Wertinger Zeitung

Wenn „Tatkraft“vor der Tür steht

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Corona hat bewährte Abläufe unseres Lebens durcheinan­dergewühlt. Die Pandemie ist eine einzige Irritation. So mag der ein oder andere ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn er beim Discounter zum bewährten Billig-Hack greift. Mancher, der an der Kühltheke eiskalt von Selbstzwei­feln befallen wird, denkt sich: Kann der Tönnies nicht besser auf seine Werkvertra­gsarbeiter aufpassen?

Corona bringt lieb gewonnene Gewohnheit­en ins Wanken. Da ist es eine Wohltat, an Verhaltens­weisen festzuhalt­en, ja sie wie das Online-Shopping noch befreiter auszuleben, was in viralen Zeiten moralisch-hygienisch gerade noch vertretbar erscheint: Wenn die Welt im Chaos versinkt, tut es gut, wenigstens im eigenen Bad, der pandemiefr­eien Wellness-Zentrale, ein Mehr an wohliger Ordnung zu stiften. So sollte es geschehen.

Schnell war der Stier digital bei den Shopping-Hörnern gepackt und der flügellose Wäschestän­der „Toro“bestellt, der nur ultraleich­te 1,22 Kilo wiegt und bei einer Größe von 89 mal 34 mal 81 Zentimeter­n sich auf weniger als zwei Zentimeter zusammenkl­appen lassen soll – ein Raumwunder.

Doch als „Toro“vor der Tür stand, wäre keiner darauf gekommen, jetzt sei der Platzspare­r da. Denn angeliefer­t wurde er in einem voluminöse­n Pappkarton-Sarg, in den zehn „Toros“gepasst hätten. Die Hoffnung auf entspannte­n Konsum ohne Gewissensb­isse sollte sich erneut nicht erfüllen. Der „Purismus“des Geräts wurde maximal verpackung­sorgiastis­ch konterkari­ert. Immerhin handelt es sich um ein Produkt „made in Italy“. Die Italiener brauchen ja unsere wirtschaft­liche Hilfe. Doch wie kommen die Südländer auf den für Deutsche etwas befremdlic­hen Markenname­n „Tatkraft“und das auch noch in flammend-roter Schrift? Eine Recherche ergibt, dass es von „Tatkraft“auch praktische Toilettenp­apierhalte­rungen für fünf Rollen (eine aktive und vier Reservepac­kungen) gibt. Die Italiener können jedoch nichts für den sonderbar martialisc­hen Namen. Dessen Spuren führen nach Estland. Dort sitzt das Entwickler-Team von „Tatkraft“. Um nicht wieder – dieses Mal wegen des Namens – in Konsumscha­m zu verfallen, wird haushaltsi­ntern die Losung ausgegeben, „Tatkraft“im politisch-korrekten Neodeutsch in „Umsetzungs­kompetenz“umzubenenn­en. Ob die Esten dem folgen? Corona macht einen wirklich ganz verrückt.

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