Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius (47)
An Anhängern fehlt es nicht; Bewunderer, können sie auch seiner hungrigen Eitelkeit nie genügen, umschwärmen ihn gelehrig, und die Vermutung einiger kühler Beobachter mag nicht aus der Luft gegriffen sein, daß ihm mächtigere Leute den Rücken decken als eroberungslustige Professoren, verabschiedete Generale und eine Schar entflammbarer Studenten, Leute, die sehr genau wußten, was sie wollten und denen die ganze Kaiserherrlichkeit des Mittelalters gestohlen werden konnte, sofern sie nicht mit solch berauschendem Traum auch ihr Geschäft machen konnten. Dazu war ein Geisteskoloß wie dieser Waremme fraglos von hohem Nutzen, ob er nun selbst bis zum Grunde seines Herzens überzeugt war oder nicht; deshalb auch urteilte man nachsichtig über seine Frauengeschichten, seine ewigen Geldkalamitäten, seine persönliche Unverläßlichkeit und die Dunkelheit seiner Herkunft, über die er sich, vergeßlich wie einer, der schlecht lügt, weil er zuviel lügt, in ständig veränderten Erzählungen erging.
Es stellt sich heraus, daß er ein Freund Anna Jahns ist, oder doch ein guter Bekannter von ihr. Er hat sie im vorigen Jahr in Köln kennengelernt und ihr beim Karneval für eine Liebhaberaufführung die Rolle eines Pierrot so vollendet einstudiert, daß sie ungeteilten Beifall damit erntete. So sagt man; was an der Sache wahr ist, läßt sich schwer erforschen; Anna selbst hat nie darüber gesprochen, Anna spricht überhaupt nicht von ihren Erlebnissen. Auffallend ist nur, daß sie seitdem nicht mehr ins Theater geht und alles, was mit dem Theater zusammenhängt, geradezu verabscheut. Auch über die Person Waremmes schweigt sie sich aus, wenigstens gegen Elli erwähnt sie seiner nie, die Bekanntschaft mit Leonhart hat keineswegs sie vermittelt. Es scheint, der Antrieb ist von Waremme ausgegangen, wie wenn er in diesem jungen Menschen die für ihn geeignete Beute von weit her gewittert hätte. Bald sind die beiden unzertrennlich, schon am Vormittag geht Leonhart in Waremmes Wohnung, nachmittags reitet er mit ihm aus, nicht selten ist Anna mit von der Partie, das Trio erregt natürlich sattsam Aufsehen in den Straßen, schließlich führt ihn Leonhart in sein Haus ein. Ein Rest von Instinkt hat ihn lange zögern lassen, es zu tun; das erste Zusammensein mit Elli verläuft auch peinlich genug. Ihre Abneigung gegen den Mann ist elementar, ihr wird unwohl, wenn sie sein fahles Gesicht mit dem Unterkiefer eines Negerboxers nur sieht, die wasserblassen Augen mit dem schamlos glitzernden Blick, den fetten Hals, die fetten Hände mit den vielen Ringen: alles, alles ist ihr unbeschreiblich verhaßt, die spöttisch akzentuierte Höflichkeit, die sofort einen ausdrücklichen Unterschied macht zwischen einer Frau und einem Mann, wie die souveräne Leichtigkeit seiner Konversation. Es ist wahr, im Vergleich mit ihm ist Leonhart, was ein Lakai im Vorzimmer eines Fürsten ist; aber das ist nicht Ursache für sie, ihn erniedrigt zu sehen, Rangordnung machen nicht die Menschen, die ist von Gott, so oder so; nur was er an sich selber tut, darf sie bekümmern. Sie fleht ihn an, von dem Menschen zu lassen. Er gebärdet sich, als habe sie was Ehrenrühriges von ihm verlangt. Du scheinst keine Ahnung zu haben, wer Gregor Waremme ist. O doch, sie hat die Ahnung, wie der Mann auf sie zuschritt, hat sie das herzlähmende Gefühl von unabwendbarem Schicksal gehabt; das aber hütet sie sich zu sagen. Und überdies, fährt er fort, ist er der einzige Mensch, der sich Annas wirklich annimmt. Was soll sie darauf erwidern? Sie steht da, und ihr schwindelt. Für denselben Abend war verabredet, daß er mit ihr zu einem Tee bei Geheimrat Eichhorn geht; er hat versprochen, sie abzuholen. Er kommt nicht, es wird neun, zehn, elf, sie hört auf zu warten. Am andern Morgen redet er sich aus, er sei nicht dort gewesen, Waremme habe eine eben vollendete Abhandlung vorgelesen. Zwei Stunden später ruft die Geheimrätin an. Weshalb sind Sie nicht gekommen, Elli? Es war ein so reizender Abend, man hat sogar getanzt, und das schönste Paar sind Dr. Maurizius und Anna gewesen, unstreitig. Elli stottert hilflos in den Apparat, sie spürt, wie ihr das Blut im Herzen bitter wird. So nichtig ist sie ihm schon, daß er sie nicht einmal einer gut erfundenen, einer dauerhafteren Lüge für wert hält? Sie mag ihn nicht zur Rede stellen, es ist schon zu weit gediehen, so weit wie ein Brand, der des Wasserstrahls spottet; mit Stricken gefesselt sieht sie zu, wie er vor ihren angstvoll aufgerissenen Augen sinkt und sinkt, noch kann sie nicht glauben, daß alles vorbei sein soll, noch hofft sie und wartet und denkt, es ist eine flüchtige Trübung nur, er kann unmöglich vergessen haben, was er ihr zugelobt und worauf sie ihr Leben gebaut hat. Doch während sie sich noch solcher Täuschung hingibt, sammeln sich bereits die dämonischen Kräfte in ihr, mit denen sie um ihn und seinen Besitz kämpft und ihn und sich vernichtet.
Eines Nachmittags um die Dämmerzeit öffnet sie, von einem Gang in die Stadt zurückkehrend, die Tür zum Wohnzimmer; da fahren Leonhart und Anna erschrocken auseinander, fassungslos starren sie die auf der Schwelle Stehende an; Anna macht ein paar Schritte zum Fenster und ordnet das verwirrt in Stirn und Wangen hängende Haar, verbirgt ihr über und über flammendes Gesicht; Leonhart verbleibt wie angewurzelt beim Sofa und wendet sich mit einer flehentlichen Gebärde zu Elli. Es fällt kein Laut. Als Anna sich einigermaßen gesammelt hat, packt sie ihren Mantel und Hut, die auf einem Sessel liegen, geht mit stürmischen Schritten zur Tür und heftet, während sie an ihm vorübereilt, auf Leonhart einen Blick von so glühender Verachtung, daß dieser, fahl wie ein Handtuch, dieselbe flehende Gebärde wie vorhin an seine Frau nun an Anna richtet. Aber ihre Augen blitzen ihn nur unsäglich stolz an, als sei es schmählich für sie, im gleichen Raum mit ihm zu sein, den sie auch darum so schnell wie möglich verläßt. Laß mich durch! ruft sie der Schwester gebieterisch zu, Elli weicht schweigend zur Seite, und sie verschwindet. Ihre leichten, hastigen Schritte sind noch nicht verklungen, da tritt Leonhart vor seine Frau hin und sagt beschwörend: Beim ewigen Gott, Elli, sie hat keine Schuld. Da Elli immer noch schweigt – vor ihr dreht sich ja das ganze Zimmer mit den Möbeln im Kreis –, wiederholt er, sinkt dabei auf die Knie und umfaßt ihre Schenkel: Glaub mir, Elli, ihr kannst du nichts vorwerfen, sie ist rein wie der Tag. Sein Betragen ist theatralisch, Elli fühlt es; dennoch, in seiner Stimme, in seiner Miene ist Aufrichtigkeit und Wahrheit. Was könnte Elli tiefer verstören als eben dies?
Über den Zwischenfall gab es zwei Aussagen, die im wesentlichen übereinstimmten, die eine von Leonhart selbst, die andere von dem Dienstmädchen Frieda, die ihn belauscht hatte. Er verlieh der Situation der drei Menschen anscheinend das gültige Gepräge.
48. Fortsetzung folgt