Entscheidung bereut? „Niemals!“
Ärzteehepaar Keller geht Ende März in den Ruhestand – Nachfolger gibt es nicht
SPAICHINGEN - Mit dem Fahrrad überall hinfahren, ein Leben neben dem Beruf haben mit kulturellen und sonstigen Angeboten auf kleinem Raum - das ist das Lebens-Konzept vieler junger Ärzte. Für die jetzt langsam in Rente gehende Generation an Hausärzten lagen die Prioritäten anders. Dabei hat sich gerade für junge Ärztinnen die Grundfrage nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht sehr geändert. Genau wie für Dres (Doktores ist die Mehrzahl von Doktor) Regina und Hartmut Keller. Ende März ist Schluss mit ihrer Praxis. Sohn Sebastian übernimmt sie nicht.
Die Eltern werden wegziehen, nach Freiburg, wo Regina Keller herstammt und wo das elterliche Haus renoviert bereits auf das Ärzte-Paar wartet.
Rund 2300 Patienten im Quartal gehören zu den von Kellers Betreuten, an Karteien gibt es fast zehnmal so viele, allerdings sind da auch die aus den Notfalldiensten dabei, die sonst einen ganz anderen Hausarzt haben.
Als die beiden eine Praxis suchten, waren die Umstände noch ganz anders: Es gab viele Bewerber, die Praxen standen nicht so zahlreich zur Auswahl, wie jetzt. Spaichingen fand vor allem Regina Keller ideal und findet die Wahl bis heute gut: Unten die Praxis, oben - erreichbar auch durch eine Wendeltreppe - die Wohnung.
„Ich seh’ uns heute noch auf der Treppe nach der Schule sitzend, bis die Eltern mittags fertig waren“, sagt Sebastian Keller, der derzeit einige Monate in der elterlichen Praxis mitarbeitet. Der Internist hatte in Dresden studiert und will ebenfalls in die Fachrichtung Allgemeinmedizin gehen. Auch wenn die lange Abwesenheit von zuhause - seit 2003 - die Lebensgewohnheiten verändert haben, ist es nicht die Kleinstadt, die ihn primär abhält, als eher die Umstände: Erst in mehreren Jahren dürfte er eine Praxis übernehmen und es wäre alles etwas anderes, wenn es in der Lebensplanung jetzt darum ginge, hier Kinder aufzuziehen.
Die Kassensitze haben Kellers bereits zurück gegeben beziehungsweise die Praxis ans MVZ angeboten. Bisher ist kein Nachfolger in Sicht.
Kellers praktizieren seit dem 2. April 1984 in Spaichingen, sie haben die Praxis von Dr. Ilg übernommen. Kennen gelernt hat sich das heute 71 und 67 Jahre alte Paar in der Klinik nach dem Studium. Er arbeitete dann noch eine gewisse Zeit im Krankenhaus in Rottweil, sie baute den Patientenstamm wieder auf, denn die Praxis war einige Zeit - auch für die Renovierung - geschlossen gewesen. Der marktgerechte Patient Eigentlich wollten sie in der Nähe von Freiburg bleiben, dann wurden es doch 35 Jahre Spaichingen. Haben sie es bereut? „Niemals!“kommt wie aus einem Munde die Antwort. Sie machen sich Sorgen um die Gesundheitsversorgung in Spaichingen, vor allem auch jetzt, wo die Diskussion um die Schließung der Klinik in vollem Gang ist. Sebastian Keller meint: Dass junge Ärzte oft in Städte wandern oder dass 2500 in der Schweiz Dienst machen, liege nicht am Verdienst, sondern an den Arbeitsbedingungen: die Hierarchien flacher, die Stimmung besser.
Der Vater stimmt zu: Der marktgerechte Patient nehme dem Beruf des Arztes den sozialen Charakter.
Aber genau das war es, das den Kellers an ihrer Arbeit gefällt. „Familienmedizin“, sagt Regina Keller, oft betreue sie die ganze Familie und deren Krankheiten, - das gibt ein ganz anderes Bild. Er betreut eher die Männer, mag an seinem Bereich die Vielfalt auch im sportmedizinischen, chirotherapeutisch-othopädischen Bereich. Und Keller leitet seit 30 Jahren die TV-Herzsportgruppe. Obwohl die Praxis sehr gut getaktet ist, haben Kellers viel vom klassischen Landarzt. Mal einen Schulverweigerer selbst in die Schule fahren, mal die Waschmaschine oder die Heizung reparieren, Untersuchungsergebnisse auch am Samstag durchgeben, auch am Sonntag kurz nachfragen, wie es geht - dem Patienten helfen.
Just als das Gespräch mit der Zeitung stattfindet, nach Dienstschluss am Abend, klingelt es. Ein kleiner Notfall, den Katheder zurück verlegen. Eine Angelegenheit, die im schlimmsten Falle eine halbe Nacht in irgendeiner Klinik-Notfallambulanz kostet. Klar hilft Regina Keller. Aber nicht ohne schnell und entschieden zu betonen, dass es sich hier um einen der ganz seltenen Ausnahmefälle handelt... Patienten der Kellers können sich in der Praxis melden und ihre Unterlagen dann abholen.