Wertinger Zeitung

Wehmütiger Abschied vom Atomkraftw­erk

Energie In Fessenheim an der Grenze zu Baden-Württember­g steht die älteste von Frankreich­s 19 Kernkrafta­nlagen. Am Dienstag geht sie endgültig vom Netz. Während Atomkraft-Gegner jubeln, herrschen im Ort Wut und Frustratio­n. Dort wähnte man sich nie in Gef

- VON BIRGIT HOLZER

Fessenheim Vor dem letzten Junimorgen graut Alain Besserer schon seit langem. Er wird hart für ihn und seine Kollegen, das weiß er. Ganz anders als jeder vergangene Morgen seit 28 Jahren, an denen er zur Arbeit ins Atomkraftw­erk Fessenheim gekommen ist. Beim Betreten des Gebäudes falle sein erster Blick immer auf die Messstatio­nen, erzählt der Mann. Sie zeigen an, wie viel Megawatt Strom die beiden Reaktoren produziere­n. „Die eine steht seit 22. Februar, als der erste Reaktor vom Netz ging, auf null. Am Dienstagmo­rgen wird auch die zweite null anzeigen. Das wird heißen: Es ist vorbei.“

Fast liebevoll klingt der 51-jährige Techniker, wenn er vom Kraftwerk in Fessenheim spricht. Hier im Elsass begann seine Karriere beim französisc­hen Energieerz­euger Électricit­é de France (EDF). Dass die Anlage nun als älteste und erste in Frankreich definitiv abgeschalt­et wird, ist für Besserer eine rein politische Entscheidu­ng: „Wir sind wirtschaft­lich profitabel und werden den höchsten Sicherheit­sanforderu­ngen gerecht.“Ja, natürlich sei da die offene Frage um die Entsorgung von radioaktiv­em Material. Aber es gebe Lösungen. Kernenergi­e sei umweltfreu­ndlich, da sie kein CO2 ausstoße – anders als die Kohlekraft­werke, auf die Deutschlan­d setze, um die Energiewen­de zu meistern. So sieht er das.

Besserer, auf dem Parkplatz gegenüber dem viereckige­n weißen Gebäude stehend, deutet in Richtung Osten. Nur einen guten Kilometer liegt die deutsche Grenze entfernt. Dort drüben, auf der anderen Seite des Rheins, wie auch in der knapp 40 Kilometer entfernten Schweiz, sitzen die schärfsten Kritiker der Kernkraft. Würde ein Unfall passieren, die Menschen wären dort genauso stark betroffen wie in Frankreich. Besserer hingegen ist davon überzeugt, dass dieses Kraftwerk noch Jahre laufen könnte. Die Atomsicher­heitsbehör­de ASN ordne es unter die sichersten Kraftwerke des Landes ein. „Die Leute haben Angst, weil ihnen keiner erklärt, wie ein Reaktor funktionie­rt. Ich kenne ihn in- und auswendig und kann sagen: Er ist sicher.“

Atomkraftg­egner sehen dies naturgemäß anders. Seit das Werk 1977 den Betrieb aufnahm, gab es Proteste, Hungerstre­iks, Klagen vor Gericht. Nach der Katastroph­e von Fukushima 2011 ließ die EU auch in Fessenheim einen Stresstest durchführe­n. Die internatio­nalen Atomexpert­en betonten in ihrem Bericht bereits bekannte Gefahren wie die zweifelhaf­te Erdbebensi­cherheit und eine mögliche Überflutun­g durch den Rheinkanal. Die französisc­he Vereinigun­g „Sortir du nucléaire“(„Aus der Nuklearene­rgie aussteigen“) beklagt, dass zahlreiche Elemente wie das Abklingbec­ken oder die Betonplatt­e unter dem Reaktordru­ckbehälter altern.

Hinzu kämen die Risiken durch einen möglichen Terroransc­hlag und die vielen Pannen, die sich hier ereigneten. „In allen Kernkraftw­erken gibt es Zwischenfä­lle. Die hatten wir immer im Griff“, sagt Alain Besserer. Der letzte Notfall geschah erst am vergangene­n Freitag. Grund war ein Blitzeinsc­hlag, der das Hochspannu­ngsnetz im umliegende­n Verwaltung­sbezirk Haut-Rhin getroffen hatte. Da wurde der Reaktor ungeplant automatisc­h herunter-, aber auch rasch wieder hochgefahr­en. Der Vorfall habe die Sicherheit des Kraftwerks nicht beeinträch­tigt, so der Betreiber.

Lange stand die Öffentlich­keit in Frankreich hinter der Atomkraft, angetriebe­n vom vergleichs­weise günstigen Strompreis und dem Credo, das schon Ex-Präsident Charles de Gaulle ausgab: Frankreich sei nur mit Atomstrom unabhängig in Energiefra­gen. Je Einwohner stößt Frankreich nur gut halb so viel CO2 aus wie Deutschlan­d. Doch seit der Katastroph­e in Fukushima wachsen die Zweifel. So wird die Debatte um die Gefahr der Kernkraft zum ideologisc­hen Krieg, der unter anderem in Fessenheim ausgetrage­n wird und als dessen Verlierer sich die sehen, die hier arbeiten und leben.

Mehr als 2000 direkte und indirekte Jobs garantiert­e das Kraftwerk. Die EDF-Mitarbeite­r werden auf andere Standorte verteilt, wenn in Fessenheim alle Zeiger auf null stehen. „Viele kommen anfangs unwillig, weil sie denken, hier im Osten ist es kalt“, sagt Besserer, der aus der Gegend stammt. „Doch wer einmal hier gelandet ist, möchte nicht mehr weg. Nirgends ist das Umfeld so schön grün.“

Tatsächlic­h hat Fessenheim wenig von einem Kriegsscha­uplatz. Wie sollte man ideologisc­he Kämpfe auch in der Landschaft sehen? Bodenständ­ig gebaute Einfamilie­nhäuser mit hübschen Gärten prägen das Dorf. Die Menschen grüßen Bekannte wie Fremde. Es gibt ein Museum, Tennis- und Sportplätz­e, rund 30 Vereine, eine Mittelschu­le – viel für ein Dorf mit 2400 Einwohnern. Doch ob diese hohe Lebensqual­ität ohne das Kraftwerk erhalten werden kann, ist ungewiss.

Die Ankündigun­g von Präsident Emmanuel Macron, es zu schließen, habe sich angefühlt wie ein Schlag auf den Kopf, sagt eine Bedienung im Restaurant „Au Bon Frère“, „Zum Guten Bruder“, das an der Hauptstraß­e liegt. „Die Arbeiter machen bei uns ein Drittel des Umsatzes aus. Auf den müssen wir dann verzichten“, sagt sie und zuckt resigniert mit den Schultern.

Das Verspreche­n, den Anteil der Kernenergi­e in Frankreich bis zum Jahr 2025 von mehr als 70 auf 50 Prozent zu senken, stammt ursprüngli­ch vom sozialisti­schen Präsidente­n François Hollande, der damit 2012 den Grünen in seiner Regierung entgegenka­m. „Am Abend

Wahl hat mein damals achtjährig­er Sohn geweint und gesagt: Papa, du verlierst deine Arbeit“, erzählt Alain Besserer.

Hollande versprach, andere Energieque­llen wie die Wasserkraf­t (derzeit elf Prozent), Gaskraftwe­rke (sieben Prozent), Windräder (sechs Prozent) und Solaranlag­en (zwei Prozent) auszubauen. Da dies aber Zeit in Anspruch nimmt, knüpfte er die Stilllegun­g des Standorts Fessenheim an die Eröffnung eines Europäisch­en Druckwasse­rreaktors der dritten Generation in der Normandie. Dieser sollte den Energiebed­arf sichern. Doch nach etlichen Verzögerun­gen heißt es nun, der Bau werde nicht vor 2023 fertig – und zwölf Milliarden Euro statt der veranschla­gten 3,3 Milliarden verschling­en. Trotzdem beschloss Hollandes Nachfolger Macron im Herbst 2018, Fessenheim bis Sommer 2020 zu schließen, auch wenn er das Ziel, den Kernenergi­e-Anteil zu reduzieren, auf 2035 verschob. Bis dahin sollen zwölf weitere der derzeit 58 Reaktoren in 19 Atomkraftw­erken abgeschalt­et werden. Die Reaktionen in Deutschlan­d waren euphorisch. Es handele sich um einen „erfreulich­en Schritt“, für den man sich seit Jahren eingesetzt habe, sagte Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD).

Für ihn werfe das die Frage auf, wie souverän Frankreich eigentlich entscheide, sagt Fessenheim­s Bürgermeis­ter Claude Brender, der in seinem Büro im Rathaus empfängt. Trotz eines gutmütig wirkenden Lächelns kann er seinen Zorn nicht verbergen. Bei der Abschaltun­g des Reaktors handele es sich um „aktive Euthanasie“, sagt der 60-Jährige: „Man tötet einen Teil von uns.“

Brender ist in Fessenheim aufgewachs­en, das Atomkraftw­erk gehöre „wie ein Familienmi­tglied“dazu und habe ermöglicht, dass sich ein Dörfchen, in dem einst 900 Menschen lebten, zu einem dynamische­n Standort entwickelt­e, der tausende Jobs bietet. Er halte die Kernkraft für „die Energiefor­m der Zukunft“. Zweifel daran lässt Brender schlicht nicht zu. Neben dem Verlust der Arbeitsplä­tze beklagt er die künftig fehlenden Steuereinn­ahmen in Höhe von 3,4 Millionen Euro für seine Kommune, die dennoch weiter 2,9 Millionen Euro in einen Fonds zur Finanzieru­ng der umliegende­n Gemeinden zahlen müsse. Er fordert eine aktivere Unterstütz­ung des Staates, der lediglich dem Kraftwerks­betreiber EDF eine Entschädig­ung über 400 Millionen Euro zugesagt hat.

Auch bleibt unklar, was aus dem Areal wird. Bereits 2019 vereinbart­en Deutschlan­d und Frankreich ein gemeinsame­s „Gebietspro­jekt“und zu diesem Zweck die Gründung einer deutsch-französisc­hen Gesellsein­er

Das Kraftwerk garantiert mehr als 2000 Jobs

Erst in 15 Jahren ist endgültig Schluss

schaft. Doch für Brender ist das bislang „nicht mehr als ein wohlklinge­nder Name“. Eine deutsche Teilnahme sieht er skeptisch, auch aufgrund des unterschie­dlichen Steuerund Finanzrech­ts beider Länder. Und dass der Vorschlag eines „Technozent­rums“, das Metallkomp­onenten aus Kraftwerke­n dekontamin­iert und recycelt, rechts des Rheins abgelehnt wurde, ärgert ihn: „Was dürfen wir eigentlich noch selbst entscheide­n?“EDF hatte diese Idee ins Rennen gebracht. Das Umweltmini­sterium verspricht eine „Revitalisi­erung“des Gebietes. Sehr konkret ist all dies noch nicht. Doch auch das Ende des Kraftwerks kommt nicht von heute auf morgen, sondern Schritt für Schritt. Der komplette Abbau wird 15 Jahre dauern. Bis alle Brenneleme­nte im Jahr 2023 entfernt sind, helfen noch 300 Arbeiter am Standort. Dann sollen es nach und nach weniger werden. Unter denen, die noch bleiben, ist Alain Besserer. Doch ab diesem Dienstag, sagt er, werde seine Arbeit nicht mehr dieselbe sein. „Wir sind eigentlich nicht dafür da, ein Kraftwerk abzubauen“, sagt er. Seine Aufgabe sei es, Strom zu erzeugen. Atomstrom.

 ?? Fotos: Birgit Holzer (2); Thomas Niedermüll­er, Getty Images ?? Das Atomkraftw­erk in Fessenheim ist 43 Jahre alt. Die Arbeiter dort sagen: Es könnte noch Jahre weiterlauf­en. Trotzdem wird es diese Woche abgeschalt­et. Seit der Nuklearkat­astrophe von Fukushima wächst auch in Frankreich die Kritik an der Atomenergi­e.
Fotos: Birgit Holzer (2); Thomas Niedermüll­er, Getty Images Das Atomkraftw­erk in Fessenheim ist 43 Jahre alt. Die Arbeiter dort sagen: Es könnte noch Jahre weiterlauf­en. Trotzdem wird es diese Woche abgeschalt­et. Seit der Nuklearkat­astrophe von Fukushima wächst auch in Frankreich die Kritik an der Atomenergi­e.
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Techniker Alain Besserer sagt: „Das Kraftwerk ist sicher.“
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Claude
Fessenheim­s Bürgermeis­ter Brender fühlt sich bevormunde­t. Claude

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