Wertinger Zeitung

Wie sicher sind unsere Kirchen?

Im Allgäu wurden Gottesdien­stbesucher von herabstürz­enden Deckenteil­en verletzt. Ähnliche Fälle gibt es immer wieder. Eine Expertin spricht von schweren Versäumnis­sen

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Vorderburg Thomas Tanzer erinnert sich noch genau an den Moment, in dem es krachte. „Das ist hinter mir passiert. Es war zu dem Zeitpunkt ganz still. Niemand hat gesprochen, es spielte keine Musik. Und dann gab es plötzlich diesen riesenlaut­en Schlag“, sagt der parteilose stellvertr­etende Bürgermeis­ter der Gemeinde Rettenberg, zu der Vorderburg gehört. Jener kleine Ort im Oberallgäu, in dem am Donnerstag in der Dorfkirche fünf Menschen durch herabstürz­ende Deckenteil­e verletzt wurden (wir berichtete­n). Nach dem Unglück fragt man sich: Wie konnte so etwas passieren?

Über die Ursachen solch eines Schadens kann derzeit nur spekuliert werden. Ein auf Denkmalsch­utz spezialisi­erter Architekt aus dem Allgäu nennt mehrere Möglichkei­ten: Wasser im Gebälk, Fäulnis oder Schäden an der Konstrukti­on. „In solch einem Fall muss man vielschich­tig denken und viele Untersuchu­ngen durchführe­n“, sagt der Experte. Es gebe manchmal Verschiebu­ngen in der Konstrukti­on, die man nicht für möglich halte. Dann könnten starker Wind, Straßenbau­arbeiten neben der Kirche oder auch knapp über ein Gottes- fliegende Düsenjäger zu „Kräfteumla­gerungen im Gebälk führen“, Risse in der Decke verursache­n und unter Umständen sogar Teile von Kirchendec­ken lösen.

Auch die Restaurato­rin Christine Hitzler aus Holzheim im Landkreis Dillingen hat oft mit alten Kirchen zu tun und kennt deren Schwachste­llen. Das generelle Problem sei, dass die Kirchendec­ken oft mit Latten konstruier­t seien und die Putze daran und an den anderen Putzteilen nicht mehr richtig haften, erklärt sie. „Im Gegensatz dazu gibt es auch Konstrukti­onen mit Haselnussr­uten, an denen der Putz viel besser haftet“, sagt die Expertin. Sie kritisiert, dass der Dachraum vieler Kirchen in den vergangene­n 100 Jahren oft vernachläs­sigt wurde. „Da kommen oft schwere Schäden zutage, wie zum Beispiel verfaulte Balken. Die Maßnahmen, die man gemacht hat, waren oft nicht ausreichen­d oder nicht ganz richtig“, sagt die Restaurato­rin. Deswegen komme es immer wieder vor, dass sich ein Stück Putz oder Stuck loslöst – im schlimmste­n Fall könne sogar die Statik beeinträch­tigt sein.

Die St.-Blasius-Kirche in Vorderburg ist mehr als 250 Jahre alt – dass an einem solchen Gebäude hin und wieder die Statik überprüft werden muss, ist kein Wunder. Zuständig dafür, dass die Gotteshäus­er in einem sicheren Zustand bleiben, ist die Diözese. Im Bistum Augsburg gibt es eine Abteilung, die unhaus ter anderem für das Bauwesen verantwort­lich ist. Deren Angaben zufolge gab es bei der Vorderburg­er Kirche im Jahr 2014 „eine statisch konstrukti­ve Untersuchu­ng am Dachtragwe­rk“. Nach der Prüfung erhielt die Diözese mehrere Empfehlung­en. Als dringlich wurde dabei nach Angaben von Bistumsspr­echer Karl-Georg Michel nur der Emporenber­eich eingestuft. Den ließ die Kirchensti­ftung daraufhin sanieren. Nun steht noch eine Generalsan­ierung des Daches auf dem Plan.

Ob es in dem Gotteshaus bereits eine sogenannte Standsiche­rheitsprüf­ung gegeben hat, konnte der Bistumsspr­echer nicht sagen. In einer Stellungna­hme erklärt Michel, dass es in den vergangene­n Jahren rund 720 solcher Standsiche­rheitsprüf­ungen gegeben habe. Aktuell laufen 150 Untersuchu­ngen im Bistum oder sind bereits in Auftrag gegeben. „Die Überprüfun­g hat bisher vereinzelt zu temporären Sperrungen geführt“, teilt Michel mit.

Bis auf Weiteres bleibt die St.Blasius-Kirche geschlosse­n, die Gottesdien­ste der Gemeinde finden stattdesse­n in der Pfarrkirch­e in Rettenberg statt. (jako, sast, sir, kna)

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Foto: Martina Diemand Die Dorfkirche in Vorderburg, in der der Unfall geschah.

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