Artischocken
Die Widerborstigen mit dem weichen Herz
Was ist dran an dieser noch nicht geöffneten Blüte, an diesem Distelgewächs, das für ein krasses Missverhältnis sorgt: zwischen seiner Größe von bis zu zwei Metern und dem, was davon am Ende genießbar ist – nämlich nur der Blütenkopf? – Zuerst einmal glaubte man, dass die Artischocke „der Liebe zuträglich“und ein Quell ewiger Jugend sei, und vor allem wusste man schon früh um ihre Heilkraft. Kaum ein magenstärkender Likör oder Bitter, der ohne Artischockenextrakt auskommt. Hauptwirkstoff der Artischocke ist das Cynarin – Cynar heißt denn auch bezeichnend der weltweit zu den hundert beliebtesten Spirituosenmarken zählende italienische Likör, hergestellt aus Artischockenblättern und Kräutern.
Neben reichlich Mineralstoffen wie Kalium, das die Zellen auf Trab bringt, Kalzium, das gut für Haut und Knochen ist, Magnesium für Muskeln und Nerven enthält die Artischocke auch eine Reihe von Vitaminen mit vorzüglichen medizinischen Eigenschaften. Sie hilft nicht nur, hohe Cholesterinwerte zu bekämpfen und die Leberwerte zu besänftigen, ihre Inhaltsstoffe kommen auch Diabetikern zugute. Artischocken mindern das Risiko der Arteriosklerose und gelten als ausgezeichnetes Diuretikum – und das alles ist zu haben bei höchstem kulinarischem Genuss. Sensationell eigentlich, denn im Allgemeinen dient oraler Lustgewinn selten so eindeutig der Gesundheit.
Artischocken mit D.O.
Spanien und Italien sind weltweit die größten Produzenten des gesunden Gemüses, wobei es sich bei den in den Hauptanbaugebieten Spaniens – Rioja, Navarra, Murcia und Alicante – kultivierten Exemplaren fast ausschließlich um die Sorte Blanca de Tudela handelt. Spanien besitzt heute mit der Alcachofa de Tudela aus Navarra und der valencianischen Artischocke aus Benicarló in Castellón so gute Qualität, dass eigene Herkunftsbezeichnungen zu ihrem Schutz eingeführt wurden.
Traditionell mediterran
Wer sich selbst an das Distelgemüse wagen will und keinerlei Erfahrung hat, hält sich beim Einkauf an die spanische Hausfrau. Da wird in der Hand gewogen, betastet, Stück für Stück untersucht. Wenn die Spitzen stechen, wandern sie wieder zurück. Nicht die größten Früchte sind die besten, jung und frisch sollen sie sein. Das ist dann der Fall, wenn die Blütenblätter den Kopf fest umschließen. Der Stiel soll fest und nicht biegsam sein. Auch schwarz gefleckte, trocken erscheinende und zu leicht befundene Exemplare lässt man besser liegen.
Artischocken lassen sich füllen, kochen, auf der Plancha braten oder zur Tortilla verarbeiten. Sie verlangen nach Knoblauch und Olivenöl, Tomaten und Mittel- meerkräutern. Reis und Nudeln geben sie das gewisse Etwas, auch einem geschmorten Kaninchen. Sie passen ganz wunderbar zu Frühlingsgemüse wie grünem Spargel und jungen Saubohnen. Und machen beileibe nicht vor leckeren Muscheln Halt.
In Kreta beispielsweise bereitet man Artischocken mit Dill und Schnecken zu; in Ägypten mit Mandeln. Und in Rom werden Artischocken und junge Saubohnen mit frischen Erbsen und ungeräuchertem Schweinespeck gekocht.
Tradition im Land Valencia ist, die Artischocken mit Knoblauch, Kräutern und Olivenöl, einem Stück Chorizo oder ManchegoKäse zu füllen und mit etwas Wein oder Wasser im Topf zu garen. Oder sie einfach auf der Plancha zu braten. Ein paar Tropfen Olivenöl und gutes Meersalz machen die Tapa perfekt.
Eine Herzensangelegenheit
Artischocken sind nicht so schwierig handzuhaben, wie es den Anschein hat. Man muss nur irgendwie an ihr Herz herankommen. Man reißt mit den Fingern die äußeren Lagen harter Blätter nach unten ab, bis sich die jungen, feinen hellen zeigen. Dann wird der obere Teil großzügig abgeschnitten, das kann ein Drittel bis zur Hälfte ausmachen und geht ganz gut mit einem Sägemesser. Das weiße, flusige „Heu“wird mit einem Löffel herausgekratzt.
Mit einem Schäler trennt man das Harte vom Artischockenboden ab, bis das weiche Fleisch zum Vorschein kommt. Auch der Stiel wird bis zum weichen Inneren geschält – oder, je nach Zubereitung, einfach über der Tischkante abgebrochen. Dass nicht viel übrig bleibt, ist normal und soll einen nicht bekümmern, denn teuer ist das Gemüse hierzulande nicht.
Da das Distelgemüse an der Luft rasch oxidiert und sich hässlich verfärbt – Vorsicht, es hinterlässt auch Spuren an den Fingern –, gibt man meist Zitrone zu; das ist aber Geschmackssache. Eine andere Methode ist, Petersilie oder etwas Mehl ins Wasser zu geben, in dem sie vorläufig aufbewahrt werden. Das hält die Artischocken weiß.
Oder es heißt ganz schnell arbeiten. Will man beispielsweise Artischocken kochen, steht schon ein Topf mit siedendem Wasser bereit, ein etwas kleinerer Deckel liegt daneben. Der hält die Blütenköpfe unter Wasser: so lange, bis sich ein Blatt herauszupfen lässt. Empfehlenswert ist, sie unter einem feuchten Tuch abkühlen zu lassen, sonst verbrennt man sich die Finger.
Gekochte Artischocken kann man gut am nächsten Tag in heißem Wasser wieder aufwärmen und etwa mit einer Vinaigrette servieren. Ganz fein ist auch: den Boden herauslösen und einfach mit
Knoblauch und Thymian in heißem Olivenöl oder in Butter braten. Welchem anderen Nahrungsmittel würden wir verzeihen, dass es in die Finger pikt, den Abfalleimer überquellen lässt und unsere besten Weine außer Gefecht setzt?
Gratinierte Artischocken
Als Vorspeise für 4 Pers.: 25 g Butter (mantequilla), 8 große Artischocken (alcachofas), 250 ml Milch (leche), 3 EL Mehl (harina), ein paar Safranfäden (azafrán), 1 Msp. Curry, 150 g geriebener Käse (queso rallado), 1 Ei (huevo), Thymian (tomillo), Salz
Artischocken vorbereiten: Stiele und harte Blätter sowie das obere Ende entfernen. In leicht gesalzenem Wasser während 15 Minuten garen oder so lange, bis sie weich sind.
Eine Bechamel bereiten: Mehl in Butter leicht Farbe nehmen lassen, Milch zufügen. Köcheln lassen, mit Safran, Salz und Curry würzen. Umrühren, vom Herd nehmen, Eigelb, Thymian und den Käse dazugeben, gut umrühren.
Eiweiß steif schlagen und unter die Sauce heben.
Abgetropfte Artischocken in eine gefettete ofenfeste Form geben. Mit der Käsesauce bedecken und bei 180 Grad etwa 20 Minuten backen oder so lange, bis der Käse gebräunt ist. Aus dem Ofen nehmen, fünf Minuten ruhen lassen und servieren.