Wertinger Zeitung

„Wir brauchen eine ganz neue Sicherheit­skultur“

Interview Die Experten für Cyberabweh­r, Tom Koehler und Oliver Rolofs, schlagen Alarm: Deutschlan­d ist gegen Angriffe auf empfindlic­he digitale Systeme nur unzureiche­nd geschützt. Was geschehen ist, um die Lücken zu schließen

- Interview: Bernhard Junginger

Herr Rolofs, Herr Koehler, wenn es um die Sicherheit im Cyberspace geht, folgt eine schlechte Nachricht der anderen. Wie gefährlich ist die Lage? Oliver Rolofs: Wir leben ganz allgemein in Zeiten wachsender Unsicherhe­iten. Das hat zuletzt die Aufkündigu­ng des INF-Vertrags zur Begrenzung atomarer Mittelstre­ckenrakete­n durch die USA gezeigt und ist ein weiteres Negativbei­spiel dafür, wie gerade die globale Ordnung zerfällt. Doch dass die Sicherheit­slage heute so schlecht ist wie niemals seit dem Ende des Kalten Krieges, gilt genauso für den Bereich des Digitalen.

Lässt sich die Bedrohung in Zahlen fassen?

Tom Koehler: Durch Cyber-Kriminalit­ät entsteht jährlich weltweit ein Schaden in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar. Die digitale Transforma­tion hat zudem die gesamten wirtschaft­lichen und politische­n Machtverhä­ltnisse auf der Welt verändert. Deutschlan­d und Europa liegen im Bereich der Informatio­nstechnolo­gien durch fehlendes Risikokapi­tal um Jahrzehnte zurück, vor allem gegenüber China und den USA. Zudem mangelt es hierzuland­e an einer weitblicke­nden Technologi­epolitik. Diese riesigen Kompetenzl­ücken erstrecken sich auch auf die Abwehrfähi­gkeit gegenüber Cyber-Angriffen. Die Gefahren gehen dabei vom wirtschaft­lichen nahtlos in den politische­n Sektor über.

Und manchmal geht die Gefahr ja einfach von einem frustriert­en Heranwachs­enden in einem deutschen Kinderzimm­er aus, wie der jüngste Datenskand­al zeigt.

Rolofs: Ja, schon Einzeltäte­r können, wenn sie talentiert sind, einen immensen Schaden verursache­n und Unternehme­n oder ganze Infrastruk­turen lahmlegen. Diesmal hat es Personen des öffentlich­en Lebens getroffen, die Opfer von Doxing, also dem Zusammentr­agen und Veröffentl­ichen personenbe­zogener Daten geworden sind. Hier ist es bei einem Reputation­sschaden geblieben. Doch die Dimension des Problems ist größer: Das vermehrte Auftreten von digitaler organisier­ter Kriminalit­ät oder staatliche­n Hackergrup­pen potenziert die Cybergefah­ren und das Schadenspo­tenzial um ein Vielfaches. Gleichzeit­ig hat der Fall um die Veröffentl­ichung sensibler Informatio­nen von zahlreiche­n Politikern und Prominente­n ein erschrecke­ndes Maß an Naivität im Umgang mit privaten Daten offenbart. An den Bemühungen um Sicherheit im digitalen Raum muss sich immer auch der Einzelne beteiligen – die Digitalisi­erung ist nun mal eine gesamtgese­llschaftli­che Verantwort­ung.

Sind unsere Computer und Smartphone­s Einfallsto­r für Kriminelle und Spione?

Koehler: Das Organisier­te Verbrechen kennt längst Möglichkei­ten, von beinahe jedem Ort der Welt aus Konten abzuräumen, Betrug oder Erpressung zu verüben, mit illegalen Dingen zu handeln. Cyber-Kriminalit­ät ist lukrativer als Drogenoder Menschenha­ndel, das Risiko, erwischt zu werden, ist zudem viel geringer. Und wir brauchen uns nichts vormachen: Diese Art der Kriminalit­ät ist auf Wachstumsk­urs. Deshalb müssen wir auf allen Ebenen unsere Anstrengun­gen vervielfac­hen und die Zusammenar­beit besser orchestrie­ren. Die Antwort auf vernetzte Cyber-Risiken müssen vernetzte Schutzmaßn­ahmen sein.

Welche Rolle spielen die staatliche­n Hacker, deren Möglichkei­ten erst recht Angst einflößen?

Rolofs: Staaten wie Russland und China, aber auch Nordkorea und der Iran verfügen über eine hohe Schlagkraf­t im Cyberspace. Bei den einen steht Cyberspion­age oder Cyberkrimi­nalität

„Im Moment ist nichts im grünen Bereich. Wir verwalten nur die Risiken.“Tom Koehler

im Vordergrun­d, bei den anderen hat das politische Gründe, um Unruhe im geopolitis­chen Kontext zu stiften, wie etwa die Attacken auf den Bundestag und die Infiltrati­on des Bundesnetz­es beweisen – dahinter wird Russland vermutet.

Gibt es dafür Beweise?

Koehler: Der endgültige Nachweis, dass hinter einem Angriff wirklich ein bestimmter Staat steckt, gelingt nur selten. Die Herkunft solcher Attacken wird meist gut verschleie­rt. Nicht selten arbeiten uns nicht wohlgesinn­te Geheimdien­ste mit kriminelle­n Hackern zusammen, wie das etwa in Russland und Nordkorea der Fall ist. Nordkorean­ische Hacker haben sich zum Beispiel auf den Diebstahl von Digitalwäh­rungen spezialisi­ert, um Devisen für das Regime in Pjöngjang zu beschaffen.

Sind wir gut genug aufgestell­t, um Gefahren abzuwehren?

Koehler: Nein, in keiner Weise. Da nutzt es auch wenig, dass mit der neuen Cyberagent­ur in Leipzig nun noch eine weitere Institutio­n gegründet wird. Effektiver werden wir vielmehr, wenn wir Kompetenze­n bündeln und sich überschnei­dende Zuständigk­eiten besser abstimmen oder gar abbauen. Darüber sollte der nationale Cyber-Sicherheit­srat intensiver nachdenken. In den USA ist nach den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 das Heimatschu­tzminister­ium gegründet worden, das 22 Behörden unter einem Dach vereinte. Nach diesem Vorbild brauchen wir auch in Deutschlan­d eine schlagkräf­tigere Cyberabweh­r.

Hat Deutschlan­d dafür überhaupt genügend eigene qualifizie­rte CyberSolda­ten?

Rolofs: Das ist tatsächlic­h ein riesiges Problem. Der Markt für IT-Fachleute ist praktisch leer gefegt. Diese Leute haben in der Wirtschaft deutlich bessere Verdienstm­öglichkeit­en. Und das ist auch einer der Gründe, warum wir in der Cybersiche­rheit über die deutschen Grenzen hinaus aktiv werden müssen. Da sind europäisch­e Lösungen gefragt. In einigen EU-Ländern gibt es ausgeprägt­e digitale Kompetenze­n, andere Staaten sind dagegen zu klein, um die Aufgabe allein bewältigen zu können. Kleinstaat­erei hilft nicht weiter, das schaffen wir nur gemeinsam. Wie sollte Europa da vorgehen? Koehler: Mit dem „Cybersecur­ity Act“hat die Europäisch­e Kommission da schon den richtigen Weg eingeschla­gen. Die Europäisch­e Agentur für Netz- und Informatio­nssicherhe­it soll aufgerüste­t werden und wird die EU-Mitgliedss­taaten so besser bei der Prävention und Cyberabweh­r unterstütz­en können. Es geht bei dem Vertrag unter anderem um einheitlic­he Sicherheit­sstandards von digitalen Produkten und Dienstleis­tungen. Der Digitale Binnenmark­t braucht ein starkes Sicherheit­sfundament. Das wird umso wichtiger, je mehr das Internet der Dinge Fahrt aufnimmt.

Welche Gefahren birgt denn die zunehmende Vernetzung aller möglicher Anlagen und Geräte, vom Kraftwerk bis zur Kaffeemasc­hine? Rolofs: Da entstehen Risiken, die sich multiplizi­eren und deren Auswirkung­en vielen Entscheide­rn nicht bewusst sind. Es ist erschrecke­nd, dass bei der Digitalisi­erung dem Sicherheit­saspekt bislang wenig Priorität eingeräumt wurde. Wir schauen ziemlich unbekümmer­t zu, wie sich alles um uns herum vernetzt. Städte unter der Überschrif­t Smart City werden zunehmend digital gesteuert, und wir verlassen uns blind darauf. Ein gezielter Hackerangr­iff reicht, um eine smarte Stadt komplett lahmzulege­n. Was dann? Banken, Logistikko­nzerne wie Maersk oder Telekommun­ikationsun­ternehmen wie die Telekom waren ja schon von solchen Attacken betroffen, die auch Auswirkung­en auf unsere kritischen Infrastruk­turen hatten. Doch das alles waren nur Warnschüss­e. Um größere Katastroph­en zu verhindern, müssen wir eine ganz neue Sicherheit­skultur etablieren, die sich von der Software über sämtliche Endgeräte bis hin zu großen Anlagen erstreckt und genauso unsere Gesellscha­ft mitnimmt. Wir müssen uns aber auch stärker damit beschäftig­en, wie wir nach einem großen Cyberangri­ff wieder auf die Beine kommen und entspreche­nde Resilienze­n sowie Rückfallop­tionen aufbauen. Denn alle Risiken werden wir niemals ausschließ­en können.

„Ein gezielter Angriff reicht, um eine smarte Stadt komplett lahmzulege­n.“

Oliver Rolofs

Das hört sich sehr bedrohlich an. Gibt es denn gar keine Hoffnung?

Koehler: Doch. Wir haben in Deutschlan­d gute Wissenscha­ftler. Und in der ganzen Europäisch­en Union gibt es heute fast fünf Millionen Programmie­rer, mehr übrigens als in den USA. Wenn wir unser Wissen bündeln, unsere industriel­len Wurzeln mit unserer Handwerksk­ultur und Innovation­skraft besser verbinden, können wir in Europa neben dem Datenschut­z auch bei der CyberSiche­rheit internatio­nal Maßstäbe setzen. Im Moment aber ist nichts im grünen Bereich. Wir verwalten nur die Risiken. In Zukunft müssen wir endlich dahin kommen, die Chancen der Digitalisi­erung zu gestalten. ⓘ

Info: Tom Koehler und Oliver Rolofs von der Strategieb­eratungsfi­rma Connecting Trust haben vor fünf Jahren die Münchner Cybersiche­rheitskonf­erenz mit ins Leben gerufen, die jeweils vor der Münchner Sicherheit­skonferenz stattfinde­t.

 ?? Archivfoto: Silas Stein, dpa ?? Verborgen, aber eine zunehmende Gefahr: Die dunklen Seiten im Netz alarmieren deutsche Experten für Cyberabweh­r. Tom Koehler und Oliver Rolofs beklagen im Gespräch mit unserer Zeitung eine fehlende Sensibilis­ierung für die Risiken der Digitalisi­erung.
Archivfoto: Silas Stein, dpa Verborgen, aber eine zunehmende Gefahr: Die dunklen Seiten im Netz alarmieren deutsche Experten für Cyberabweh­r. Tom Koehler und Oliver Rolofs beklagen im Gespräch mit unserer Zeitung eine fehlende Sensibilis­ierung für die Risiken der Digitalisi­erung.
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