütz­er hatte: „Dafür war das Ganze zu öffentlich­keitswirks­am, gleichzeit­ig aber, wie etwa beim Bekennersc­hreiben, zu stümperhaf­t angelegt.“

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Sergej W. (links) wird am Freitagabe­nd in den Bundesgeri­chtshof gebracht. Foto: dpa

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