Wie Geschäfte mit der WM werben
Ab Donnerstag rollt der Fußball durch Russland. Wie sich das sportliche Megaevent 2018 in den Auslagen der Dillinger und Wertinger Geschäfte widerspiegelt
Landkreis Dillingen Nichts sei älter als die Tageszeitung von gestern, heißt es. Irgendwie könnte das auch für manche Werbekampagnen der am morgigen Donnerstag beginnenden Fußball-WM 2018 gelten. So posierte Flügelstürmer Leroy Sané auf dem in der ganzen Region verteilten Prospekt eines koreanischen Elektronikunternehmens – auch noch Tage nach dem gefürchteten Montag vergangener Woche, als Bundestrainer Joachim Löw neben Sané drei weitere Spieler per „Fallrückzieher“aus dem 27er-Kader entfernt hatte.
Die Werbestrategen hievten auch den alten Torwart-Titanen Oliver Kahn ernst dreinschauend auf die Anzeigen von Großfernsehern, die überall im Landkreis verteilt wurden. Im Titel wird versprochen: „Stadion-Feeling erleben!“Es gilt, den eigens eingeführten „WM-Rabatt“einzulösen. „4:0 für Sie!“, also vier Jahre lang noch nichts abzubezahlen. Gesehen wurde auch Lothar Matthäus, der international immerhin als Spieler mit den meisten WMPartien gilt. Genauso muss Mario Götze herhalten, obwohl in Russland gar nicht dabei. Es geht um den Mann, der am 13. Juli 2014 in der 113. Minute Deutschland zum Weltmeister schoss. In der Sonderausgabe einer kunterbunten Discounter-Zeitschrift („11 Freunde vom Grill“) wird die Zubereitung der Rib-Eye-Steaks „wie Götze genau auf den Punkt“empfohlen.
Dass der WM-Sport durch den Magen geht, kann der pfundschweren „Literatur“der Einkaufsmärkte im Landkreis Dillingen seit Wochen entnommen werden. Denn wenn die Fans gemeinsam mit ihren Familien und Freunden bei der Übertragung der Spiele mitfiebern, wird auch mehr gefeiert, gegrillt, gegessen und getrunken. Spielt die deutsche Mannschaft gut, steigen auch die Umsätze mit Würsten, Chips und Bier. Wollen wir „Grillen wie die Weltmeister?“, wie es da in der Supermarkt-Beilage heißt. Klar, dann gleich das supergünstige und vorgegarte Beef-Brisket einkaufen und den WM-Sofort-Gutschein für den mittelscharfen Senf an der Kasse abgeben. Schließlich „feiern so WMFans“, die ihre vergünstigten Thüringer Rostbratwürste selbstver- in den drei Nationalfarben geschminkt und mit umgehängten Hawaii-Fanblumenketten in derselben Tönung verzehren. Solche Muster trägt so ziemlich alles: die Partybecher, die Trinkhalme, der Pappteller, die Gartenfackelumkleidung, das Handfähnchen, der Strohhut und die Armbänder.
Dabei sitzt das Fußball-Publikum auf einer beworbenen Festzeltgarnitur, die natürlich als „Ersatzbank“mitgenommen werden darf. Man kann aber auch auf dem praktischen klappbaren „WM-Stuhl“mit integriertem Getränkehalter sitzen oder gleich im aufblasbaren, feucht-kühlen „Stadion-Pool“Platz nehmen. Im Mittelfeld der Fanmeile lockt der Kiefernholz-Tisch, der selbstredend mit der Tischdekoration „Fußball-WM“ausgestattet wurde: Eine rasengrüne Decke mit Spielfeldaufdruck, auf der ähnlich aussehende Servietten gefaltet daliegen. Darüber spannt sich unter dem WM-Motto „Jetzt geht’s looos“eine riesige Polyester-Plane „Pavillon Easy up“, deren Eingang ein technisch ausgeklügelter Fahnenmast schmückt.
„Jetzt Flagge zeigen“, lautet der Konsumaufruf. Einfach die richtige „Ecke für Deutschland“, heißt es dann, wo ein ins Original-Trikot geschlüpfter Fan lässig seinen Fuß auf dem preiswerten Bierkasten ruhen lässt, der in einer mit dunklen Bällen beschrifteten Kühltasche steckt. Nachtisch zur Halbzeitpause? Da kämen etwa die schwarz-rot-goldenen Fruchtgummi-Spieler oder die dreifarbigen Sauer-Bände infrage, eine „Football-Cup-Eis-Mix-Box“oder gleich die leckeren „TopkussWM-Stars“– kurz: Mohrenköpfe.
Alles nur eine „meisterhafte Auswahl“, wie die Anbieter zwischen Syrgenstein und Buttenwiesen in diesen heißen Tagen vor dem allerersten Anpfiff in Aussicht stellen. Beim vorweltmeisterlichen Rundgang durch die Innenstädte von Dillingen und Wertingen fällt auf: Deutschland-Fähnchen an den Autos sind noch Fehlanzeige. Die kommen wohl erst mit dem Erfolg unserer Mannschaft. Christian Forscht präsentiert die Botschaft in seinem Dillinger Geschäft dezent, aber eindeutig: Hinter den Produkten der Auslage fast versteckt, liegt der WM-Ball von 2014 in Brasilien, „Brazuca“. Das schmucke FußballUtensil, von Dekorationsexpertin Mama Maria so angelegt, soll anzeigen, dass man um die Bedeutung der WM weiß. Der langjährige Stadtrat Forscht will zwar fleißig TV schauen, sieht sich allerdings nicht gerade als großen Fußballfan.
Anders als Riyadgeorge, der in seiner Wertinger Lotto-Annahmestelle auch Tabakwaren feilbietet. „Richie“, wie Kunden den sympathischen Endvierziger mit Wurzeln aus Mesopotamien nennen, fühlt sich fußballverrückt. In Österreich groß geworden, hat sich der FCAFan über die schmachvolle Niederlage beim Testspiel in Klagenfurt diebisch gefreut. „Ich war ganz happy“, gesteht er – und sieht die deutsche Nationalelf dennoch im WMHalbfinale.
Prognosen wagt die pharmazeuständlich tisch-technische Assistentin Simone Scholz nicht so gerne, hätte es fachlich durchaus drauf. Sie spielte elf Jahre lang in der Abwehr beim SV Bonstetten. Jetzt drückt sie Kunden der Wertinger Stadtapotheke ein Heftpflaster-Set samt schwarz-rotgoldener Tasche in die Hand. Sportskollege Baris Er vom FC Lauingen hält derweil Stellung im Shop eines bekannten Netzanbieters in Dillingen. Der Mittelfeldmann, der von Mesut Özil schwärmt, deckt Interessenten mit Handy-Informationen ein und macht gehörig Werbung für die Weltmeisterschaft in Russland. Indirekt auch Spirituosenladen-Inhaber Marco Rehm, der in seine mundgeblasenen Motivflaschen für Hochprozentiges Spieler und Fähnchen drapiert hat.
Nicht zum Kicken sind die bunten Fußballschuhe bei Schreibwaren Gerblinger in Wertingen gedacht – aus Keramik hergestellt, würden sie den ersten Schuss auch nicht überleben. Sie dienen als Spardose. Zu sehen ist auch ein kleiner Schwarzweiß-Fußball, der in ein Wasserbecken eingetaucht zu einem Handtuch aufquillt. Dahinter sammeln sich jede Menge weitere Angebote zum Fußball-Thema: Sandra Mäding vom Spielwarenladen weist auf das sicher nicht einfache 3D-Ballpuzzle hin.
Völlig im Stress sieht sich Blumenhändlerin Simone Neumeier. Die Mutter eines achtjährigen, in der Fußballjugend antretenden Buben, begründet dies aber nicht mit der WM, sondern mit den aktuell sehr zahlreichen und wichtigen Ereignissen in der Region: „Es wird gerade viel geheiratet!“