„VERBESSERTE BEHANDLUNGSQUALITÄT FÜR PATIENTINNEN UND PATIENTEN“
Mehr als 600.000 Menschen in Österreich nehmen fünf und mehr Medikamente gleichzeitig ein. Wechselwirkungen und unerwünschte Arzneimittelwirkung sind oftmals die Folge. Das Polypharmazieboard Kärnten schafft hier verbesserte Lebensqualität, wie Johann Lintner, Direktor der Kärntner Gebietskrankenkasse, erklärt.
„Ein knappes Viertel der Altersgruppe 60 plus nimmt bereits fünf oder mehr Medikamente ein.“ „Wir haben die Verbesserung der Qualität für Patienten im Fokus.“
Das Polypharmazieboard Kärnten gibt es nun seit 2012. Wie kam es zur Einrichtung?
Lintner: Wir haben beobachtet, dass es viele Patienten gibt, denen sehr viele Präparate verordnet werden. Dabei kann es schnell zu unerwünschten Nebenwirkungen und zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität kommen. Auch im Bundesländervergleich fällt Kärnten durch einen höheren Medikamentenkonsum auf, obwohl die Kärntner Bevölkerung nicht kränker ist als anderswo. Über die Landeszielsteuerung haben wir daraufhin gemeinsam mit dem Kärntner Gesundheitsfonds, der KABEG, der Ärztekammer, engagierten Neurologen, Psychiatern, klinischen Psychologen, Pharmakologen und Internisten das Polypharmazieboard auf die Beine gestellt.
Warum war die Einrichtung notwendig?
Lintner: Polypharmazie ist ein österreichweites Thema. Wir werden alle älter, und gerade im letzten Lebensabschnitt steigt der Bedarf an Medikamenten. Da muss man ansetzen. Ein knappes Viertel der Altersgruppe 60 plus nimmt bereits fünf oder mehr Medikamente ein, bei den über 80-Jährigen nehmen fast 25 Prozent der Personen 13 oder mehr Wirkstoffe ein. Schon die Einnahme von fünf Medikamenten am Tag kann zehn Wechselwirkungen und 15 Ursachen für eine unerwünschte Arzneimittelwirkung auslösen. Wir haben die verbesserte Behandlungsqualität für Patienten im Fokus.
Wie funktioniert die Arbeit des Polypharmazieboards?
Lintner: Das Board trifft sich wöchentlich in den teilnehmenden Spitälern. All die vorhin aufgezählten Berufsgruppen erhalten die Patientendokumentationen sowie alle Verordnungen des Patienten und besprechen die Fälle aus unterschiedlichen Fachrichtungen durch. Diese Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen in Kärnten ist einzigartig in Österreich.
Arbeitet das Board nur für stationär aufgenommene Patienten?
Lintner: Nein. Wenn niedergelassene Ärzte Patienten haben, bei denen sie sehen, dass sie mehr als fünf Medikamente verordnet bekommen haben, können sie über das Board abklären lassen, ob das die richtige Medikation ist, ob man nicht einen Reset machen muss.
Eingemeldet wird das über den niedergelassenen Allgemeinmediziner. Wenn er feststellt, ein Patient nimmt mehrere Medikamente – das geht jetzt mit der E-Medikation einfacher als früher mit unserem Medikamentenpass –, kann er das vom Polypharmazieboard anschauen lassen.
Oft zeigen sich Wechselwirkungen in leichten Symptomen, wie etwa dauerhafter Müdigkeit. Das Board überprüft, ob hier nicht etwa Fehlmedikation vorliegt. Die Patientenunterlagen werden an das Board gesandt, das diese Daten diskutiert und dann eine Empfehlung abgibt.
Welche Rolle spielt die E-Medikation?
Lintner: Die E-Medikation wird das Polypharmazieboard unterstützen und dessen Arbeit erleichtern, vor allem hinsichtlich der Dokumentation der eingenommenen Medikamente sowie des Anzeigens von Wechselwirkungen. Aber ob ein Patient tatsächlich so viele Medikamente nehmen muss, ist doch eine inhaltliche Frage, die die unterschiedlichen Fachgebiete miteinander besprechen sollten. Da wird es immer einen interdisziplinären Austausch brauchen.
Ist Selbstmedikation ein großes Problem?
Lintner: Ja, das ist auch im Fokus. Deshalb ist man auch bestrebt, bei der E-Medikation auch die OTC-Produkte zu erfassen. Es ist weitestgehend unbekannt, dass man auch bei rezeptfreien Produkten dem Apotheker die E-Card geben sollte. Somit sieht der Arzt dann auch, welche rezeptfreien Medikamente vom Patienten regelmäßig eingenommen werden.
Was haben Sie seit Projektstart an Erfahrungen mitgenommen?
Lintner: Dass der Austausch unter Kolleginnen und Kollegen generell immer wichtiger wird. Und dass wir mit unserem Projekt Bewusstsein für einen sorgsamen Umgang mit Medikamenten schaffen können.