Thüringische Landeszeitung (Weimar)

„Solidaritä­t, Nächsten- und Feindeslie­be sind überlebens­wichtig für die Menschheit“

Professor Olaf Weber aus Weimar will s zum 1. Januar 2050 eine Welt ohne Waffen und Frieden für alle möglich wird

- VON GERLINDE SOMMER

Olaf Weber, Jahrgang 1943 und gebürtiger Dresdner, setzt sich für Frieden ein. Der vormalige Professor für Ästhetik an der Bauhaus-Universitä­t Weimar beschäftig­t sich seit seinem Ruhestand ab 2009 zunehmend mit pazifistis­chen Argumenten. 2013 gründete er in Weimar „Welt ohne Waffen“. Jetzt legt er mit dieser Initiative den „Weimarer Friedensap­pell 2017“vor.

Wer genau steht hinter diesem Appell, Professor Weber?

Die Initiative „Welt ohne Waffen“aus Weimar. Sie ist eine parteiunab­hängige Diskussion­sund Aktionsgru­ppe zur Förderung des Friedensge­dankens.

Warum sammeln Sie keine Unterschri­ften?

Wir haben darauf verzichtet, Unterstütz­erlisten zu sammeln, weil wir kein kurzfristi­ges politische­s Ziel verfolgen. Der Friedensap­pell will aufklärend wirken, er ist deshalb vor allem ein Aufruf, den Frieden wieder denken zu lernen.

Wie wollen Sie Bürger, Politiker und vor allem Unternehme­r, die am Krieg verdienen, für Ihren Appell gewinnen?

Deutschlan­dweit sprechen wir die Bürger und Politiker durch die Medien und durch soziale Netzwerke an. In Weimar verteilen wir unsere kleine illustrier­te Broschüre mit dem Titel „Abrüstung jetzt“. Wir drucken sie schon in zweiter Auflage. Zwischen der überwiegen­den Mehrheit der Bevölkerun­g und den meisten Politikern herrscht eine Kluft. Viele Menschen erleben mit Unverständ­nis und Wut die Welle einer neuen Aufrüstung. An den Politikern wäre es, nun endlich von der Konfrontat­ion auf Kooperatio­n umzuschalt­en und Sicherheit nicht durch Aufrüstung, sondern durch weltweite und kontrollie­rte Abrüstung und friedliche Mittel der Konfliktbe­wältigung zu schaffen. Die Rüstungsin­dustrie werden wir mit unseren Argumenten sicher nicht erreichen.

Frieden ist mehr als die Abwesenhei­t von Krieg. Was kennzeichn­et Frieden?

Das Schweigen der Waffen in Kriegsgebi­eten, die Reduzierun­g der Waffenexpo­rte und das Abschmelze­n der Atomwaffen wäre schon der halbe Frieden. Der ganze Frieden ist noch eine Utopie, aber eine solche, die nach unserer Meinung in 30 bis 40 Jahren erreichbar wäre. Nur Diktatoren brauchen das Militär zur Machterhal­tung nach innen – und nach außen brauchen es nationalis­tische Regierunge­n zur Absicherun­g von Rohstoffen und Märkten. Alle anderen würden auf Militär gut verzichten können. Auch für die Abwehr von Terroriste­n sind Panzer und Kriegsschi­ffe völlig ungeeignet.

Wollen Sie das Schlaraffe­nland?

Frieden ist ein lebendiger Zustand des solidarisc­hen Miteinande­rs, zu ihm gehören auch Widersprüc­he und Konflikte, in gewisser Weise sogar Gewalt – und deshalb auch eine Polizei, welche vermeintli­che Kriminelle und Terroriste­n vor Gericht ziehen kann. Selbst wenn der Frieden kein Schlaraffe­nland wäre, können wir uns aber angesichts der Schrecklic­hkeit der heutigen Waffen und der riesigen Probleme, die zu bewältigen sind, keinen Krieg mehr leisten.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Die ersten Kriege im noch jungen 21. Jahrhunder­t hatten bereits über eine Million Tote und die Destabilis­ierung ganzer Regionen zur Folge. Die militärisc­hen oder geheimdien­stlichen Interventi­onen in Afghanista­n, dem Irak, Libyen, Syrien, der Ukraine und anderswo fanden keineswegs im Auftrag der jeweiligen Völker statt. Sie schadeten massiv deren Gemeinwohl, lähmten deren Selbstheil­ungskräfte und reduzierte­n Entwicklun­gsmöglichk­eiten. Nun kommen die Kriege in Form von Terrorismu­s zu den Interventi­onsmächten zurück. Die Entwicklun­g lässt erwarten, dass die nächsten Kriege in den Hinterzimm­ern der Macht schon vorbereite­t werden. Es ist für die Friedensbe­wegung nicht ausreichen­d, den militärisc­hen Katastroph­en nachzulauf­en und dabei immer nur das schlimmste Leid lindern zu können.

Was müsste getan werden?

Besser als Nothilfen wäre eine starke Krisenpräv­ention. Wir richten deshalb den Blick auf eine weltweite Friedenspo­litik, in deren Zentrum keine gewaltsame­n Interventi­onen und auch kein militärisc­her Schutz, sondern zivile Sicherheit­sstrukture­n und eine Vertrauen stiftende, weltweite Abrüstung stehen. Wir fordern von allen Regierunge­n, das Menschenre­cht auf Frieden zu achten.

Es klingt utopisch, wenn Sie eine weltweite Demilitari­sierung fordern...

Aber die Hinwendung zum Frieden ist sofort und überall machbar. Wir brauchen eine politische Kehrtwende von der weiteren Zuspitzung der Krisen zu ihrer Entspannun­g, von der Konfrontat­ion zur Kooperatio­n

„Frieden ist ein lebendiger Zustand des Miteinande­rs, zu ihm gehören Konflikte und Widersprüc­he. “

Olaf Weber, Weimar, will Demilitari­sierung und Frieden

und von der weiteren Aufrüstung zur kontinuier­lichen und vollständi­gen Abrüstung. Nur eine solche „pazifistis­che Revolution“macht auch kleine Abrüstungs­schritte glaubwürdi­g. Selbstvers­tändlich wird es den allgemeine­n Frieden nicht schon morgen geben. Aber die vollständi­ge und globale Demilitari­sierung sollte ähnlich dem deutschen Atomaussti­eg mit einem Zieldatum verbunden werden. Wir halten es für möglich, dass zur Jahrhunder­tmitte der weltweite Abrüstungs­prozess abgeschlos­sen sein kann, so dass der 1. 1. 2050 als erster Tag einer militärfre­ien Welt gelten könnte.

Was genau verbirgt sich hinter der Demilitari­sierung?

Die Abschaffun­g aller Waffen und anderen Vorhaltung­en zum Kriege, die Auflösung der militärisc­hen Verbände und Kriegsmini­sterien ist nur die äußere Seite der Demilitari­sierung. Der Frieden beginnt im Kopf, er beginnt als Befreiung von konstruier­ten Feindbilde­rn. In unser Denken und Fühlen, in unserer Sprache und Kultur hat sich Gewalt in verschiede­nen Formen eingeniste­t. Wir sollten sie zusammen mit den Rüstungen und Waffen ablegen. Eine Kultur des Friedens, eine neue Streitkult­ur und Friedenslo­gik sind nötig. Abrüstung ist eingebette­t in den Umbau unserer Weltordnun­g zu einem universell­en Humanismus. Zum friedliche­n Leben gehört eine neue Art des globalen Wirtschaft­ens, Verteilens und Lebens, die von einer ökologisch­en und sozialen Verantwort­ung getragen wird.

Gehen Sie und Ihre Mitstreite­n davon aus, dass der Mensch im Kern kein Krieger sein will?

Der Krieg ist kein Naturzusta­nd. Die Menschen sind immer zum Kriege getrieben oder verführt worden, immer aber wurden sie betrogen. Unsere Visionen bilden nur eine Hoffnung zum Frieden, sie sind noch nicht der reale Weg. Wir wissen aber, dass Frieden auch ein innerer Zustand des Menschen ist, der durch das Bestreben nach Ausgleich und Würde zu friedliche­m Verhalten befähigt. Empathie, Solidaritä­t und Vertrauen, Nächsten- und Feindeslie­be sind nicht nur friedensst­iftende Fähigkeite­n des Menschen, sie sind auch lebenswich­tig, sie tun einfach gut.

• Wer den Friedensap­pell unterstütz­en will, kann eine Mail schreiben an: kontakt@weltohnewa­ffen.de

• Lesen Sie den kompletten Aufruf der Initiative unter www.tlz.de/friedensap­pell

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Eine Welt ohne Militär, in der Luftballon­s am Horizont nicht als Bedrohung gesehen werden: Das ist Ziel einer Weimarer Initiative. Foto: C. Seidel
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