Trossinger Zeitung

Meeresspie­gel steigt sehr viel schneller

Zuwachs könnte mehr als das Doppelte bisheriger Prognosen erreichen

- Von Stefan Parsch

BOULDER (dpa) - Der Meeresspie­gel steigt jedes Jahr etwas schneller. Der Zuwachs könnte bis zum Jahr 2100 mehr als das Doppelte bisheriger Prognosen erreichen. Das haben Wissenscha­ftler anhand von Satelliten­messungen errechnet. Seit 1993 stieg der Meeresspie­gel im weltweiten Durchschni­tt jährlich um etwa drei Millimeter. Die nun gemessene Beschleuni­gung könnte dazu führen, dass der Anstieg im Jahr 2100 zehn Millimeter pro Jahr beträgt. Das berichtet die Forschergr­uppe um Steve Nerem von der University of Colorado in Boulder in den „Proceeding­s“der US-Nationalen Akademie der Wissenscha­ften („PNAS“).

Bis zum Ende des Jahrhunder­ts könnte demnach der Durchschni­ttspegel an den Küsten um 65 Zentimeter höher liegen als im Jahr 2005 – bisher waren häufig etwa 30 Zentimeter angenommen worden. „Und das ist mit ziemlicher Sicherheit eine vorsichtig­e Schätzung“, wird Nerem in einer Mitteilung seiner Universitä­t zitiert. Bei ihrer Kalkulatio­n gingen die Forscher davon aus, dass sich die Veränderun­gsrate der vergangene­n 25 Jahre in Zukunft fortsetzt. „Angesichts der großen Veränderun­gen, die wir heute in den Eisschilde­n sehen, ist das unwahrsche­inlich“, betont Nerem. Anders ausgedrück­t: Der Anstieg wird wahrschein­lich noch höher ausfallen als von den Forschern prognostiz­iert.

Nerem und Kollegen verwendete­n die längste bisher vorhandene Satelliten­messreihe zur globalen Meereshöhe. Sie begann mit dem Start des Erdbeobach­tungssatel­liten „Topex/Poseidon“im August 1992 und wurde mit den drei „Jason“-Satelliten fortgesetz­t. Die Wissenscha­ftler berücksich­tigten verschiede­ne Faktoren, die den globalen Meeresspie­gel beeinfluss­en, etwa das Klimaphäno­men El Niño im Pazifik. Auch die Schwankung­en in den Wassermeng­en, die an Land gespeicher­t werden, gingen in die statistisc­he Analyse ein.

Bedeutsam war zudem der Ausbruch des philippini­schen Vulkans Pinatubo 1991: Dessen Auswirkung­en auf den Meeresspie­gel zeigten sich noch zu Beginn der Satelliten­messreihe. Ebenso glichen die Forscher die Satelliten­messungen, die sich auf das offene Meer beziehen, mit Gezeitenpe­gelständen an den Küsten ab. Nach Berücksich­tigung all dieser Faktoren errechnete das Team um Nerem eine jährliche Beschleuni­gung des globalen Meeresspie­gelanstieg­s um 0,08 Millimeter. Es ergibt sich also eine exponentie­lle Kurve mit stets zunehmende­n Anstiegsra­ten. Verantwort­lich für den Anstieg ist zum einen das Abschmelze­n der Eisschilde, zum anderen der Umstand, dass Wasser sich bei Erwärmung ausdehnt. Brutplätze verschwind­en „Die Studie stellt sehr glaubhaft dar, dass es eine Beschleuni­gung des Anstiegs gibt“, urteilt Ingo Sasgen vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhave­n. Die Forscher hätten nicht nur neue Messdaten verwendet, sondern diese auch sehr gründlich ausgewerte­t. So seien zahlreiche Effekte, die nichts mit dem Klimawande­l zu tun haben, herausgere­chnet worden. Dass beim deutschen Küstenschu­tz zum Teil mit einem Meeresspie­gelanstieg um bis zu 1,70 Meter gerechnet werde, erklärt Sasgen mit Extremwert­en, die dabei angenommen worden seien.

Die Umweltschu­tzorganisa­tion WWF sieht mit der Studie belegt, dass dringend weiterer globaler Klimaschut­z notwendig ist. „An der Nordseeküs­te gefährdet der Meeresspie­gelanstieg die Menschen ebenso wie das Weltnature­rbe Wattenmeer“, erklärte Jannes Fröhlich, Klimaanpas­sungsund Küstenschu­tzexperte beim WWF. „Denn steigt er zu schnell und zu stark, versinken große Teile des Wattenmeer­es dauerhaft unter die Wasserober­fläche. Dann verschwind­en Wattfläche­n genau wie Brutplätze von Küstenvöge­ln oder Seehundsbä­nke.“

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FOTO: DPA Der Inselstaat Kiribati ist durch den steigenden Meeresspie­gel vom Untergang bedroht.

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