Wertinger Zeitung

Der Glaubwürdi­ge

Regisseur Wim Wenders durfte acht Stunden lang den Pontifex interviewe­n. Er porträtier­t einen Menschen, der von einem klaren moralische­n Kompass geleitet wird

- VON MARTIN SCHWICKERT

Wim Wenders hat sich zunehmend im Dokumentar­film profiliert. Sein „Buena Vista Social Club“(1999) entwickelt­e sich zum Kultfilm und brachte der kubanische­n AltherrenB­and ihren späten Ruhm. Mit „Pina“(2011) setzte Wenders der Wuppertale­r Tanztheate­r-Pionierin Pina Bausch ein cineastisc­hes Denkmal in feinstem 3D. Zuletzt porträtier­te er in „Das Salz der Erde“(2014) den brasiliani­schen Fotografen Sebastião Saldago.

Jeder dieser Filme wurden mit einer Oscar-Nominierun­g beehrt, sie lebten von der seelenverw­andtschaft­lichen Nähe zwischen Regisseur und Sujet, vom cineastisc­hen Blick auf Künstler, die – genau wie Wenders – nach eigenen Wegen in ihrem Metier gesucht haben. Nun hat Wenders mit „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“einen Film über das Oberhaupt der katholisch­en Kirche gedreht und ist seiner treu geblieben. Mit der gleichen Neugier, Intensität und Sympathie, mit der er einer kubanische­n Renterband, dem Werk einer Choreograf­in und eines engagierte­n Fotoreport­ers entgegentr­at, geht er nun auch auf den Papst zu.

Die Idee kam nicht von ihm. Der Vatikan ist an Wenders herangetre­ten und sicherte dem Filmemache­r vollkommen­e inhaltlich­e und künstleris­che Freiheit zu. Der Propaganda-Verdacht hat sich nach der ersten halben Kinostunde schnell zerstreut. Nicht weil Wenders das Wirken des Pontifex besonders kritisch ins Visier nimmt. Vielmehr sind die Fragen und Haltungen, die hier formuliert und demonstrie­rt werden, von derart übergeordn­eter Dringlichk­eit, dass potenziell­e Profilieru­ngsstrateg­ien in den Hintergrun­d treten.

Denn dieser Papst, der sich programmat­isch nach Franz von Assisi benannt hat, legt den Finger in die Wunden unserer Zeit. Das obszöne weltweite Gefälle zwischen Arm und Reich steht ganz oben auf seiner Agenda. Und so reist er an die Ränder: in brasiliani­sche Favelas, in ein zentralafr­ikanisches Kinderhosp­ital, zu den Flüchtling­scamps auf der griechisch­en Insel Lesbos oder in ein Gefängnis in Philadelph­ia, wo er den Häftlingen die Füße wäscht. Mit symbolisch­en Gesten wie diesen oder dem gebrauchte­n Kleinwagen, mit dem er sich auf Staatsbesu­chen zwischen all den Riesenlimo­usinen chauffiere­n lässt, demonstrie­rt dieser Papst jenen Einklang zwischen Worten und Taten, welcher der katholisch­en Kirche stets wieder abhandenko­mmt.

Insgesamt acht Stunden lang hat Wenders den Oberhirten interviewt. Von dem Menschenre­cht auf Arbeit, der Kritik an der Konsumgese­llschaft, religiöser Toleranz, der Gefahr des Klimawande­ls bis zum sexuellen Missbrauch in der katholiHer­angehenswe­ise schen Kirche reichen die Themen. Und das, was Franziskus dazu zu sagen hat, ist nicht nur für einen Papst erstaunlic­h radikal. In einer Zeit, in der Populisten den Egoismus zur Staatsdokt­rin erheben, vertritt dieser Mann Positionen, die eine gemeinsame und solidarisc­he Lösung globaler Problemste­llungen einfordern und von einem klaren moralische­n Kompass geleitet sind.

Das rührt sogar abgebrühte USKongress­abgeordnet­e, die angesichts der mahnenden Worte des Papstes in Tränen ausbrechen. Auf diesen offensiven Anti-Zynismus legt Wenders den Fokus seiner Betrachtun­g und zeigt, welche verändernd­e Kraft darin stecken könnte. Dass es bis dahin in einer schwerfäll­igen Institutio­n noch ein sehr langer Weg ist, zeigt der Film nicht. Aber die langen Gesichter der Kurienkard­inäle, denen Franziskus den Kopf wäscht, lassen erahnen, auf welche Widerständ­e dieser Papst auch in den eigenen Reihen stößt.

 ?? Foto: Universal Pict. ?? Papst Franziskus stand insgesamt acht Stunden für Interviews zur Verfügung. Wim Wenders baute zusammen mit Archivmate­rial ein facettenre­iches Porträt des Pontifex.
Foto: Universal Pict. Papst Franziskus stand insgesamt acht Stunden für Interviews zur Verfügung. Wim Wenders baute zusammen mit Archivmate­rial ein facettenre­iches Porträt des Pontifex.
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