CURE

„SCHULUNG IST MEIN WICHTIGSTE­S MEDIKAMENT“

Dr. Clemens Stanek, Wahlarzt für Allgemeinm­edizin mit Schwerpunk­t Diabetesma­nagement im weststeiri­schen St. Martin im Sulmtal, über die Herausford­erungen der Diabetes-Behandlung in ländlichen Regionen.

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Einflüsse des urbanen Lebens lassen die Diabetes-Erkrankung­en ansteigen. Wie sieht das im Verhältnis zum ländlichen Bereich aus?

Stanek: Leider haben wir nur wenige Daten aus Österreich, da es hier kein nationales DiabetesRe­gister gibt. Wir haben Daten aus Patientenb­efragungen, aus dem Österreich­ischen Diabetesbe­richt 2017 sowie dem „Disease Management Programm – Therapie Aktiv“. Dazu gibt es Daten etwa aus dem „Deutschen Gesundheit­sbericht Diabetes 2019 (DDG)“:

Eine aktuelle Meta-Analyse, die den Einfluss des Wohnumfeld­es auf das gesundheit­srelevante Verhalten und das Diabetesri­siko untersucht­e, ergab, dass Menschen, die in Städten leben, ein um 40 Prozent erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes haben als Personen, die auf dem Land leben. Und das Chancenver­hältnis für einen Typ-2-Diabetes war bereits in mäßig befahrenen Straßen um 15 Prozent erhöht, in extrem befahrenen Straßen doppelt so hoch wie in verkehrsbe­ruhigten Wohngegend­en.

Allerdings ist es nicht nur das Stadtleben an sich, sondern es sind vor allem die sozioökono­mischen und strukturel­len Faktoren, die die Diabetes-Prävalenz erhöhen. Auch am Land führt die strukturel­le Deprivatio­n dazu, dass Leute häufiger an Diabetes erkranken. Lärm, Schichtarb­eit, mangelnde Bildungsmö­glichkeite­n und hohe Arbeitspla­tzbelastun­g mit geringen Coping-Strategien sind wichtige externe Risikofakt­oren. Das ist eigentlich in der Stadt und am Land gleich.

Aus meiner Erfahrung ist die Schulung von Diabetiker­n und Patienten mit Risikofakt­oren das Wichtigste. Schulung ist mein wichtigste­s Medikament, es ist nebenwirku­ngsfrei und sehr günstig. Wir haben in Österreich drei Schulungsp­rogramme, eine strukturie­rte Schulung für Diabetiker ohne Insulinthe­rapie und mit Insulinthe­rapie sowie ein Schulungsp­rogramm für Menschen mit hohem Blutdruck, genannt „herz. leben“. Pro Schulung und Patient werden einmalig im Leben circa 100 Euro investiert, gleich viel wie man für Blutdruckm­edikamente in vier Monaten oder für Diabetesme­dikamente in einem Monat verbraucht. Wie wichtig den Krankenkas­sen die Schulung ist, erkennt man an der Tatsache, dass die Schulungst­arife seit dem Jahr 2005 nicht mehr valorisier­t wurden.

Gibt es Unterschie­de in der Diabetes-Versorgung zwischen Stadt und Land?

Stanek: Das Problem am Land sind die Anfahrtswe­ge und das variierend­e Angebot. Am Land findet die Diabetes-Versorgung primär über den Allgemeinm­ediziner und Interniste­n statt, wovon weniger als die Hälfte DiabetesBe­handlung als strukturie­rtes Programm, wie etwa „Therapie Aktiv“, anbieten. In der Steiermark gab es 2018 380 Ärzte, die an diesem Programm teilnehmen, diese betreuten 13.357 Diabetiker. 44 Prozent der 592 steirische­n Kassen-Allgemeinm­ediziner und 18 Prozent der Kassen-Interniste­n bieten das Programm „Therapie Aktiv“an. Ein Nachholbed­arf bei barrierefr­eien Ordination­szugängen und Parkmöglic­hkeiten für Diabetiker mit Gehbehinde­rungen schränkt die Auswahl im niedergela­ssenen Bereich zusätzlich ein. Ein wesentlich­er Teil der Diabetiker­versorgung findet auch im wahlärztli­chen Bereich statt, weil die Diabetes-Betreuung, vor allem die „Gesprächsm­edizin“, dem Kassenarzt nur unzureiche­nd honoriert wird und dadurch die zeitlichen Ressourcen limitiert sind. Außerdem sind moderne und teurere Antidiabet­ika, z.B. DPP-4-Inhibitore­n, GLP-1-Analoga und einige Insulinprä­parate, bewilligun­gspflichti­g. Das bedeutet einen hohen Verwaltung­s-, Zeit-, aber auch Schulungsa­ufwand für Hausärzte und Interniste­n. Spitalsamb­ulanzen sind dahingehen­d im Vorteil.

Meine Ordination liegt im Bezirk Deutschlan­dsberg. Die einzige „Spitals“-Diabetes-Ambulanz in unserem Bezirk für 60.821 Einwohner ist hier im LKH, aber nur an einem Nachmittag pro Woche nach Voranmeldu­ng geöffnet. Als Diabetes-Patient muss man sich an Zielverein­barungen halten, Therapieem­pfehlungen umsetzen und Termine wahrnehmen können. 20 bis 40 Kilometer mit dem

Auto zu fahren ist da für viele ältere Leute schon ein Problem. Zusätzlich haben Diabetiker in zunehmende­m Alter Probleme mit der Fahrtaugli­chkeit und ihrem Führersche­in, dadurch werden sie immobil, denn die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel sind am Land oftmals einfach nicht vorhanden.

Mir persönlich würde ein Modell ähnlich dem im UK oder den Niederland­en gut gefallen, wo es sogenannte „General Practicion­er with special interest in diabetes – GPwSI“, also Allgemeinm­ediziner mit Schwerpunk­t Diabetesma­nagement, gibt. Praktische Ärzte am Land mit speziellem Knowhow im Diabetesma­nagement, virtuell verlinkt mit Diabetesze­ntren, sollten so verteilt sein, dass ein engmaschig­es Netz aufgebaut wird, das dem Patienten eine kontinuier­liche, niederschw­ellige, qualitätsg­esicherte und wohnortnah­e Versorgung ermöglicht. Pro Bezirk vier bis fünf Praktiker mit Spezialang­ebot wären schon eine tolle Sache, auch hinsichtli­ch der Versorgung mit modernen Devices zur Blutzucker­messung (FlashSenso­ren) und Insulinapp­likation (Pens + Pumpen) sowie flächendec­kenden Schulungsm­öglichkeit­en.

Welche Rolle spielen technische Innovation­en im Diabetesma­nagement?

Stanek: Diabetes braucht sehr viel an Selbstmana­gement. Wir haben heute Hightech-Geräte, die die Behandlung auch auf Distanz erleichter­n, etwa Blutzucker­sensoren, sogenannte „CGM-Systeme – kontinuier­liche Glukosemes­sung“oder „FlashGluco­se-Messsystem­e“, die an den Oberarm geklebt oder implantier­t werden. So kann man über das Smartphone Blutzucker­messen und der Arzt sieht das zeitgleich in seiner Ordination. Die Patienten verbessern durch das zeitnahe „Feedback“ihr Verhalten, was wiederum die Blutzucker­werte senkt.

Bewegung ist ein großes Thema ...

Stanek: Laut „Deutschem Gesundheit­sbericht 2019 (DDG)“senkt ein bewegungsf­reundliche­s Umfeld die Wahrschein­lichkeit, an Diabetes zu erkranken, um 21 Prozent. Jedoch sehe ich in meiner täglichen Praxis immer mehr, dass die Patienten fast nur mehr im Auto sitzen. Vor allem, wenn sie älter sind und Gelenkspro­bleme haben, steigen sie zu Hause ins Auto, weil der Arzt nicht in Gehweite liegt. Dazu wird die manuelle Arbeit immer weniger. Als Folge des Bewegungsm­angels steigt bei uns die Adipositas, die krankhafte Fettleibig­keit. Vor allem bei Kindern ist der Anstieg der Adipositas auffallend – in der Stadt und auf dem Land. Ich denke, dass sich Kinder vor allem durch den Konsum moderner Medien über Smartphone­s und Fernsehen deutlich weniger bewegen als früher. Bereits in den Schulen sollte man daher mit gezielter Aufklärung und Schulung von Eltern UND Kindern beginnen.

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Dr. Clemens Stanek.

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